Sechs Stunden Bangen

Frankfurt (Oder) Zum ersten Mal wurde in der neuen Solarfabrik Silizium gesägt. Nun will nach 17 Jahren Warten auch die Stadt endlich wieder aufstreben - eine Geschichte vom Hoffen, Zweifeln und dem Traum vom Platz an der Sonne

Jede Maschine lebt, sagen die Techniker in der neuen Solarfabrik in Frankfurt an der Oder. Mal liefen sie perfekt, mal zickten sie, mal hätten sie keine Lust. Letztlich seien sie unberechenbar und falle eine aus, wüssten die Techniker nicht immer, warum. Deshalb schauen sie jetzt so gebannt ihrem Siliziumblock nach, wie er um 11:17 Uhr in die Säge eingeführt wird. Es ist Block Nummer eins - anthrazitfarben, glänzend poliert, groß wie ein Stiefelkarton. Aus ihm sollen die allerersten Solarzellen im neuen Werk gefertigt werden. So die Maschinen wollen.

Vor dem Sägeschrank haben sich alle versammelt: nervös tippelnde Techniker, ein stiller Geschäftsführer, ein Schichtleiter, der lieber aus der zweiten Reihe beobachtet; nur einer schwenkt ausgelassen eine selbstbemalte Fahne. Ansonsten herrschen Erwartung, Anspannung, Innehalten.

Und die Ahnung, dass vielleicht das halbmetallische Herz der Stadt nach 17 Jahren Stillstand endlich wieder schlägt.

Leicht summend vibriert die Säge und ganz sacht bebt der Hallenboden unter den Arbeitsschuhen. Sechs Stunden lang wird der Block in genau tausend Scheiben zerschnitten, von einem messingfarbenen Draht, der feiner als Nähgarn und 250 Kilometer lang ist - in etwa die Luftlinie Berlin-Hamburg. Wie ein Eierschneider sägt er sich in den Block und zerteilt ihn in 0,2 Millimeter dünne "Wafer".

Bis 17:17 Uhr wird man bei Conergy bangen, ob der Draht nicht doch reißt, ob die kühlende Flüssigkeit, die den Block umspült, auch ja die richtige Temperatur hält, ob die ganze Software, mit der die Säge gesteuert wird, funktioniert - ob, ob, ob. Es sind soviele Ob´s, dass der Schichtleiter unter seinem Helm schwitzt und der Geschäftsführer lieber schweigt.

Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings

Dabei ist Sylvère Leu, der Geschäftsführer, einer, der sonst begeisternd erzählt und währenddessen stets so sehr gestikuliert, als wolle er jedes Wort persönlich überreichen. Mit schwyzerdütschem Akzent spricht er von "Uufschwung", redet von "der Chraft vom positive Dänke", fordert, dass "Journalischte d´Mänsche beigeischtere" sollen, wobei er die Hände in die Hüften stemmt. Und er beschwört einen "Butterfly-Spirit": Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auslösen könne, so sollten sich die Erfolge in der Solarfabrik auf die Stadt ausbreiten. Es klingt wie die Metaphysik eines Managers.

Leider stimme in Frankfurt die Stimmung nicht. Noch nicht. Alles sei so bleiern - und wenn er das öffentlich kritisiere, klatschten die Leute. Doch eigentlich rede er lieber von Erfolgen und Lösungen. Als Führungskraft müsse man halt immer ziehen, immer ziehen, immer ziehen.

Tatsächlich ist Frankfurt eine Stadt, die abends eher verlassen als aufgesucht wird. Viele Studenten und Professoren der Viadrina fahren ins nahe Berlin. Jeder Sechste hier ist arbeitslos. Die Bürgersteige sind ab acht Uhr leer, das chinesische Restaurant ist leidlich besucht, das Lichtspielhaus abgewranzt, lediglich zwei Biergärten haben geöffnet. Nur in einem Café am Rathausplatz sitzten junge Menschen fröhlich plaudernd in Strandkörben und ordern "Bananensplit mit extra Sahne, bitte". Hin und wieder rollt eine Straßenbahn vorbei, verziert mit dem Banner einer der drei neuen Solarfabriken.

Von der Solarindustrie erhofft sich Frankfurt endlich einen Platz unter der Sonne: Die Unternehmen Conergy, Odersun und First Solar investierten rund 370 Millionen Euro, gut ein Drittel soll aus Subventionen stammen. 700 Arbeiter haben sie schon eingestellt, 1.500 sollen es werden. Es könnten soviele sein, dass jeder Frankfurter dann jemanden kennen müsste, der dort angestellt ist. Bereits jetzt buhlen die Firmen um die besten Leute und greifen dabei gern auf Chemiker und Physiker zurück, die noch in der DDR im hiesigen Halbleiterwerk arbeiteten. Oder sie holen Mikroelektroniker und Fertigungstechniker zurück, die nach Dresden oder München abgewandert waren und nun als Schichtleiter wiederkehren. Trotzdem meint manch Frankfurter: "Mal sehen, wie lange das alles gut geht."

