Alles unter Kontrolle

Werbung Wer auf PR-Tour ins Reich der russischen Energiewirtschaft geht, lernt: Gazprom fürchtet sich vor nichts – außer vielleicht vor schlechter Presse

Im Kontrollraum im zweiten Stock des blauverspiegelten Gazprom-Turmes in Moskau herrscht Stille. Mal drückt jemand auf seine Computer-Maus. Dann ist ein Klicken zu hören. Zuweilen blickt jemand von seinem Monitor auf und sieht an die Stirnwand des Raumes auf einen fußballtorgroßen Bildschirm: eine digitale Karte von Eurasien. Darauf ziehen sich Hunderte Linien entlang – vom Polarkeis nach Sibirien, weiter über den Ural nach Minsk, Berlin bis Spanien.

Mit stoischer Ruhe bewacht hier eine Hand voll Männer 160.000 Kilometer Pipelines. Diese transportieren einen flüchtigen Stoff, der seit vier Jahrzehnten ein transkontinentales Milliardengeschäft befeuert. Und über den es alle paar Winter zu internationalen Zerwürfnissen kommt: Es geht um das Erdgas aus der Tiefe Russlands.

Dies ist die Geschichte von drei Begegnungen mit Menschen aus der Welt der russischen Gaswirtschaft, mit dem Moskauer Konzernlenker Alexander Medwedjew, dem sibirischen Werksleiter Evgeny Zilyaev und den Ingenieuren einer abgelegenen Station in der Weite der Taiga. Sie eint die Zuversicht, dass das Gas der Welt mehr Fortschritt als Abhängigkeiten bringt – und sie wollen, dass die Menschen im Westen endlich die Angst vor dem russischen Gas verlieren.

Ein Empfangssaal, etliche Stockwerke über dem Kontrollraum, nicht weit unter der Turmspitze der Moskauer Gazprom-Zentrale bei Alexander Medwedjew. Er ist Vizepräsident, zuständig für das Europageschäft und gilt damit als eine Art Außenminister. Sein Konzern ist der größte Gasexporteur der Welt, Umsatz zuletzt: 70 Milliarden Euro. Medwedjew hat eine Gruppe von jungen Journalisten in einen aristokratisch anmutenden Empfangssaal geladen, der von einem imposanten Kristallleuchter erhellt wird. An den Wänden hängen Landschaftsgemälde und goldverzierte orthodoxe Ikonographien, an der Wand lehnt ein schwarz-weiß-gepixeltes Pop-Art-Bild des russischen Präsidenten. Es ist ein Raum, der einem Fragen nach der Macht des Konzern und seinen Verquickungen mit der Politik geradezu aufdrängt.

Medwedjew blickt durch eine randlose Brille in die Runde. Dann beugt er sich sacht über den polierten Konferenztisch. „Die Politik wird in unser Geschäft immer involviert sein“, sagt er und zählt Staaten auf, die es kaum anders handhaben: „Frankreich, Norwegen, China.“ Dann wippt er in seinen Lederstuhl zurück und gibt den Blick frei auf eine Vitrine, in der eine Supermannfigur posiert.

Erdbeeren und Warsteiner

Medwedjew ist ein Manager, der mit geschmeidigem Gang auf heiklem Parkett wandelt. Er kennt seine Macht: „Nur drei Staaten haben langfristig Gasressourcen – Katar, Iran, Russland.“ Kein Wunder, dass manche Beobachter den Konzern als einen Leviathan sehen, der mit seinen Pipelines nach Westeuropa greift, es an sich zurren und kontrollieren will – so zumindest sieht das dort verbreitete Bild aus. Wenn Medwedjew wollte, könnte er es zur Beruhigung seiner Zuhörer umkehren: Denn Russland ist wiederum abhängig von den Devisen, die aus dem Westen fließen; so gesehen knotet die EU den russischen Riesen an sich und bedient sich dessen Naturressourcen.

Doch über solche Thesen will sich der Manager im Moment nicht den Kopf zerbrechen. Medwedjew spricht lieber über Fußball: „Schalke 04, ich mag, wie sie spielen,“ erklärt er das Engagement von Gazprom als Sponsor. Außerdem seien die früheren Kumpel im Energiesektor tätig gewesen. „Natürlich ist da auch das Blau“, sagt er. Seit jeher war das die Farbe von Gazprom wie von Schalke. Schließlich lässt er noch ein Wort fallen, das die Journalisten auf ihrer Reise durch Russland immerzu begleiten wird: „Umweltschutz“.

