Gedanken zu „Verdrängung hat viele Gesichter"

Eine Filmkritik Wer verdrängt wen und mit welchen Folgen? Ein Film gibt starke Einblicke in die Nöte von bedrängten KiezbewohnerInnen in Berlin, verrent sich aber bei der Ursachensuche.

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Als ich letztens das Plakat im Kiez zum gemeinsamen Filmabend zum Thema Verdrängung und Gentrifizierung sah, habe ich mich gefreut. Wie gut, dass das Thema auch in meinem Kiez endlich angesprochen wird. Wie gut, dass zumindest ein Diskurs stattfindet, dass es solche Dokumentationen gibt, die das sichtbar machen, was tausendfach in Berlin passiert. Menschen werden aus ihren sozialen Kontexten gerissen, müssen an Orte ziehen, die meilenweit von ihrer Arbeit, ihrer Heimat, ihren Freunden und Familienmitgliedern entfernt ist. Oder werden obdachlos. Ein Film, der zeigt, wo und wann und wie Verdrängung stattfindet, wer dafür verantwortlich ist und vielleicht auch, was man dagegen machen kann. Das habe ich erwartet, als ich zur Vorstellung des Films „Verdrängung hat viele Gesichter“ des Filmkollektivs „Schwarzer Hahn“ hinging.

Gesehen habe ich stattdessen einen Film über vermeintlich hypokrite Linke, die mit dem nötigen Kapital ausgestattet sind, um sich einer Baugruppe anzuschließen. Baugruppenprojekte bezeichnet die gemeinschaftlichen Bebauung einer Brachfläche für Eigentumswohnungen zum allergrößten Teil zur Eigennutzung. Der Bezug zu Verdrängung wird dabei im Film also indirekt vollzogen, über die Aufwertung des Viertels im Anschluss an Baugruppenprojekte. Diese Fokussierung halte ich für irreführend und vielleicht sogar gefährlich, da es von den echten Verantwortlichen ablenkt. Denn für Baugruppenprojekte wird keine Wohnung abgerissen. Es wird kein Mietspiegel erhöht. Es wird keinem Mieter gekündigt und es werden im Zweifelsfall Wohnungen frei, wenn die Bauherren vorher zur Miete wohnten, was in den meisten Fällen (zumindest bei den im Film Interviewten der Fall war).

Ich finde, dieser Film verwechselt Symptom und Ursache. Klar, Baugruppen sind bestimmt ein Symptom für Aufwertungsprozesse, die mit Wohnungsnot für untere Schichten einhergehen. Genauso gut können community gardening Projekte oder die Bepflanzung von Baumscheiben zur Aufwertung eines Viertels beitragen. Dies sind also Anzeichen für einen Wandel, aber nicht die Ursache für Verdrängung. Ursache für Verdrängung, das sind Mieterhöhungen, die nicht mehr tragbar sind, das sind Kündigungen durch Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen, das sind exorbitant hohe Neuvermietungspreise und das ist vor allem das ungehinderte Profitbestreben der VermieterInnen.

Die verschiedenen Immobilienbesitzertypen in einen Topf zu werfen, macht Sinn, wenn man ideologisch jegliches Eigentum an Wohnraum ablehnt. In der Praxis für die gefährdeten MieterInnen gibt es jedoch enorme Unterschiede wie konkret Verdrängung (oder eben auch nicht) stattfinden kann. In dem ganzen Spektrum an ImmobilienbesitzerInnen sind die Leute, die für sich selber gemeinsam mit anderen eine einzige Wohnung bauen wollen, aus meiner Sicht diejenigen, die am wenigsten für Verdrängung und Wohnungsnot sorgen.

Klar, ist es ungerecht, dass manch einer sich von diesem Mietkarussell individuell befreien kann und der andere nicht. Daran sollte sich was ändern. Solange der Staat nicht für die Wohnungsvergabe zuständig ist, sollte jeder zumindest so viel verdienen, dass ein gesichertes Leben in einer Wohnung ohne Spekulation und Profit möglich ist, gerade eben weil der Immobilienmarkt kein normaler Markt ist, sondern Wohnen zur elementaren Grundversorgung der Menschen gehört. Aber das ist ein politisches Problem und kein individuell-moralisches. Die Fokussierung auf Baugruppen und vermeintlich hypokrite Linke im Film wirkt dann schon fast als Ablenkungsmanöver von den Leuten und Institutionen, die tatsächlich Tag für Tag Verdrängung direkt zu verantworten haben. Den VermieterInnen, die einfach mehr Geld wollen, weil sie es können und von der Politik, die tatenlos zusieht, wie es eine riesige Umverteilung von MieterInnen zu VermieterInnen in Berlin gibt, mit den härtesten Folgen für die untersten Einkommensschichten. Der politische Kampf für öffentlichen Wohnungsbau und Mietpreisstabilität sollte im Mittelpunkt stehen, nicht das kleinmütige Lächerlichmachen der linken Bourgoisie in Baugruppen. Schade, dass diese Chance bei dem eigentlich guten Thema und dem interessanten Filmmaterial zu den Folgen der Verdrängung bei diesem Film vertan wurde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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Diggity Diskurs

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