Ararat, klingt nicht schon dieses Wort nach archaischen Mythen, nach uralten Geröllhalden? „Ich ertappte mich dabei, wie ich gern 'Ararat' aussprach“, notiert Frank Westerman in seinem Reportagebuch über den mythenbeladenen Berg im Osten der Türkei, an dem einst Noahs Arche gestrandet sein soll. So ein Wort wie „Ararat“, schreibt er emphatisch, lasse sich nicht flüstern. Die beiden R's rollten so geräuschvoll wie eine Steinlawine auf einem weiten Abhang.
Seit jeher ist der Ararat ein heiliger Ort für Gläubige und Mystiker: Der Ort, an dem Noahs Arche gestrandet sein soll. Die Armenier nennen ihn den „Masis“, der Mutterberg. Ihre Kirche postuliert dessen Unbezwingbarkeit. Aber auch in der politischen Geographie der Mä
gbarkeit. Aber auch in der politischen Geographie der Mächte ist er eine kaum bezwingbare Scheidewand.Kurden und Türken, Armenier und Aserbaidschaner ḱämpfen um seine Hänge. Im Kalten Krieg spähte die Nato von den Gipfeln aus weit in die UdSSR hinein. Heute gelingt es türkischen Truppen kaum, dort Touristen vor Entführung zu schützen.Der niederländische Autor und Journalist Frank Westerman hat den Ararat erkundet und ein sehr persönliches Buch verfasst, das vom populären Thema Glauben und Wissen handelt. Als Ungläubiger begibt er sich auf eine Pilgerreise ins Grenzland zwischen Ost und West.Am Fuße des BergesErörtert dabei geologische wie vulkanologische Theorien und trennt religiöse Wahrheiten von kreationistischen Behauptungen. Seine eigene Standhaftigkeit will er testen: Wird man auf solch einer Reise zu einem Gläubigen? Wie wirken am Fuße des Berges all die Mythen auf einen Atheisten?Auf der Wanderung begegnet er amerikanischen Archesuchern und postatheistischen russischen Priestern, aber vor allem aber sich selbst. Wie merkwürdig, stellt er bald fest, dass kaum ein Besucher des Ararats aus einem streng religiösen Staat komme und kein Scheich je sein Geld in eine Expedition nach der Arche gesteckt habe.Dabei sei der Mythos in islamischen Ländern so bekannt wie im Westen. Die Suchenden reisten aus Ländern an, in denen Staat und Kirche getrennt sind, Amerikaner, Schweizer, Südkoreaner. „Je wohlhabender ein Land und je mehr Abtrünnige es zählte“, schreibt er, „desto mehr Archeologen erzeugte es.“Westermans Buch Ararat ist denn auch kein Reisebericht im Sinne eines Bruce Chatwin oder Ryszard Kapuscinski. Es ist weniger ein Augenzeugenbericht, keine Landeskunde, als vielmehr ein stilvoller, literarischer Ausflug in die Welt der Gleichnisse, Projektionen und religiösen Empfindungen.Der Leser erfährt dabei recht viel über einen Autor, der irgendwie am Glauben zweifelt und dem Wissen nicht mehr vertrauen will. Das Subjektive prägt dieses Buch, die Landschaft, die Menschen verschwimmen kulissenhaft und bleiben allzu konturlos.Westerman ist weniger von religiöser Sinnsuche getrieben, als von einer ungebrochenen, fast kindlichen Neugier an Mythen und Theorien. Es irritiert es ihn, gesteht er, dass man zu einem biblischen Ort reisen könne. Einem Ort, dessen Geschichten nicht weniger unumstößlich seien als dessen Koordinaten. „Natürlich glaubte ich nicht, dass die Arche dort drüben lag“, schreibt er, „aber die Tatsache, dass man 'dort drüben' sagen konnte, ließ mich nicht unberührt.“Bereits während der Recherche betrachtete er all die Erzählungen über die Sintflut „als einen großflächigen Teppich, der auf einem Webstuhl gespannt ist“ – von den Heldendichtungen über das Gilgamesch Epos zu den Geschichten der Bibel.Westerman will daran mitweben, assoziiert daher Gelesenes wie Erlebtes und schweift öfters und manchmal zu ausführlich in die Geschichte seiner Familie ab, was befremden würde, wären diese Passagen weniger beiläufig und sinnfällig. So aber webt er die eigene Geschichte in den großen Teppich der Welterzählungen ein.Zugleich zeigt seine Familiengeschichte exemplarisch, wie moderne Gesellschaften von Generation zu Generation ihren Glauben ablegten: Den Großvater, Jahrgang 1903, scherten keine Theorien über das Erdalter: „Hundert Millionen? Was für ein Unsinn! Rechnen Sie doch einfach nur die Geschlechtsregister seit Adam nach.“Noch die Mutter, geboren 1934, sei im Sessel erstarrt als sie in einer Hausarbeit des Sohnes liest: „Obgleich der Mensch vom Affen abstammt.“ Für Westerman war Religion in der Schule bereits eine „nie endende, von Menschen erfundene und inszenierte Vorstellung“.Schotterzunge am TalbodenDas Wissen, mit dem er sich so gern habe impfen lassen, habe wie ein Serum gegen den Glauben gewirkt, schreibt er so nüchternen Tones, dass kein Verlust zu spüren ist.Kaum verwunderlich, dass der studierte Hydrotechnologe seine Reise denn auch wie ein Experiment inszeniert. Seinen Unglauben möchte er auf die naturwissenschaftliche Probe stellen. Er hofft auf Verzauberung, dabei gelingt es ihm kaum, beim Anblick des Berges in einen „lyrischen Zustand“ zu verfallen, zu desolat sei der Blick.Ein paar Mal fotografiert er die Schotterzunge am Talboden, um später zu entscheiden, ob es sich beim Ararat um einen tätigen Vulkan handelt oder doch nur um eine Gletschermoräne, was ein Zeichen für den Anstieg des Meeresspiegels wäre. „Vor der nächsten Sintflut“, wie er lakonisch mitteilt.Es waren die religiösen Mythen, die Westerman anzogen. Als er sieht, wie diese am Fuß des Ararats touristengerecht vermarktet werden, ist er geerdet.Seine Ernüchterung spiegelt sich auch im Buch wieder: Hieß das erste Kapitel verheißungsvoll „Masis“ (Mutterberg) so firmiert das letzte unter dem profaneren Titel „Der Schmerzensberg“, wie die Türken den Ararat nennen. Die Wirklichkeit ist ästhetisch halt weit weniger reizvoll als eine gut erzählte Geschichte; ein Mythos nur solange mächtig wie ihn niemand zu Nahe kommt.Das Mystische lässt sich halt nicht erwandern, es lässt sich nur erzählen. Ein neues Shangri-La hat Westerman am Ararat jedenfalls nicht ausgemacht.
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