Der Jemen in "Mainstream"- und anderen Medien

Trauriger Mainstream: Die Jemen-Berichterstattung der Mainstreammedien ist desolat und kaum existent. Alternative Internet-Medien haben sie in Ausführlichkeit und Qualität längst ersetzt.

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Nach über 60 Folgen von „Neue Artikel zum Nachlesen“ zum Jemenkrieg ist es Zeit, rückblickend einmal eine Zwischenbilanz zu ziehen.

Fazit 1:

Nach der Zahl der Kommentare zu schließen ist es offensichtlich nicht gelungen, größeres Interesse auch bei den Lesern des „Freitag“ für dieses Thema zu wecken – und das, obwohl es sich keineswegs nur um einen regionalen Konflikt in weiter Ferne handelt, sondern um einen der vielen schmutzigen Kriege des „Westens“, in enger Allianz mit einem der widerlichsten und gefährlichsten Regimes dieser Erde.

Das Thema hat also offensichtlich auch bei den Lesern des „Freitag“ (noch) nicht den nötigen „Dreh“ (oder „Spin“ auf Neudeutsch), die Ursachen mögen auch mit den folgenden Beobachtungen zusammenhängen.

Fazit 2:

Was die sog. „Mainstreampresse“ (die sich selbst gern als Qualitäts- oder Leitmedien definieren) in Deutschland seit Beginn des Krieges zum Thema Jemen abgeliefert hat, ist mit einem Wort gesagt ein Desaster. Das gilt freilich für die „Mainstreammedien“ im englischen Sprachraum nicht minder. Es existiert praktisch überhaupt keine Berichterstattung, die diese Bezeichnung verdienen würde. Der Jemenkrieg ist in diesen Medien so gut wie nicht existent. Die weitgehende Zerstörung eines ganzen Landes ist für sie kein Thema.

Auch äußerst blutige einzelne Ereignisse dieses Krieges mit bis weit über 100 Tote haben kaum Resonanz gefunden. Sie werden entweder überhaupt nicht erwähnt, oder – um es in ein typisches Beispiel zu packen – in einer 6-Zeilen-Meldung auf Seite 8 abgehandelt. Das betrifft Druck- wie Internetversionen der „Mainstreammedien“. Man vergleiche damit den Medienrummel um Ereignisse, seien es Attentate oder Unglücke, mit auch weit weniger Opfern in anderen Teilen der Welt, vor allem, wenn es sich um weiße europ-amerikanische Opfer handelt.

Auffällig war das etwa innerhalb der halben Woche im September, in der es im Jemen zwei Luftangriffe der Saudis mit jeweils etwa 50 Toten und einen mit um die 140 Toten – auf eine Hochzeitsgesellschaft in der Provinz Taiz gab. Ich habe in diesen Tagen die „Süddeutsche Zeitung“ vor allem deshalb studiert (und dabei auch gekauft, wenn es sein musste), um zu sehen, was eben darüber berichtet wurde. Ergebnis: Dreimal 100 % Fehlanzeige.

So etwas hatte ich schon vermutet – als ein trauriges Résumé zur desolaten Presse in Deutschland also das Bonmot, dass ich diese Zeitung gekauft habe, nicht aus Interesse daran, was in ihr steht, sondern aus Interesse daran, was nicht in ihr steht. Es mag dann jeder mit sich selbst ausmachen, ob er eine solche Zeitung wirklich noch braucht. Ich nicht.

Was man also bestenfalls bekommt, das sind gelegentliche Meldungssplitter, die für sich vereinzelt stehen, kaum etwas sagen und vom Leser in keinerlei Zusammenhang gestellt werden können. Aufklärende Berichterstattung, die Zusammenhänge sichtbar macht, gibt es noch seltener. Einige wenige Artikel müssen da schon als Highlights angesehen werden, ihre Wirkung auf das Publikum ist aber gering, da sie so selten sind und daher in der Masse der ständig einprasselnden „Informationen“, „Nachrichten“ oder „News“ , womöglich noch in einem der atemlosen „Newsticker“ konsumiert, völlig untergehen.

