„Nur harte Schnitte“

Interview Hermann Pölking über seinen dreistündigen dokumentarischen Kompilationsfilm „Wer war Hitler“
Ausgabe 45/2017

Siebeneinhalb Stunden Langfassung, drei Stunden Kino-Fassung, gespeist aus 800 historischen Filmquellen, die in 112 Archiven in 14 Ländern recherchiert wurden, sowie eine nahezu 800 Seiten umfassende Buchdokumentation – das sind die Zahlen, mit denen Hermann Pölkings Hitler-Film beworben wird. Hinter dem Titel Wer war Hitler verbirgt sich ein multiperspektivischer Blick auf die Person des Diktators und die Ära, die ihn hervorbrachte. Mit seiner konsequent durchgehaltenen Erzähltechnik, die sich fast ausschließlich auf Zitate von Hitlers Zeitgenossen und auf Archivfilme stützt, grenzt sich Wer war Hitler vom ordinären History-Fernsehen ab. Das Resultat mag man intellektuell stimulierend oder geschwätzig finden – als ehrgeiziger Versuch, Zeitgeschichte ins Kino zu bringen, ist es zu würdigen.

der Freitag: Zu Adolf Hitler gehört seine Megalomanie. Wollten Sie dem mit der Überlänge Rechnung tragen?

Hermann Pölking: Hitlers Wirken in Deutschland zwischen 1920 und 1932 und in der Welt zwischen 1933 und 1945 hat so viel angerichtet, dass es notwendig ist, über seine 56 Lebensjahre umfangreich zu berichten. Der von mir verehrte Ken Burns machte 1990 über vier Jahre US-Bürgerkrieg eine Neun-Stunden-Dokumentation und in diesem Jahr über 30 Jahre Vietnam-Krieg eine 18-Stunden-Serie. Da war nicht eine Stunde zu viel erzählt.

Warum fehlt das Fragezeichen im Titel?

Schon diese Frage zeigt, dass wir den von uns erwünschten Effekt erzielt haben. Dass das Fragezeichen verschwunden ist, ist Ergebnis einer intensiven Titeldiskussion zwischen den Produzenten, dem Cutter und den Grafikern. Wir fanden, der Verzicht führt zu einer Frage an die Frage: Wissen wir nicht schon alles über Hitler? Stellt nicht jede Zeit mit ihren Problemen andere Fragen an die Geschichte? Und führen die zu ergänzenden, teilweise neuen Erkenntnissen?

Was Botschaften, Erzählstrategien und Archivmaterial angeht, zeichnet sich das History-TV oft durch ungeheure Redundanz aus. Wie durchbricht man diese Muster? Und warum im Kino?

Ich setze in meiner Dramaturgie die Konzentration des Publikums und ein Interesse voraus. Wer eine Dokumentation im TV oder Internet als Fastfood konsumiert, der wird Wer war Hitler nicht folgen wollen und können. Mein Film ist puristisch. Wenige Fotos, mehr als 96 Prozent Bewegtbild, keine Inszenierungen, keine Interviews, keine aktuellen Drehs. Nur harte Schnitte. Ich habe eine offene Erzählform, die den Zuschauer zwar lenkt, aber zum Denken auffordert. Ich wollte keine ikonografischen Bilder. Deshalb nutze ich zu 80 Prozent Amateuraufnahmen. Mit denen wollte ich den Text nicht illustrieren, sondern eher konfrontieren. Oder den Zuschauer verstören. Auf jeden Fall aber die Nazi-Inszenierung zertrümmern.

Ich glaube an den Effekt einer „Bild-Text-Parallelität“. Wenn ich Ton und Bild als Parallelität des Geschehens präsentiere, passiert etwas beim Zuschauer. Ein Beispiel aus der heutigen Zeit: Ich zeige: Jemand sitzt bequem irgendwo in der Sonne. Dazu berichtet das Radio von schrecklichen Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer. Wenn ich keine Filmbilder der Katastrophe habe, ist das eine bessere Lösung als schlechte Nachinszenierung oder das Abfilmen von Dokumenten.

Zur Person

Hermann Pölking, geb. 1954, studierte in Westberlin Publizistik. 1979 Gesellschafter beim Verlag Elefanten Press, seit 1983 Buchautor und Dokumentarfilmemacher mit regionalgeschichtlichen Schwerpunkten. Wer war Hitler entstand in dreijähriger Recherche- und Schnittarbeit

Als Joachim Fest und Christian Herrendoerfer 1977 ihren Hitler-Film „Hitler – Eine Karriere“ in die Kinos brachten, wurden sie dafür gescholten, den Bildern, die damals vor allem Wochenschauen und Propagandafilmen entstammten, zu viel Raum gegeben haben. In Ihrem Film scheint mir das Verhältnis Kommentar-Bild genau gegenteilig gewichtet zu sein – kritisch formuliert: Der Text droht die Bilder zu erdrücken.

