Die Werbung für das Labor der Schönheit klebt außen an einem der überfüllten Stadtbusse der Linie 116. Wen haben die Marketing-Experten mit ihren Plakaten für das Pekinger Füllige-Brust-Krankenhaus, wie es darauf heißt, wohl im Blick? Junge Frauen, die keine Lust mehr auf Gedränge wie in diesem Gefährt des öffentlichen Nahverkehrs haben? Die überhaupt nicht mehr Bus fahren müssen, weil sie einen Super-Job bekommen und sich einen Volkswagen oder Audi leisten können?
„Natürlich, so ist es”, sagt Xu Jing, eine 28-jährige Angestellte, deren Werbeagentur sich für den Telekommunikationsmonopolisten China Mobile verwendet. „Wenn ich mich um eine Stelle bewerbe, ist doch das erste, worauf die sehen, das Foto.“ Deswegen hat Xu Jing bei sich einen Eingriff vornehmen lassen, bei dem neben der Nasenwurzel die Augen größer geschnitten werden. Das Ganze dauerte keine 30 Minuten und kostete umgerechnet 500 Euro. „Ich tat es nicht nur wegen der Schönheit. Größere Augen wirken aufmerksam und wach. Und für jeden Job gibt es nun einmal so viele Bewerber!“ Computerkenntnisse sehr gut, Englisch holperig, Ausstrahlung mäßig – das trifft auf Tausende zu, die sich um eine lukrative Beschäftigung in Pekings Bürotürmen bemühen. Folglich müssen die Aspirantinnen nachhelfen, denn 30 Prozent mehr Einkommen stehen mindestens im Raum. In China ist eine per Operation gewonnene Schönheit sowohl ein Weg, Reichtum auszustellen, als auch ein Weg, überhaupt erst welchen zu erwerben.
Esst Holz-Melonen
Eine Brustvergrößerung käme freilich für Xu Jing nicht in Frage: „Das passt doch zu uns Chinesinnen gar nicht“, meint sie. Das sehen viele aus ihrer Altersklasse anders. 15 Prozent der Klientinnen der Pekinger Füllige-Brust-Krankenhauses entscheiden sich für eine Schönheitsoperation, um einen solventen Liebhaber zu finden, der ihnen einen BMW 520 Li oder Porsche Cayenne schenken kann. Wieder ein paar Plätze mehr frei im Bus.
Der volle Name des bewussten Hospitals lautet übrigens: Zum Forschungsinstitut für Luftfahrtmedizin gehörendes Krankenhaus Nummer 466 der Luftwaffe der Volksbefreiungsarmee. Die Hälfte des Personals, das auf der Website www.010fengxiong.com wie auf einem Laufband vorbei zieht, trägt deswegen auch keinen Arztkittel, sondern Armeeuniform. Weiter ist auf dieser Netzplattform zu erfahren, dass es natürlich durchaus möglich ist, durch den Verzehr vieler Papayas (wörtlich aus dem Chinesischen übersetzt: Holz-Melonen) die Brust zu dehnen, dies sei aber eine äußerst langsame Methode. Es bestehe die Gefahr, dass die in der Frucht enthaltenen „Fermente“ Fette und Eiweiße spalten und die Brust dadurch noch kleiner machen. Soll heißen: Operieren geht viel schneller und führt viel sicherer zum Ziel. Die Kosten liegen je nach Füllmaterial zwischen umgerechnet 800 und 5.000 Euro.
Laut Befragung von Sozialinstituten gibt es in China vorzugsweise zwei Gruppen von Kundinnen dieser Art Chirurgie: Welche im Alter von 20 bis 25, die auf eine steile Karriere hoffen, und jene zwischen 40 und 45, die jünger aussehen wollen. Über 15 Millionen Chinesinnen haben sich in den vergangenen fünf Jahren operieren lassen. Damit bietet China bei der Implantation von Schönheit einen der weltweit größten Märkte, dessen Wachstumsrate pro Jahr auf bis zu 200 Prozent geschätzt wird. Was eigentlich nur heißt, dass niemand etwas Genaues weiß. Feststeht trotzdem zweierlei: Dass es besonders seit der Wirtschaftskrise 2008 einen Sprung gab, und das Angebot der Nachfrage hinterher hinkt .