Das ist freilich ein Trend aller unserer „Mainstreammedien“: Überhäufung mit möglichst schnell hergezauberten „News“, die allerdings alle nur Nachrichtensplitter sind. Analyse, Hintergründe, die Verdeutlichung von Zusammenhängen kommen zu kurz, das auf jeden Fall dann, wenn diese unbequem sind und dem transatlantischen „Spin“ (den alle unsere „Mainstreammedien“ von der „Welt“ bis zur „taz“ mittlerweile haben) zuwiderlaufen (hierzu etwa der Vortrag „Warum schweigen die Lämmer?“ von Rainer Mausfeld: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/150806_Mausfeld.pdf).

Bei einer solchen Situation fällt ein Thema, über das so spärlich berichtet wird wie über den Jemenkrieg, dann ganz schnell hinten herunter (Trotzdem hier mal Danke etwa an Paul-Anton Krüger von der „Süddeutschen Zeitung“, es ist jetzt freilich auch schon lange her, dass etwas von Ihnen zum Jemen zu lesen war!).

Fazit 3:

Das gilt für die englischsprachigen „Mainstreammedien“ nicht anders als für die deutschsprachigen. The Guardian, die New York Times, die Washington Post und die vielen anderen Medien machen sich hier rar. Die BBC hatte einmal einen Korrespondenten in Sanaa, der dann eine sehr gute Dokumentation machte, und danach?

Die Folgen einer solchen Nicht-Information sehen dann so aus, und dazu kann man hingehen, wo man will, ob bei uns in Deutschland oder sonstwo:

„At the Stop the War demonstration in Bristol last night, surrounded by people who are interested in the Middle East and despairing of war, I found only two who knew anything significant about this brutal war in Yemen; most had not even heard about it. Shame on British politicians and the British media (https://www.facebook.com/yemennewstodayenglish/posts/1067622450056912). Nun, es sind nicht nur die britischen Medien.

Fazit 4:

Dann plötzlich holen manche als große Neuigkeit und Sensation das nach, was man schon seit Monaten oder sogar Jahren schon längst hätte wissen können. Typischste Titel in Bezug auf den Jemen: „Der vergessene Krieg im Jemen“ („Forgotten war in Yemen“), „Der verborgene Krieg im Jemen“ („Hidden war in Yemen“). Was soll das? Der Krieg war niemals „vergessen“ oder „verborgen“ (außer am ehesten genau von Euch „Mainstream“-Schlafmützen selbst).

Warum habt ihr nicht von Anfang an so berichtet, wie es Eure ganz selbstverständliche Aufgabe als Journalisten gewesen wäre? Wolltet Ihr die Leute in dieser Sache so lange dumm halten? Solche Titel wie die genannten dokumentieren vor allem eines: das Versagen der „Mainstreammedien“ selbst.

Auf jeden Fall treibt man danach am nächsten Tag – oder dank „Ticker“ schon in den nächsten fünf Minuten – die nächste „News“-Sau durchs Dorf.

Grundsätzlich sei hier noch angemerkt, dass es ein ganzes Stück mehr englisch- als deutschsprachige westliche „Mainstream“-Artikel zum Jemenkrieg gibt.

Fazit 5:

Ein besonderes Thema ist sicher auch die Tendenz, die bei den „Mainstreammedien“ sichtbar wird, wenn sie denn einmal ausführlicher über den Jemenkrieg berichten. Überwiegend findet man eine kritische Haltung zu diesem Krieg und zu seinen Akteuren, seien es die Huthis und die mit ihnen verbündeten Teile der Armee, oder auch die Saudis und deren Verbündete, die Amerikaner und die Hadi-Regierung. Es ist erfreulich, dass die zu Anfang des Krieges noch anzutreffende pro-saudische und pro-amerikanische Propaganda (einige Artikel der Anfangszeit lassen sich hierunter bestens einordnen) ziemlich verschwunden ist.

