Es handelte sich um eine Entscheidung, die nur auf den ersten Blick unpolitisch war. Am 26. Mai 1973 öffnete der spanische Fußballverband wieder die Grenzen des Landes für ausländische Spieler und tat dies zu einem Zeitpunkt, da im franquistischen Spanien auch außerhalb des Fußballs einiges in Bewegung geriet. Die Diktatur des mittlerweile 80 Jahre alten Caudillo Francisco Franco glitt mehr und mehr in einen Zustand der Agonie und Auflösung. Ein Prozess, der nun durch einen populären Matador auf dem Spielfeld noch beschleunigt werden sollte.
Wenn sich der FC Barcelona in den Jahren zuvor um südamerikanische Akteure mit vermeintlich spanischer Nationalität bemüht hatte, war dies in der Regel am Einspruch der Verbandsfunktionäre in Madrid gescheitert. Bei Real Madrid und anderen Clubs hatte man hingegen häufig derartige Transfers toleriert. Der von „Barça“ beauftragte Anwalt Miquel Roca Junyent, der dem Lager der katalanischen Nationalisten angehörte, recherchierte damals, dass von den 60 südamerikanischen Fußballern, die in der Liga spielten, 46 ihre Spielerlaubnis gefälschten Dokumenten verdankten. Real Madrid konterte, katalanische Nationalisten würden sich aufspielen und aus einer Mücke einen Elefanten machen. Doch der Verband befürchtete weitere, den spanischen Fußball diskreditierende Enthüllungen, so dass es schließlich zu einem Arrangement kam: Barça-Präsident Agustí Montal versprach, von weiteren Enthüllungen abzusehen. Im Gegenzug liberalisierte der Verband seine seit 1962 bestehende „Ausländerpolitik“. Fortan durfte jeder Klub zwei nichtspanische Akteure aufs Spielfeld schicken.
Refugium regionaler Ansprüche
In Katalonien war der FC Barcelona bereits zu einem Refugium regionaler Ansprüche avanciert. Der katalanische Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán (Der Pianist), den das Franco-Regime zeitweilig mit einem Schreibverbot belegt hatte, schrieb über die Phase zwischen 1968 und 1975: „In den Jahren, in denen die bürgerliche Gesellschaft ungeachtet des Fortbestands der Diktatur immer mehr Freiräume besetzte, wurde auch der Fußball-Club Barcelona zum Forum des Widerstands. Bei den Heimspielen waren auf den Rängen keine spanischen Fahnen zu sehen, wohl aber zunehmend die katalanischen Farben. Als offenkundig wurde, dass auch ein Franco sterblich war, als der Diktator in einem Gewirr von Transfusionskanülen dahinvegetierte, begannen sogar seine Zivilgouverneure, Konzessionen zu machen. Im Stadion wurde die seit 1939 unterdrückte katalanische Hymne La sen-yera angestimmt. Offensichtlich diente Barça als Kristallisationspunkt für ein klassenübergreifendes katalanisches Nationalgefühl – es reichte von den Havanna-Rauchern auf der überdachten Tribüne bis hin zu den Zuschauern auf den Stehplätzen. Ein Gefühl, das durch die Intellektuellen noch unterstützt wurde.“
Nach Aufhebung der Ausländersperre verpflichtete Barcelonas niederländischer Coach Rinus Michels seinen Landsmann und ehemaligen Schüler Johan Cruyff, bis dahin der Star von Ajax Amsterdam, das dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. 1971 und 1973 war der Niederländer zum „Europäischen Fußballer des Jahres“ gewählt worden, was vor ihm nur ein anderer Sportler geschafft hatte: Real Madrids argentinische Legende Alfredo Di Stefano.
Der komplette Star
Ajax gab Cruyff für die damalige Rekordsumme von sieben Millionen Mark frei. Der Transfer des nun weltweit teuersten Spielers wurde von der Banca Catalana finanziert, der Jordi Puyol vorsaß. Der hatte Anfang der sechziger Jahre als „Subversiver“ einige Jahre in Francos Kerkern verbringen müssen, und gehörte zu den Köpfen der nationalistischen und anti-franquistischen Bewegung, die sich in Katalonien bemerkbar machte.