Wenn mein Film nur damit droht, die Bilder zu erdrücken, dann ist das genau das, was ich wollte. Der Text soll auf den Bildern lasten. Er ist häufig eine Zumutung an die Bilder; hin und wieder auch eine Relativierung, etwa wenn ich von einer Frau zitieren lasse, die zu jeder Kundgebung Hitlers geht, ihn aber noch nie gesehen hat, weil ihre Augen immer in Tränen geschwommen haben. Wer war Hitler ist ein Kompilationsfilm – also ein Film, der sich aus Filmquellen aus Archiven zusammensetzt. Wochenschauen, Propaganda-Filme und Kulturfilme haben wir im Schnitt dekonstruiert. Fast nie haben wir diese Filme als „Dokument“ verwendet.

Und die Privataufnamen?

Manche sind an und für sich trivial oder nichtssagend; selbst wenn einige Amateurfilme mit Könnerschaft gedreht wurden. Erst in der Kombination mit dem gesprochenen Text – das sind ja bei uns zu 94 Prozent Zitate – gewinnen viele Aufnahmen etwas hinzu. Die Filme sind ja bei meinem Konzept nicht wie in den meisten Geschichtsdokumentationen Beleg des Gesprochenen, sondern ein Element der Erkenntnis, des Erschreckens oder des Empathie-Empfindens beim Betrachter.

Laut Presseheft legen Sie Wert darauf, „Gelernt-Effekte“ beim Publikum zu vermeiden. Warum haben Sie dann für Hitlers Äußerungen einen Sprecher gewählt, der dessen Duktus nachäfft? Gleiten Sie damit nicht in die Niederungen der Karikatur?

Dass Jürgen Tarrach den Duktus „nachäfft“, ist eine mir völlig unverständliche Wahrnehmung. Wir haben Jürgen Tarrach ausgewählt, weil er in seiner normalen Alltagssprache dem gutturalen Idiom Hitlers sehr nahe kommt. Hitler sprach ja nicht so, wie ihn das Publikum aus den überlieferten Reden kennt, also schreiend. Hitler hatte einen angenehmen Bariton. Wie Jürgen Tarrach.

Sie zitieren den bereits geschlagenen Feldherrn Hitler mit den Worten: „Wir können untergehen. Aber wir werden eine Welt mitnehmen.“ Ist diese untergegangene Welt diejenige, deren Panorama Sie in Ihrem Film zeichnen?

Ich will ein Panorama der Welt zeigen, in der Hitler Macht erringen und erhalten konnte. Der Politiker Hitler ist auch Ausdruck der gesellschaftlichen Sehnsüchte eines Teils der Gesellschaft, die die Niederlage des Ersten Weltkriegs nicht verarbeitet hat, vor allem der Jugend. Hitlers Bewegung war eine Jugendbewegung.

Ich will den Menschen heute die Zeit, durchaus auch die Lebensumstände jener Zeit, näher bringen. Auch optisch. Hitler nahm diese Welt nicht mit in seinen Untergang. Da irrte Hitler ja – leider! Mit ihm verschwand die Widerstandskraft seiner Anhänger, seine Organisation, die NSDAP, aber es verschwanden nicht die gesellschaftlichen Strukturen. Sie wurden in den 1950er Jahren sogar in Teilen restauriert. Und wir wissen, es schwanden nicht Autoritätsgläubigkeit, Rassismus und Antisemitismus in der mitteleuropäischen Gesellschaft. Auch nicht in der DDR, wie wir heute wissen.

Rassismus gilt seit Erstarken der Rechtspopulisten als besonders aktuell. Erhoffen Sie sich vor diesem Hintergrund auch eine Wirkung Ihres Films auf das derzeitige gesellschaftspolitische Klima?

Wenn das historische Geschehen nicht Fragen an die Gegenwart stellen würde, wäre ein Film nicht von Interesse und wohl auch nicht zu finanzieren. Der Lauf der Geschichte ist aber zu chaotisch, um direkte Analogien zu ziehen. Heute erstarken anscheinend rechtskonservative, deutschnationale und rechtsradikale Kräfte. Insofern haben wir heute wieder eine Auseinandersetzung – in etwa – wie Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre.

Unsere Situation heute ist aber besser. Die bürgerliche und sozialdemokratische Mitte war in den 1930ern schwach, die Linke illusorisch und die Eliten waren undemokratisch und national eingestellt. Heute sind die Eliten globalisiert, nicht rassistisch und, wie wir in der Flüchtlingskrise gemerkt haben, stehen zur Verfassung. Ich bin sicher, die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wir müssen aufpassen und uns organisieren.

Info

Wer war Hitler Hermann Pölking D 2017, 196 Min. Filmstart: 16. 11.

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