Und doch: Zum Kern des Problems (oder zu den Kernen, so einfach ist das alles nicht) stoßen die „Mainstreammedien“ kaum vor, die Kritik bleibt – hier gibt es viele Varianten – ungenau, vage, Stereotypen verhaftet, auf einzelne Details bezogen, von den eigentlich gravierenden Punkten ablenkend, relativierend, oder nach dem Motto „Eigentlich sind wir doch die Guten, dann sollten wir aber jetzt einmal...“

Ich muss zugeben, dass ich selbst oft genug darauf – formuliere ich es so hart – hereingefallen bin; soll ich es eine Masche, eine beabsichtigte Tendenz oder Ahnungslosigkeit der Schreiber nennen? Da sollte man nichts pauschal aburteilen. Es waren mehrmals andere, tatsächlich kritische Berichte, die solche Artikel genau analysiert und dabei gezeigt haben, wie oft genug auf diese Weise die eigentlich grundlegende Kritik an dem Krieg, an Saudis und Amerikanern abgewendet wird.

Für die britischen Medien wurde das etwa auf der Webseite „Medialens“ untersucht: http://medialens.org/index.php?option=com_content&view=article&id=801:invisible-war-crimes-the-corporate-media-on-yemen

Immerhin schärft die ständige Beschäftigung mit dem Thema dann doch die Sinne, und ich habe Entsprechendes, wenn es mir selbst aufgefallen ist, in meinen „Neuen Artikeln zum Nachlesen“ dann auch angemerkt.

Fazit 6:

Wenn ich im Rückblick ansehe, was für Artikel ich – sei es für einzelne Aspekte und Ereignisse oder für die Darstellung übergreifender Zusammenhänge – für die „Neuen Artikel zu Nachlesen“ ausgewählt habe, dann machen solche aus den deutsch- wie englischsprachigen „Mainstreammedien“ nur noch einen Bruchteil davon aus. Unter den Artikeln, die die Lage im Jemen fachkundig analysieren und die Zusammenhänge erklären, oder die die wichtigen Einzelnachrichten in angemessener, ausführlicherer Darstellung referieren, sind in meinen Zusammenstellungen die gängigen „Mainstreammedien“, seien sie deutsch- oder auch englischsprachig, nur noch in der eindeutigen Minderheit.

Der weitaus größere Teil an Nachrichten und Artikeln stammt aus Quellen, die entweder regional in Jemen selbst oder im Nahen Osten angesiedelt sind, von Spezialseiten mit besonderer fachlicher Ausrichtung oder von solchen, die im weitesten Sinn als „alternative“ Medien einzuschätzen sind. Umfangreichere Nachrichten und wesentlich profundere Analysen findet man vielfach dort.

Die fachlich-speziellen und die alternativen Medien sind zahlreich genug, um zusammen mit den (selteneren) Lichtblicken aus den „Mainstream“-Medien eine klare Vorstellung von dem, was im Jemen geschieht, und den weltpolitischen Hintergründen zu geben. Noch ist der Großteil dieses Materials sehr im Internet versteckt und nicht leicht zu finden. Oft wird man erst bei ständiger Beschäftigung mit einem Thema an Vieles herankommen.

Dem klassischen Zeitungsleser, auch dem intellektuell angehauchten, der sich mit der „Süddeutschen“, der „Zeit“ und womöglich noch Nachrichten- und Magazinsendungen in ARD und ZDF gut informiert glaubt (wie auch der Schreiber dieses Artikels bis vor einigen Jahren) und dabei gar nicht merkt, wie der Anteil an lupenreiner Propaganda, mit der er in steigendem Maße eingeseift wird, wie auch all diejenigen, die sich alternativ dazu auch im Internet informieren und dankbar für die vielen Nachrichten-Angebote sind, bleibt der größte Teil dieser Angebote damit verschlossen.