Nach der Wende war es finster geworden: Das Halbleiterwerk, das einst gut 8.000 Menschen beschäftigte, machte dicht, weil es als nicht mehr rentabel galt. Ein Chipfabrikant sollte Aufschwung bringen, Hallen wurden hochgezogen, aber der Hersteller ging lieber nach Sachsen. Wenig später wurde der Cargolifter und eine Rennstrecke in den märkischen Sand gesetzt. Dort liegt wohl auch die Zuversicht der Frankfurter begraben.

Ausgerechnet in den Hallen, in denen einst die Chips produziert werden sollten, stellt nun die Hamburger Conergy ihre Maschinen auf: Zu betreten sind sie nur mit Helm, Sicherheitsschuhen und blauen Plastiküberziehern. Überall wird an weißen Kränen, weißen Föderbändern und weißen Bohrern geschraubt, montiert, gesaugt und justiert. Auf vier Produktionsstraßen sollen bald in geruchs- und staubfreien Reinräumen die Siliziumscheiben aufgefächert, gewaschen, gemessen, bedampft, bedruckt, verlötet und laminiert werden: Auf das sich Sonnenlicht in Strom wandle!

"Von Polen blinkt die Sonne rüber", sagt Michel Garand, der Solar-City-Beauftragte des Oberbürgermeisters. Er soll der Stadt ein neues, ein solares Image verpassen - überhaupt mal etwas, an das man glauben darf; schließlich zerbröselte in der Hitze des Zweiten Weltkrieges alles Mittelalterliche, alles Hanseatische, das Geburtshaus Heinrich von Kleists und auch die fünfschiffige Stifterkirche. "Man fühlt nichts, wenn man hier ankommt", meint Garand. Das will er ändern.

Südseetanz um 5:39 Uhr

Bald hatte der Solar-Beauftragte einen schönen Spruch parat: Nirgends in Deutschland geht die Sonne früher auf als über Frankfurt an der Oder. Stimmt leider nicht, Görlitz ist östlicher. Jetzt malt er an einem T-Shirt, das bislang nur seine Kinder und der OB gesehen haben: Eine Sonne, darin das Konterfei Kleists, darunter der Spruch "We care".

Michel Garand ist Franco-Kanadier, in Montreal studierte er "Specialist Urban Studies" über Münster kam er nach Frankfurt an der Oder. Und noch immer sieht er eher aus wie ein Tourist: Rucksack, kurze Hose, Baumfällerhemd. Wird er angerufen, ertönt auf dem Handy Bob Marleys Buffalo Soldier. Zum Mittag trinkt er grünen Tee und bestellt Salat mit Hähnchensticks. "Es muss ja nicht immer ein Frankfurter Gericht sein."

Vor kurzem gelang Garand und dem christdemokratischen Oberbürgermeister Martin Patzelt ein erster Mediencoup: Früh morgens standen sie an der Oder, aßen Lachshäppchen und schauten nach Polen; als um 5:39 Uhr die Sonne über die Oder strahlte, läuteten sie die Friedensglocke, während Tänzer aus Norwegen, Polen und Hawaii mit einem Südseetanz der Sonne huldigten. Jedes Jahr wollen sie hier nun einen Tag der erneuerbaren Energien veranstalten - immer kurz nach dem Jahrestag des Reaktorunglücks von Tschernobyl am 26. April.

Michel Garand folgt einem "ganzheitlichen Ansatz". Die Leute sollen fühlen, dass sie in einer Solarstadt leben. Er möchte das Frankfurt das "Freiburg des Ostens", eine lebenswerte Stadt an der Oder, werde. Deshalb spricht er alle an: Verbände, Kirchen, Studenten, Rentner. Er veranstaltet Symposien in der Handwerkskammer und an der Viadrina, organisiert Arbeitsgruppen und lädt einen Showtruck auf den Rathausplatz ein, um den Bürgern zu zeigen, was Solartechnologie alles kann. Sogar einen Bäcker hat er überzeugt, spezielle Brötchen mit Sonnenblumenkernen herzustellen und als "Solar-Sunnies" anzubieten. "Verkaufen sich prächtig!", behauptet er.

Doch Garand will noch viel mehr: Die Stadt solle unabhängig werden von der Braunkohle. Und so fällt ihm auf dem Weg durch die Innenstadt überall auf, wo sich Solarzellen montieren ließen: auf dem Oderturm, dem 24-geschossigen Wahrzeichen der Stadt, auf Schuldächern sowieso, entlang der Brücke, die sich nach Slubice spannt; und warum nicht auch auf der Friedenskirche, schließlich habe die Gemeinde bereits angefragt. Ginge es nach Garand bekäme auch das historische Rathaus mit seiner märkischen Backsteingotik die dunklen Solarzellen verpasst. Allein, wie passen Denkmal- und Klimaschutz zusammen? Auch ein Solarschiff hält er für möglich, eine "MS Slubfurt" könnte zwischen Slubice und Frankfurt queren. "Wäre sehr schick!" Ob er ein Visionär sei? "Gut möglich, sonst wär ich nicht mehr hier."

