Es war so etwas wie ein steuerpolitischer Crash, ein Unfall, der sich da am 11. September in der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen zur Grundsteuerreform im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zutrug. Diese ließen kaum ein gutes Haar am Gesetzentwurf aus dem Ressort des SPD-Bundesfinanzministers.
Dass Olaf Scholz überhaupt unter Zugzwang steht, liegt am Bundesverfassungsgericht, das am 10. April 2018 die noch geltende Grundsteuer für verfassungswidrig erklärt hat. Überraschend war das nicht: Derzeit dient ein „Einheitswertverfahren“ als Grundlage für die Grundsteuerberechnung, die von einer Schätzung des Immobilienwerts zum Stichtag im Jahre 1964 (West) bzw. 1935 (Ost) ausgeht. Natürlich haben die daraus errechneten Werte mit den tatsächlichen heutigen Verkehrswerten von Immobilien nicht viel zu tun.
Bis Jahresende muss also ein neues Gesetz stehen, so hat es das Bundesverfassungsgericht dem Finanzminister auferlegt, sonst darf die Grundsteuer nicht mehr erhoben werden. Dann würde die nach der Gewerbesteuer zweitwichtigste kommunale Steuerquelle versiegen. Dem nach Jahrzehnten von Reformdiskussionen endlich auf den Weg gebrachten Gesetzesvorhaben drohen aber gleich an mehreren Stellen Bruchlandungen.
Erstens möchte sich der Bundesfinanzminister mit dem Gesetzentwurf an Bewertungsverfahren für Verkehrswerte von Immobilien annähern. Er will die „objektive Leistungsfähigkeit“ der Eigentümer erfassen. Die Bewertungsverfahren sind aber sehr kompliziert, und die digitale Bereitstellung der erforderlichen Daten kommt nur schleppend voran. Bis 2024 muss das Vorhaben aber definitiv umgesetzt sein; sonst würde die zweite zeitliche Hürde des Bundesverfassungsgerichts gerissen.
Zweitens kann das von Scholz angedachte Bewertungsverfahren die Relation der Verkehrswerte auch nicht annähernd abbilden. Was bestimmt die Verkehrswerte? Im Wesentlichen sind dies drei Faktoren: Lage, Lage und noch mal die Lage. In guten Lagen sind die Mieten hoch, in einfachen Lagen entsprechend tief. Im Scholz-Modell findet bei der Bewertung von Wohnimmobilien jedoch kaum eine Differenzierung nach Lagen statt. Innerhalb einer Gemeinde werden dieselben amtlich ermittelten Durchschnittsmieten in Spitzenlagen wie in einfachen Lagen zugrunde gelegt. Die Folge: Immobilien in Spitzenlagen werden unterbewertet, in einfachen Lagen fällt der Grundsteuerwert hingegen zu hoch aus. Mit den amtlichen Durchschnittsmieten wollte Scholz offenbar einerseits die Steuererklärung vereinfachen, andererseits aber auch seinem Koalitionspartner und der Immobilienlobby einen Gefallen tun. Der Preis hierfür ist ein offensichtlicher Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Das Bewertungsverfahren wirkt regressiv und hat mit der Relation der Verkehrswerte nur wenig zu tun. Die heutige verfassungswidrige Grundsteuer droht durch eine neue, ebenfalls verfassungswidrige Grundsteuer abgelöst zu werden.
In der Anhörung wurde darauf verwiesen, dass das Problem einfach lösbar wäre, nämlich durch einen Verzicht auf die Einbeziehung des Gebäudes in die Grundsteuer. Eine Bodenwertsteuer ist sehr einfach umsetzbar, weil die Bodenwerte schon flächendeckend vorliegen. Gegebenenfalls könnte in besonders hochpreisigen Gebieten noch eine Bodenflächenkomponente hinzugemischt werden, um lagebezogene Belastungsunterschiede abzuschwächen. Tausende von Finanzbeamten könnten so für sinnvollere Tätigkeiten eingesetzt werden. Doch die Immobilienwirtschaft scheut die Bodenwertsteuer wie der Teufel das Weihwasser, und auch von den politischen Entscheidungsträgern wurde diese Option beharrlich ignoriert.
