Er will jetzt nicht jubeln, nicht groß reden und für ein Foto posieren. Robert Zion, der Mann, der gerade die Grünen-Spitze um Bütikofer und Roth sowie die Fraktionsführer Künast und Kuhn mächtig düpiert hat, will einfach nur weg, raus aus der Lokhalle, aus Göttingen, nur aus der Partei, aus der will er keinesfalls mehr. Kurze Interviews gibt er, drei, vier Fragen, unsicher reibt er sich vor einer ARD-Kamera mit der Hand am Hals und sagt, als Sieger oder Revolutionär sehe er sich jedenfalls nicht. Dabei forderte er mit seinem Antrag A-05neu eine Abkehr von der Afghanistanpolitik des Altvorderen Joschka Fischer und mahnte die Abgeordneten, sich im Bundestag bei der bevorstehenden Abstimmung über das gekoppelte ISAF-Tornado-Mandat zumindest zu enthalten.
Bei den Grünen ist Robert Zion ein linker, und so gibt er sich auch: die Haare kraus, der Nadelstreifenanzug ungebügelt, am Revers ein Attac-Zeichen; Zion ist 41 Jahre, studierter Philosoph. Er war bisher ein fast Unbekannter, der es gerade mal geschafft hat, sich in Gelsenkirchen zum umweltpolitischen Sprecher aufzuschwingen; für Außenpolitik interessierte er sich weniger als für Sozial- und Wirtschaftspolitik. Und so einer wagt es mit einer gewieften, zwölfminütigen Rede, dem Vorstand die größte Krise beizubringen und ihm zu zeigen, wie sehr er sich von der Basis entfremdet hat. Nach vier Stunden Debatte und gut 40 Redebeiträgen verkündete am vergangenen Samstag um 17:23 Uhr eine reichlich bleiche Präsidentin des Sonderparteitages fast tonlos das Votum der Delegierten - 264 Stimmen für den Antrag des Vorstandes, 361 für den von Zion.
Es ist das erste Mal, dass der Vorstand so herb gescheitert ist und nicht wenige springen auf, klatschen, fallen sich in die Arme und reden von "Befreiung" und davon, dass jetzt die "Dinge wieder zurechtgerückt" würden, dass es mehr Debatten über Kriegseinsätze gebe und Argumente entscheidender seien als Charisma. So gesehen ist Göttingen ein Abschied von Rostock, wo sich 2001 die Pazifisten stritten und den Realos unterlagen; es ist aber auch eine Rückkehr zum Beschluss des Parteitages von Köln im vergangenen Jahr. Dieser forderte, dass Kampfeinsätze nicht ausgeweitet werden sollen und die ISAF-Strategie geändert werden müsse. So pauschal wollten sich dem im März die 26 Tornadobefürworter nicht anschließen und stimmten mit der Regierung. Tornados seien ja keine Waffen.
In NRW hatte das Desaster für die Parteispitze begonnen: Als erster forderte der dortige Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel deren Rücktritt. Er überzog und verließ die Partei. Da warb Robert Zion aber bereits für einen Sonderparteitag, weil er den Köln-Beschluss verletzt sah, die Basisdemokratie missachtet und den Pazifismus angeschlagen. An seinem Antrag schrieben Basisgrüne aus Münster, Eisenach, Hagen und Hessen mit.
Bütikofer war bald gewarnt. Völlig unüblich meldete sich dieser bei Kreisverbänden und wollte mit Charme, Verve und Witz wieder die Basis einfangen. Die aber tobte. Dass es gelang, die erforderlichen zehn Prozent aller Kreisverbände auf einen Sonderparteitag einzuschwören, lag vor allem an linken Verbänden in NRW, Niedersachsen und Berlin, die auch in Göttingen dominieren.