Surgut, im Westen Sibiriens, 2.200 Kilometer nordöstlich von Moskau, ungefähr auf dem Breitengrad von Stockholm und dem Längengrad von Neu Delhi: Anflug um 3.30 Uhr, ein fast tagheller Morgen. Im Kleinbus geht es ins Zentrum. Nach und nach schält sich eine Stadt von schmuckloser Funktionalität aus dem Nebel: karréförmig angeordnete Plattenbauten, manche Brandmauern sind mit grellen Werbebildern behängt. Darauf abgebildet: Pipeline-Arbeiter oder schwarzhaarige Operndiven. Vor einem Hotel stehen vom Wind zerrupfte Plastikpalmen, im Stadtzentrum ein Nachbau von Big Ben.

Traum von der beherrschten Natur

Surgut steht für den Traum von der Beherrschung der Natur: In vier Jahrzehnten ist die Einwohnerzahl von 10.000 auf 300.000 emporgeschnellt. Viele arbeiten für die Rohstoffkonzerne Gazprom, Lukoil und Surgutneftegaz. Sie verdienen so gut, dass Surgut – nach Moskau und St. Petersburg – die drittreichste Stadt des Landes ist. Ein „Dubai des Nordens“, heißt es hoffnungsfroh. Selbst jetzt, da es nachts schneit, werden Erdbeeren verkauft, Gemüse und Champagner aus Frankreich, Warsteiner aus dem Sauerland.

Es ist kühl, Anorakwetter. Nur der See vor dem Wärmekraftwerk GRES-2 dampft vor Hitze. Seit 2007 gehört das Werk mehrheitlich zum Strom-Imperium von Eon. Damals wurde der Strommarkt privatisiert, und seither dockt der deutsche Stromkonzern mitten in Russland an die Welt von Gazprom an.

Am Eingang schüttelt Direktor Evgeny Zhilyaev die Hände der Journalisten und bittet herein. Die Journalistinnen dürfen folgen. Zhilyaey ist ein zurückhaltender Mensch mit der hünenhaften Figur eines Ringers. Am Abend wird er scherzen, dass er die Kälte mag und es ihm in der Ukraine, seiner Heimat, zu warm gewesen sei. Dann wird er zum Fisch-Carpaccio mit Wodka anstoßen – „auf den Journalismus und unsere Freundschaft“.

Jetzt aber referiert er erst einmal über Technik. Er erzählt von 4.800 Megawatt Leistung, von Rekorden in der Stromerzeugung, von immer effizienteren Gasturbinen und neuen Kraftwerksblöcken, die bald betriebsbereit seien. Es ist eine Geschichte vom Aufstieg einer Industrie. Ohne jeden Anflug von Triumph im Gesicht meint er: „Ich glaube, dass kein Kraftwerk der Welt solche Kapazitäten hat.“

Nur ausgewählte Fragen

GRES-2 ist ein Symbol der Macht der UdSSR wie des neuen Russlands: Die ersten Blöcke, errichtet in Rekordzeit in den 1980er Jahren, deckten einen Bedarf, der fünfmal höher war als heute. Dann brach die UdSSR zusammen, und die Menschen in Surgut sollten fortan für das Gas in ihrer Heizung zahlen – obwohl sie ganz Westeuropa belieferten! GRES-2 schien ein Monsterrelikt eines wahnhaften Wirtschaftsplanes zu sein. Doch heute giert die Industrie wieder nach mehr Energie. So steht das Werk erneut für das Versprechen auf eine bessere Zukunft.

Am Ende seines Vortrages erwähnt auch Zilyaev jenes Wort, das Medwedjew so wichtig war: „Umweltschutz.“ Zilyaev blickt von seiner Mappe auf. Vielleicht um zu sehen, wie die Journalisten reagieren, vielleicht aber auch um sich zu versichern, dass das Wort den Mitreisenden aus der PR-Abteilung befriedigt. Der Ingenieur verweist nur auf eine ISO-Norm mit der Nummer 14000. Das reicht ihm. Auch Präzision kann ja manchmal Ängste abbauen.

„Nun ihre Fragen“, sagt Zilyaev und klappt seine Mappe zu. „Aber nur zum Vortrag“, grätscht der PR-Mann dazwischen. Soll heißen: keine Politik.

Erneuerbare Energien? Zilyaev grinst: „Unser Gas reicht noch zwei Jahrhunderte.“ Nächste Frage.

