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Pragmatisch Die Zeitschrift "Widerspruch" plädiert für radikale Umweltpolitik

Wie wirtschaften wir, wenn es kein Öl mehr gibt? Weshalb hält die Umweltpolitik nicht, was sie verspricht? Brauchen wir eine neue, radikale Ökobewegung? All dies diskutieren ausführlich Autoren wie Elmar Altvater, Ulrich Brand und Hermann Scheer in der neuesten Ausgabe der Schweizer Zeitschrift Widerspruch. Was sie zum Thema "Energie und Klima" beitragen, ist oft pragmatisch, zuweilen bekannt und längst nicht so sozialistisch, wie es der Untertitel der Zeitschrift verheißt.

Es sei erstaunlich, wie ignorant ein guter Teil der Linken noch heute mit der Frage der Ökologie umgehe, moniert der Theologe Bruno Kern in seinem kämpferischen Aufsatz Ökosozialismus oder Barbarei. Dem ungebrochenen Glauben an das Wachstum, den er bei marxistischen Denkern ausmacht, hält er eine Ökonomie des "Genug" entgegen: Eine Wirtschaft, die nachhaltig wirken wolle, müsse auf ein "verträgliches Niveau" schrumpfen und ein "stationäres Gleichgewicht" einhalten. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt offen. Kern plädiert jedenfalls im Sinne globaler Solidarität für regulierte Mengenabgaben, kontrollierte Preise und eine politische Rahmenplanung.

Wie aber sind Ressourcen gerecht zu verteilen, fragt der Soziologe Tilman Santarius und erinnert an Hungerrevolten, wie sie im April auf Haiti stattfanden. Sie zeigten, wie heftig um Rohstoffe gekämpft werde. "Gerechtigkeit ist ein Suchbegriff", schreibt er. Aus den aristotelischen Grundformen müssten neue, globale Leitbilder entwickelt werden. Jede Gesellschaft solle beispielsweise ihren Verbrauch nach Regeln gestalten, die andere übernehmen könnten. Doch eine Welt, in der Ungerechtigkeit von Natur aus herrsche, verlange ebenso nach iustitia correctiva, nach Ausgleich: Daher seien die reichen Länder moralisch dazu aufgerufen, den Süden mit Geld zu unterstützen, wenn die dortige Industrie weniger Treibhausgase ausstoßen soll.

Auch der Norden muss sparen, um seine dauerhafte Versorgung zu sichern: "Zurück zur 2.000-Watt-Gesellschaft", fordert Armin Braunwalder, der das Büro für Energie-Kommunikation der Schweizer Agentur für Energie-Effizienz leitet. Heute verbrauche jeder Schweizer 6.000 Watt, erzeugt vor allem aus Öl, Gas und Uran. Braunwalder setzt auf mehr Effizienz und fordert: "Häuser zu Kraftwerken umbauen" und Fahrzeuge, Anlagen und Geräte rigoros aufs Energiesparen trimmen. Aber, meint Braunwalder: "Es geht um Jahrzehnte."

Dabei löst das Solarzeitalter bereits die fossile und atomare Epoche ab, ist sich der SPD-Politiker Hermann Scheer sicher. In der Dritten Welt gebe es schon Inseln, die auf Solarstrom setzten, weil dies günstiger als konventionelle Versorgung sei. Solarmodule ließen sich überall auf Fassaden montieren, konventioneller Strom fließe durch teure Überlandleitungen. Scheer prophezeit, dass künftig immer mehr Geräte ihren Strombedarf selbst decken: Integrierte Photovoltaikplatten machten den Anschluss ans Stromnetz fast überflüssig. Den ewigen Konflikt zwischen Kapitalismus und Ökologie entscheide letztlich der Preis.

Dennoch sei eine neue, radikale Umweltbewegung notwendig, versichert Beat Ringger, Sekretär der Zürcher Organisation Denknetz in seinem Plädoy­er für eine Wende in der Verkehrspolitik. Ringger erinnert an die "umverkehR"-Volksinititative, die im Jahr 2000 in der Schweiz gescheitert ist und mahnt, einen Ökobonus einzuführen: Wer viel Auto fahre, solle noch mehr für Sprit zahlen; wer wenig fahre, wird belohnt. Nicht alle Ideen sind neu, doch unbenommen gilt es, den öffentlichen Verkehr, Fahrradfahrer und Carsharing zu fördern. Und an vier Sonntagen im Jahr, fordert er, solle schweizweit kein Auto fahren. Das ließe sich auch im Ruhrgebiet, Berlin und Frankfurt erproben.

Widerspruch. Beiträge zur sozialistischen Politik. Klima und Energie. Heft 54/2008. 16 EUR

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