In der Lokhalle präsentiert Reinhard Bütikofer den Antrag des Vorstandes: Er schwitzt, schimpft auf Merkel, die endlich einen Strategiewechsel einleiten solle, und fordert ein Ende der militärischen Operation Enduring Freedom. Aber das alles ist ohnehin Konsens. Dann hebt er den Finger und ruft: "Afghanistan aufgeben, ist keine Alternative"; jeder Abgeordnete solle so votieren, wie es das Gewissen verlange. Applaus, vor allem von Delegierten aus Hessen. Bütikofer setzt sich, wischt sich Schweiß von Stirn und Brille; er will jetzt nicht angeherzt werden, auch nicht von Claudia Roth. Er ist angespannt.
Doch Bütikofer hat starke Verteidiger: Ralf Fücks, der eloquente Chef der Böll-Stiftung, fläzt sich hinters Rednerpult, Renate Künast steht stramm, Fritz Kuhn schaut gequält, Thea Dückert auch, Anna Lührmann weiß, wie Außenpolitik gemacht wird, und Hans-Joachim Preuß, der Generalsekretär der Welthungerhilfe, wird nach der Rede heftigst von Claudia Roth geknuddelt. Warum nur? Sie alle argumentieren ähnlich: Luftaufklärung sei notwendig, damit der Wiederaufbau geschützt werde; sie warnen vor Oppositionsreflexen und billigem Nein-Sagen und meinen, die Grünen seien wichtig für die Hegemonie in der Debatte, sie erinnern an das Leid der Frauen und daran, dass die UNO unterstützt werden müsse. Applaus. Aber niemand ist euphorisiert.
Während die Fachpolitiker und Tornadoablehner Winfried Nachtwei und Jürgen Trittin ans Pult treten, redet sich Daniel Cohn-Bendit vor Journalisten warm. Als Nachtwei die Friedensdemonstrationen, in Berlin begrüßt, mault Cohn-Bendit: "Ja, ja, ich begrüße, was redet der da nur?" Über Trittin sagt er : "Jürgen hat die Partei mit seiner Rede in den Bauch getroffen, aber er traut sich nicht, sie zu führen." Tatsächlich poltert Trittin enorm, wirbelt wild mit den Armen, verurteilt die Tornados ("75 Millionen Euro für was?"), wirbt für ISAF, aber er laviert und zeigt damit, wie uneinig sich die Diadochen in Fraktion und Partei sind.
Daniel Cohn-Bendit gibt auf der Bühne den Überzeugungstäter: Ja zu ISAF, Ja zu den Tornados, Ja zu mehr Militär! Eine verwegene Position, die ihm "Buhs" einbringt. Aber, meint er, die Realität lasse sich nicht wegbuhen. Es ist, als wolle er die Partei über den rechten Flügel aufwiegeln, um so den Delegierten die letztlich schwache Position des Vorstandes schmackhafter zu machen. Er übertreibt, als er ins Mikrofon säuselt: "Ich kann ja verstehen, dass ihr Angst habt." So etwas bringt selbst Realos gegen ihn auf.
Robert Zion hat da schon seine Rede gehalten: Er kannte sie auswendig, schaute ins Publikum, sprach mal laut, mal beschwörend und einmal zu Bütikofer, der eine Weile aufschaute - und sich dann einen Kaffee bei Trittin holte. Was Zion forderte, orientierte sich strikt am Kölner Beschluss: Nein zu OEF, Nein zu den Tornados, Ja zu einer neuen, zivilen Strategie für ISAF; von Ausstieg redete er nicht. So lange es keine neue Strategie gebe, müsse man ablehnen dürfen. "Welche Bundesregierung würde sich unter Druck gesetzt fühlen, wenn die Opposition immer für ihre Politik stimmt?" Das zündete, traf die Basis in den Bauch und riss sie mit.
Plötzlich ist alles vorbei - keine Änderungsanträge mehr und keinen extra Rüffel für Parteichef Bütikofer. Vor der Halle sammeln sich die, die sich wohl nicht als die größten Verlierer sehen: Winfried Nachtwei scherzt, Jürgen Trittin spricht mit dem Handy, Christian Ströbele und Winfried Hermann streunen umher, Volker Beck ist auch da - und Robert Zion zieht an einer Selbstgedrehten, den Koffer zur Abfahrt bereit in der Hand. Er will weg - und landet dann doch in einer Kneipe.
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