Tragödien bleiben bei dieser Selbstüberholung nicht aus, wie der Fall Wang Bei zeigt, einer bei diversen Talentshows mittelmäßig erfolgreichen „Superwomen“. Sie wollte – nicht anders als die zitierte Xu Jing – ihrer Karriere auf die Sprünge helfen. Singen und Tanzen konnte sie schon, doch hatte es bis zu ihrem 24. Geburtstag immer noch nicht mit einem Plattenvertrag geklappt. Sie vertrat die Auffassung, was ihr fehle, sei ein ovaleres Gesicht.
Bei einem Eingriff, der dazu verhelfen soll, werden in der Regel die Wangenknochen flach geschliffen und die Kiefernknochen auf einen 115-Grad-Winkel gesägt. Dabei kann es passieren, dass die Gesichtsmuskeln Schaden nehmen, und danach das ganze Gesicht schlaff herabhängt. Zum anderen gibt es Gefahren für die Blutgefäße. Werden die in Mitleidenschaft gezogen, gibt es Blutungen, die nur schwer zu stillen sind und zum Verschluss der Luftröhre führen können. Chen Huanran, einer der bekanntesten chinesischen Schönheitschirurgen, fordert deshalb schon seit Jahren, diese OP „bei gesunden Menschen nicht weiter zu popularisieren“. Manche Kliniken, so Chen Huaran, stellten aber gerade die heraus gesägten Kieferknochenstücke in durchsichtigen Glasbehältern zur Schau, um mit solcherart Expertise für sich zu werben. Das chinesische Gesundheitsministerium hat daraufhin eine Liste veröffentlicht, in der Schönheitsoperationen je nach Schwere und Risiko in vier Kategorien eingeteilt werden.
An ihrem Blut erstickt
Die von der aufstrebenden Sängerin Wang Bei gewünschte „Korrektur“ der Kieferknochen gehörte in das schwierigste und risikoreichste Segment (und darf in der Regel nur von besonders qualifizierten Ärzten vorgenommen werden). Wang Bei lag in Vollnarkose. Ihr Arzt bemerkte erst, dass es Komplikationen gab, als die junge Frau an ihrem Blut erstickt war. Bei polizeilichen Nachforschungen stellte sich heraus, das von Wang Bei gewählte Krankenhaus war gar keines, sondern besaß nur eine Zulassung als Praxis, auf deren Zulassungsurkunde die „Stufe II“ handschriftlich in „Stufe III“ nachgebessert worden war.
Leider kein Einzelfall: Nach Zahlen des chinesischen Verbandes für plastische Chirurgie werden zwischen 60 und 70 Prozent der Patientinnen „illegal“ behandelt. Bei einer Untersuchung in der nordostchinesischen Stadt Shenyang wurde festgestellt, dass 80 Prozent der Schönheitskliniken ihre Kompetenzen überschreiten. Es war dort schon ein glücklicher Umstand, wenn die Eingriffe überhaupt „professionell“ durchgeführt wurden, und nicht einfach eine Krankenschwester das entsprechende Toxin mit nach Hause nahm und es einer Klientin für den halben Preis unter die Gesichtshaut spritzte. Es kursiert eine Dunkelziffer von 200.000 im zurückliegenden Jahrzehnt verunstalteten Chinesinnen. Und um noch einmal auf Xu Jing zurückzukommen – auch wenn sie bisher noch keinen neuen Job fand, so hatte sie doch Glück, dass ihre neuen Froschaugen überhaupt gleich groß geworden sind.
Schöne Frauen in China brauchen nicht mit dem Bus zu fahren – gut zweitausend Jahre lang brauchten sie noch nicht einmal selbst zu laufen. Wenn sie es denn mit ihren abgebundenen „Lotosfüßen“ überhaupt gekonnt hätten.
Dirk Reetlandt beobachtet für den Freitag den Alltag im Reich der Mitte
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