Wer war dieser schmächtige Typ aus dem Amsterdamer Osten, der Barças Fans faszinierte und begeisterte wie seit den Tagen des ungarischen Lebemannes Ladislao Kubala kein Spieler mehr? Für den Sportjournalisten Ulfert Schröder waren „sämtliche Eigenschaften, die ein erstklassiger Mann besitzen muss, in Cruyff vereinigt.“ Der Niederländer sei „auf sonderbare Weise eine Mixtur all der großen Stars, die vor ihm auf der Bühne des europäischen Fußballs aufgetreten waren. Er ist ein kompletter Star und ein perfekter Fußballspieler.“
Johan Cruyff verwandelte Barças Equipe innerhalb kürzester Zeit in ein anderes Team. Schröder: „Noch nie zuvor war das Spiel einer Mannschaft durch einen einzigen neuen Mann derart positiv beeinflusst worden wie in diesem Falle, als Cruyff zu den Spaniern gekommen war. Über Nacht hatten die Katalanen ihren Stil geändert, spielten plötzlich herrlichen Fußball und ließen erkennen, dass sie nun wieder stark genug waren, um ernsthaft in den Wettbewerb der europäischen Landesmeister einzugreifen.“
Sie nannten ihn Jordi
Die Fans strömen in Massen ins Stadion Camp Nou, zu den ersten Heimauftritten Barcelonas mit Johan Cruyff kamen jeweils 100.000 Zuschauer. Im Verlauf der Meisterschaftsrunde stieg der Zuschauerdurchschnitt pro Spiel von 35.000 auf 90.000, weshalb die Vereinsführung die Arena nach der Saison auf ein Fassungsvermögen von 120.000 Zuschauern ausbauen ließ.
Zwei Ereignisse im Februar 1974 ließen Cruyff zu einem katalanischen Nationalhelden avancieren. Am 9. Februar 1974 brachte seine Frau Danny in einem Amsterdamer Krankenhaus einen Sohn zur Welt. Die Cruyffs nannten ihn Jordi, katalanisch für Georg. In den Niederlanden verlief die Registratur völlig problemlos, aber in Barcelona sperrten sich die Behörden. Die repressive Sprachpolitik des Regimes gestattet nur spanische Namen, weshalb die Beamten dem Fußballstar den Namen Jorge, die spanische Version von Jordi, nahe legten.
Doch Cruyff blieb hart. Mit dem Ergebnis, dass erstmals im Katalonien unter Franco ein Neugeborener wieder Jordi heißen durfte. Vermutlich auf Anweisung von höherer Stelle, wo man keinen öffentlichen Konflikt mit der mittlerweile populärsten Person Kataloniens riskieren wollte. Johan Cruyff sagte dazu: „Ich brauchte eine gewisse Zeit, bevor ich verstand, was in Spanien politisch vor sich ging. Obwohl ich schnell realisierte, wie bedeutend der Klub für die Katalanen war.“
König von Barcelona
Der FC Barcelona spielte in der Saison 1973/74 enorm selbstbewusst, als würde den Klub das sich anbahnende Ende der Diktatur beflügeln. So auch am 17. Februar 1974 im Estadio Santiago Bernabeu, der Arena des großen Rivalen Real Madrid, benannt nach Reals Präsidenten, der im Bürgerkrieg auf Seiten der Franquisten gekämpft hatte. Im Bewusstsein vieler Katalanen galt Real als der sportliche Arm der Diktatur.
Acht Tage nach der Geburt von Jordi Cruyff unterlagen die „Königlichen“ dem FC Barcelona klar mit 0:5. Im Zentrum des spektakulären Auftritts stand der aufmüpfige Niederländer. In Barcelona strömten die Menschen nach dem Schlusspfiff auf die Straßen und feierten das 5:0 wie einen Sieg über das Regime. Der 17. Februar 1974 wurde später zum „Anfang vom Ende der Diktatur“ verklärt. Manuel Váquez Montalbán schwärmte: „1:0 für Barcelona – 2:0 für Katalonien – 3:0 für Sant Jordi – 4:0 für Demokratie – 5:0 gegen Madrid. An jenem Tag, so empfanden es Millionen im Land, setzte der Niedergang der faschistischen Diktatur ein.“
Nach einem 4:2-Sieg in Gijon dürfen Cruyff und Co. bereits fünf Runden vor Saisonschluss die spanische Meisterschaft feiern – für Barça immerhin die erste seit 14 Jahren. Barcelonas Zentrum verwandelte sich in ein Tollhaus. Hunderttausende wälzten sich über die Ramblas und skandierten dabei den Namen Cruyffs. „Cruyff, König von Barcelona“, titelten die lokalen Blätter.
Am 20. November 1975 starb General Franco. Auf Barcelonas Straßen stieg die dritte große Party seit der Ankunft Johan Cruyffs. Es begann die Phase der transición, des Übergangs in ein demokratisches System, der unumkehrbar sein sollte.
Dietrich Schulze-Marmeling ist Fußballhistoriker und Autor mehrerer Bücher zur Geschichte des Fußballs
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