Drittens dürfte der Bund gar nicht mehr das Recht haben, ein neues Grundsteuer- und Bewertungsrecht zu erlassen. Diese Befugnis muss ihm erst über eine Grundgesetzänderung erteilt werden. Hierfür fehlen der Großen Koalition aber die erforderlichen Mehrheiten im Bundestag, man ist auch auf Stimmen aus den Oppositionsparteien angewiesen. Zudem muss der Bundesrat zustimmen.
Kuddelmuddel Nr. 6
Als ob das alles nicht genug wäre, muss viertens das Grundgesetz auch wegen der sogenannten Länderöffnungsklausel geändert werden, die von der CSU durchgesetzt wurde. Hiernach sollen die Länder das Recht bekommen, eigenständige, vom Bundesmodell abweichende Grundsteuergesetze zu erlassen. Einige Bundesländer haben schon signalisiert, dass sie die Öffnungsklausel in Anspruch nehmen wollen, weil ihnen das Scholz-Modell zu kompliziert ist.
Die Öffnungsklausel führt unmittelbar zum fünften Problem: dem Länderfinanzausgleich. Der Solidarausgleich zwischen den Ländern soll künftig ebenfalls auf Basis des Scholz-Modells stattfinden. Müssen dann aber auch die „Abweichler“ unter den Ländern für den Finanzausgleich das komplizierte Scholz-Modell in einer parallelen Schattenrechnung durchführen – und eventuell sogar ihren Bürgern dafür eine zweite Grundsteuererklärung abverlangen? Dies würde die Öffnungsklausel faktisch kaum mehr anwendbar machen. Aus der FDP-Bundestagsfraktion wurde schon gewarnt, dass man sich eine Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung unter diesen Bedingungen nicht vorstellen könne.
Die Diskussion um die Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf die Mieter ist das „Kuddelmuddel“ Nummer sechs. Nur eine Abschaffung der Umlagefähigkeit wäre mit dem Ziel des Gesetzentwurfs vereinbar, die Leistungsfähigkeit des Eigentümers zu erfassen. Vor allem die Immobilienlobby sieht die Grund- als eine Bewohnersteuer und lehnt die Abschaffung der Umlagefähigkeit ab, so wie sie jüngst der Berliner Senat im Bundesrat vorschlug; die SPD-Bundestagsfraktion will sie nun immerhin auf 50 Prozent begrenzen. Eine Bodenwertsteuer wäre eindeutig nicht mehr mit der Umlage auf die Mieter vereinbar; ein Grund mehr für Lobby und Teile der Politik, diese Option beiseitezuschieben.
So ergibt sich die Frage, was geschieht, wenn die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Fristen gerissen werden. Dann müsste die Gesetzgebungskompetenz an die Länder gehen. Das Verfahren ist allerdings teilweise noch unklar. Einige Länder arbeiten schon an einem „Plan B“, um sich auf den Grundsteuer-GAU vorzubereiten. Bislang findet allerdings auch hierbei die Bodenwertsteuer keine Beachtung. Stattdessen wird an die Besteuerung nur der Boden- und der Gebäudeflächen gedacht – unabhängig davon, ob sich die Grundstücke in guten oder einfachen Lagen befinden.
Die Grundsteuerreform ist bislang ein Irrflug, der mit einer Bruchlandung enden könnte. Der potenzielle Schaden ist weit größer als jährlich 14 Milliarden Euro Einnahmenausfälle für die Kommunen. Vielmehr wird eine Chance verpasst, das Land steuerpolitisch neu aufzustellen. Weg von der Besteuerung von Arbeit, Verbrauch und Investitionen – einschließlich Wohnraum –, hin zu einer stärkeren Belastung der Nutzung von Land und Natur. Der Weg: eine Bodenwertsteuer. Es bleibt die Hoffnung, dass diesbezüglich künftig auf Ebene der Länder Fortschritte erzielt werden können.
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