Die Klassenspaltung innerhalb der Linken

Parteistreit Der innerparteiliche Kampf innerhalb der Partei Die Linke ist ein Konflikt zwischen verschiedenen Klassen-(Fraktionen).

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Im Zusammenhang um die Kandidatur Sahra Wagenknechts für den Listenplatz Nummer 1 auf der LINKEN-Landesliste zur Bundestagswahl und ihrem bald erscheinendem Buch „Die Selbstgerechten“ entzündet sich erneut die Diskussion um die Rolle von Identitätspolitik innerhalb linker Politik und der Strategie der Partei Die Linke. Die Positionen Wagenknechts und die ihrer KritikerInnen sind für alle in dutzenden Stellungnahmen und Social-Media Beiträgen einzusehen und brauchen hier nicht wiederholt werden.

Statt den Konflikt auf einzelne Personen und ihre Positionen zu reduzieren und darüber zu diskutieren welche Aussagen richtig oder falsch sind, lohnt es sich den Konflikt als einen Klassenkonflikt zu betrachten. Dies geht natürlich nur mit einem Klassenbegriff, der mehr soziale Großgruppen kennt als Proletariat und Bourgeoisie, denn:“ Beide Lager gibt es zwar, aber sie sind vielfach in Teilgruppen fraktioniert, sowohl sozialstrukturell als auch in ihren Bewusstseinsformen und politischen Auseinandersetzungen.“ (Vester 2019). Auch ist es notwendig, wenn uns das Verhalten von Klassen(-Fraktionen) interessiert, nicht bloß auf Einkommenshöhe oder die Stellung im Produktionsprozess zu blicken. Zu beachten wären auch und vor allem die Kultur der Klassen, ihre Lebensführung, Werte, Gesellschaftsbilder und Alltagspraktiken. So gesehen haben wir es nicht einfach mit einer Arbeiterklasse zu tun.

Das „Wagenknecht-Lager“ nährt sich einem solchen Verständnis an, wenn sie ihren innerparteilichen politischen Gegner in einer liberalen, urbanen Akademikerklasse verortet und sich selbst als Teil der „einfachen Leute“ versteht. Es scheint also ein Bewusstsein darüber zu geben, dass der Streit um Positionen eine soziale Grundlage hat. Die Analyse des Konflikts ist aber fehlerhaft. Zum einen wird suggeriert, dass die Urbanen und Akademiker schlicht und einfach Teil des liberalen Bürgertums wären. Dies übersieht wie sich in der Zeit der Bildungsexpansion und des post-industriellen Strukturwandels moderne Arbeitnehmermilieus herausgebildet haben.

Sie setzen sich zusammen aus den Generationen, denen es mal besser gehen sollte. Neben einem höheren sozialen Status beanspruchen sie für sich aber auch Werte wie Selbstbestimmung, Individualismus und Hedonismus. Das heißt nicht, dass sie sich nicht mehr für Solidarität und soziale Gleichheit interessieren würden. Vielmehr vereinen sie all diese Ansprüche miteinander. In sozialen Bewegungen betreiben sie Bündnispolitik mit VertreterInnen gehobener Milieus. Zu behaupten, dass sie dabei aber die Bedürfnisse und Nöte ihrer Herkunftsmilieus vergessen oder gar verraten würden geht an der Realität vorbei. Übersehen wird hier, dass eine solche Bündnispolitik immer auch ein Hegemoniekampf ist und viele AktivistInnen setzen sich dafür ein, dass in den progressiven politischen Bewegungen unserer Zeit die Stimmen der Unterdrückten nicht verloren gehen.

Eine weitere Fehleinschätzung der „Wagenknecht-Fraktion“ betrifft die eigene Selbsteinschätzung als VertreterInnen der eigentlichen Arbeiterklasse. Sprechen tun sie vor allem für den Teil der ehemals großen Industriearbeiterschaft, von denen viele in den letzten Jahrzehnten durch den Strukturwandel sozial abgestiegen sind oder sich hiervon bedroht fühlen. In dieser Gruppe konservieren sich die Kultur und die Werte des sogenannten nivellierten Mittelstandes der 50er bis 70er Jahre. Sie sehen nicht, dass sie selbst nur noch eine Fraktion bilden des übergeordneten Klassenlagers der Lohnabhängigen und suchen den Schulterschluss mit anderen „Moderniesierungsverlieren“ der kleinbürgerlichen Milieus.

Der wachsende Teil der Lohnabhängigen, der auch lebensweltlich ein neues Proletariat bildet, scheint sich derzeit weder vom „Wagenknecht-Flügel“ noch von ihren GegnerInnen angesprochen zu fühlen. Die Rede ist hier von den Abgehängten und den Beschäftigten in den „einfachen“ Dienstleistungsjobs: Den Hartz 4 EmpfängerInnen, den Reinigungskräften, Pflegekräften, VerkäuferInnen, ZustellerInnen, Angestellten in den privaten Sicherheitsdiensten etc.. Es sei erwähnt, dass es sich hierbei auch stark um den migrantischen und weiblichen Teil der Arbeiterklasse handelt.

Das Problem der Aktivierung, Organisierung und Vertretung dieser Gruppe ist die große Herausforderung linker Kräfte im 21. Jahrhundert. Von beiden Seiten gibt es Versuche auch hier Fuß zu fassen. Die einen wollen den Weg der „verbindenden Klassenpolitik“ gehen, die anderen wünschen sich Bewegungen wie die französischen Gelbwesten und meinen wohl leider sie bei den Querdenken zu finden.

Ob es eine Möglichkeit der Einigung gibt ist schwer zu sagen, denn die kulturelle Kluft ist tief. Wenn es hierzu aber Bemühungen geben sollte, dann nur wenn die Klassengrundlage des Konflikts in den Blick genommen wird. Das Abarbeiten an Personen und Schlammschlachten jedoch werden der Linken langfristig schaden.

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