„Herr Direktor, es heißt, Russlands Energiereichtum sei ein Segen wie ein Fluch. Wie sehen Sie das?“ Der PR-Mann rollt mit den Augen. Zilyaev antwortet bündig: „Ich will meine Energie zu einem guten Preis verkaufen.“


Ach, die Journalisten, meint der Direktor später an der Baustelle des neuen Kraftwerkblocks, wo Bagger ihre Spuren in die Taiga drücken. „Wissen Sie, wir zeigen unsere modernste Turbinenhalle, und dann wird geschrieben, dass der Weg dorthin über eine schlammige Piste führt.“ Er schüttelt den Kopf und blickt den Bauleuten nach, die derzeit in Schichten rund um die Uhr arbeiten.

Wer raus zu den Ingenieuren will, die in der Taiga die Gaspipelines betreuen, muss in den Hubschrauber. Ruckelnd und wummernd schraubt er sich immer höher, 100, 200, 300 Meter. In der Ferne entsteigen Wolkenschwaden aus Zilyaevs Wärmekraftwerk und ziehen auf breiter Front über Surgut hinweg.

Dann dreht der Hubschrauber ab und donnert 100 Kilometer gen Süden. Eine verwunschene Welt offenbart sich. Unzählige Seen und Seitenflüsse des mächtigen Ob funkeln im Sonnenlicht; der Strom ist breiter als Donau und Rhein zusammen. Nadelbäume stehen beisammen, Grasweiden dehnen sich aus. Eine Erde im Urzustand. Eine grandiose Trostlosigkeit bis zum Horizont.

Fahrzeugspuren winden sich durch die Landschaft. 40 Jahre lang, erzählt ein Begleiter, prägten sie sich in den Permaboden ein. In das Gedächtnis einer empfindsamen Region. „Manchmal sieht man Bären“, brüllt der Co-Pilot. Einmal teilt eine Pipeline die Endlosigkeit der Taigasümpfe. Was man nicht sieht, sind die gigantischen Öl- und Gasvorkommen der Region. Sie lagern unter Tage.

Schließlich steuert der Hubschrauber ein umzäuntes Waldstück an, in dem eine Art Sporthalle steht. Röhren und Schornsteine ragen aus dem Gebäude heraus. Drinnen wird Gas in mannshohen Turbinen auf 75 bar Druck verdichtet. Mit 40 km pro Stunde fließt es anschließend in der Röhre weiter gen Europa, wobei es mit jedem Kilometer an Druck verliert. Nach 200 Kilometern muss es erneut verdichtet werden.

„Schreiben Sie gut über uns“

Mit solchen Stationen begann im Kalten Krieg ein wichtiger Tauschhandel zwischen Westdeutschland und der UdSSR: Während Mannesmann 1979 diese Anlagen baute, wurde erstmals russisches Gas geliefert. Seither haben sie Temperaturen von minus 50 bis plus 40 Grad Celsius standgehalten. „Unsere Anlage läuft gut, Mannesmann läuft gar nicht mehr“, scherzt ein gut gelaunter Ingenieur.

150 Menschen arbeiten an der Station, immer für zwei Wochen in Zwölf-Stunden-Schichten. 1100 Euro erhalten sie monatlich, doppelt so viel wie ein russischer Durchschnittslohn. Dafür erdulden sie Schneemassen wie Mückenschwärme. Sie wohnen in Kastenbauten, die wie eine Wagenburg um eine Kapelle errichtet sind. In einer kleinen Halle ziehen sie Kräuter und in einem Laden gibt es von Zeitschriften bis Schokolade fast alles – außer Wodka.

Jetzt aber genug, die PR-Abteilung drängt zum Weiterflug. Es geht zu einer betriebseigenen Nobel-Blockhütte an einem See. Was nun folgt, scheint auf die Minute präzise getimt: Alles folgt offenbar einer genauen Choreographie. Es ist der Abschluss der Anti-Angst-Offensive.

Der Hauswart serviert Kaviarhäppchen, gefüllte Wachteln, Filet vom Stör. Dabei schenkt er aus einer eisbeschlagenen Drei-Liter-Flasche honigfarbenen Pinienwodka aus. Jemand von den Gastgebern erzählt einen Breschnew-Witz. Dann ist es an den Journalisten: Sie toasten „auf die russische Seele, die man nur in der Provinz findet“. Die PR-Leute nicken zufrieden. Ein weiteres Toast der Gastgeber, dann wieder die Journalisten.

Plötzlich steht die PR-Chefin auf, ruckt sich zurecht, bedankt sich und sagt während ihres Toastes direkt: „Schreiben Sie gut über uns.“ Es klingt wie ein Befehl – vielleicht auch wie ein Flehen. Man weiß es nicht. Nun aber, bittet sie höflich, ein deutsches Volkslied!

Dirk Liesemer ist freier Journalist und hat die beschriebene Recherchereise nach Russland mitorganisiert

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