"Ja, unser Solar-City-Beauftragter", sagt Thomas Koschack, Chairman der Odersun AG - wie sich der Vorsitzende auf Visitenkartendeutsch nennt. Dann faltet Koschack die Hände hinter seinem markanten Schädel, lehnt sich in seinen schwarzen Lederstuhl zurück und erzählt, wie schwierig es ist, Solarzellen zu entwickeln und marktreif zu machen. Koschack ist niemand, der schnell ins Schwitzen gerät, schon gar nicht bei 30 Grad in seinem Büro. Bereits zu DDR-Zeiten war er in der Halbleiterindustrie beschäftigt. 1994 gründete er dann das "Institut für Solartechnologie" zusammen mit Bekannten, die nach der Wende als Umweltbeauftragte oder Landesplaner arbeiteten. Das Institut führte Sachverstand und Engagement zusammen und entwickelte sich zu einer der Keimzellen der Frankfurter Solarindustrie.

Koschack experimentierte an so genannten Dünnschichtmodulen - extrem dünnen Solarfolien, die sich wie Papier meterweise produzieren lassen und überall aufgeklebt werden können, auf Handys, Handtaschen, Uhren und sich später sogar in Kleidung einnähen lassen sollen. Jahrelang suchten sie nach einem perfekten Material, das die Sonne in Strom übersetzt, sich biegen und überall hin transportieren lässt - doch ob sie an einem Titandioxid-Gemisch oder einer Kupfer-Indium-Schwefeldisulfid-Verbindung forschten, nichts erfüllte alle Wünsche restlos. Heute setzt Odersun auf Kupfer als Grundstoff. Das sei billiger als Silizium, sagt Koschack, ein Stoff, der unter viel Energie aus Quarzsand hergestellt werde. Und es sei kein Schwermetall, wie Cadmium oder Tellur. Auch wenn Koschack keine Krawatte, sondern ein Koppelgürtel kleidet, so ist er eher Geschäftsmann als Umweltbewegter. Letztlich, meint er, sei es wie an der Börse: Nur wer auf den richtigen Stoff setzt, gewinnt.

Wie ein Toastbrot mit tausend Scheiben

Odersun baute im Juli vergangenen Jahres mit chinesischen und britischen Geldern eine kleine Fabrik. Dann holten versierte Landesbeamte die amerikanische Firma First Solar an die Oder. Sie winkten mit Subventionen aus Brüssel, warben mit dem Erneuerbare-Energiengesetz und lockten mit einer nahen Autobahn nach Berlin. Und Frankfurt tut das Seine. Die Bildungswerke stellen die Lehrgänge um: mehr Mechatronik, mehr Frästechnik, mehr Konstruktionsmechanik sollen unterrichtet werden. Man müht sich um Forschungszentren, während die Viadrina Praktikanten schickt und auf Wissenstransfer setzt, ebenso ein hiesiges Leibniz-Institut.

Doch es gibt Befürchtungen, einige Fabriken seien Profit Center, nur gemacht um Subventionen abzugreifen. Manchem erscheint es möglich, dass in zehn Jahren nur noch Ruinen stünden, wenn nicht intensiv weiter geforscht werde. Denn die Konkurrenz werde größer, das Geschäft komplizierter, die Subventionen geringer und der Markt riskanter. "Ob die Solarstadt ein Erfolg wird und ob wir auf die richtigen Werkstoffe setzten, muss sich erst erweisen", sagt Koschack. Dem Silizium bescheinigt er jedenfalls keine große Zukunft. "Langfristig wahrscheinlich zu teuer."

Noch sieben Minuten. Die Techniker im Conergywerk warten bereits vor der Säge, schauen hinein, zücken ihre Fotohandys, blicken kurz auf den Monitor neben der Apparatur, der Geschäftsführer kommt. 17:17 Uhr, endlich ertönt das Signal und eine Ampel an der Säge blinkt grün auf. Langsam wird der Siliziumblock an seiner Glasaufhängung aus der Säge gezogen, vorsichtig, denn nun ist das Halbmetall in Scheiben zerschnitten. Dann hängt es da wie ein tausendfach aufgeschnittenes Toastbrot, die Kühlflüssigkeit tropft noch, prüfende Blicke.

Während der Block in ein Bad getaucht wird, entspannen sich die Mienen, man flaxt wieder. Die Säge hat nicht gezickt. Und Geschäftsführer Sylvère Leu doziert: "Uus diesem Block enstönt jetzt Solarzälle, die es Einfamiliehuus es ganzes Johr mit Strom versorge chönd." "Inklusive Radio", ergänzt einer, "und Fernseher", ein anderer, "und Mikrowälle", setzt Leu drauf, "und Telefon", "und Playstation", "und Wöschmaschine" ...


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