Natürlich gibt es auch bei den regionalen, speziellen und alternativen Angeboten reichlich Propaganda, die man auf jeden Fall als solche erkennen sollte. Das gilt für angebliche Erfolgsmeldungen beider Seiten vom Kriegsschauplatz wie für propagandistische Verlautbarungen und Artikel in einer staatlich kontrollierten Presse. Gerade offizielle Äußerungen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen und seitens der Hadi-Regierung wie auch Artikel in der gelenkten Presse der Kernstaaten der saudischen „Koalition“ haben oft schon kabarettistischen Unterhaltungswert.

Die „Mainstreammedien“ haben sich längst vom ersten Platz bei der Berichterstattung über den Jemenkonflikt verabschiedet. Und das gilt kaum nur für dieses einzelne Thema. Sie pflegen ja eine Weltsicht, die durchweg um den eigenen Nabel kreist und Deutschland, die EU, die USA und die wenigen Weltkonflikte, die mit den eigenen Interessen verbunden sind, im Fokus hat und den Rest der Welt und andere Themen vergleichsweise weitgehend links liegen lässt.

Eine Weltsicht, die in den elementar wichtigen Fragen völlig einseitig ist und von der „Welt“ bis zur „taz“ dem TINA-Prinzip von Margret Thatchers „There is no alternative“ bis zu Merkels „Alternativlos“ verpflichtet ist: Auf jeden Fall neoliberal (Gesellschaftsordnung; Wirtschaft; Soziales) und transatlantisch (Außen- und Weltpolitik, immer auf US-Linie), bis in den (eigenen) Untergang.

Dass man damit der Welt immer weniger gerecht werden kann, und dass es noch vieles mehr an Möglichkeiten, Sichtweisen, Ideen, Zukunftvisionen, wie an Themen, Weltregionen, Menschen, Bedürfnissen, Nöten gibt als in unseren neoliberal-transatlantisch geistig sklerotisierenden sog. “Mainstreammedien“, das werden im Lauf der nächsten Jahre immer mehr Menschen merken.

Fazit 7:

Für „Mainstream“, spezielle, alternative wie regionale Medien gilt gleichermaßen: Deutsch ist auf internationaler Ebene eine wichtige Provinzsprache, aber nicht mehr. Deutschsprachige Artikel sind zum Thema Jemenkrieg zahlenmäßig weit in der Minderheit, im Vergleich zu den englischsprachigen machen sie in meinen Zusammenstellungen zwischen 10 und 20 % aus.

Natürlich gibt es auch unter den deutschsprachigen hervorragende Artikel über den Jemen, die man sehr vermissen würde. Generell gilt aber, dass sich nur mit den deutschsprachigen Artikeln kaum ein vernünftiges Bild der Lage im Jemen gewinnen lässt, geschweige denn, wenn man, wie der klassische Zeitungsleser oder auch Internet-Nachrichtenleser, seine ein bis zwei Zeitungen oder Nachrichtenkanäle hat und es dabei belässt.

Dass man mit Deutsch allein beim Thema Jemen nicht weit kommt, gilt für den „Mainstream“ wie für alle speziellen und alternativen Internetangebote. Ein Beispiel für die letztgenannten seien hier die „Nachdenkseiten“. Die „Nachdenkseiten“ verweisen in ihren „Hinweisen des Tages“ täglich auf 15 bis 20 von der neoliberal-transatlantischen Einheitssauce ausgesuchte Beiträge aus „Mainstream“- wie alternativen und sonstigen Medien und sind damit eine unverzichtbare Informationsquelle geworden.

Der Jemenkrieg wird dort freilich fast überhaupt nicht beachtet. Da gab es einen Link auf einen Hintergrundartikel am 22. April, einen weiteren auf einen (nicht frei zugänglichen) am 17. September und einen dritten Artikel, der sich mit einem getöteten Kind beschäftigte, am 23. Oktober. Ansonsten war der Jemen ein Thema nur im Zusammenhang mit deutschen Waffenexporten in die Golfstaaten, die im Verdacht standen, zur Kriegführung im Jemen verwendet zu werden- – also im Grunde eine innenpolitische Angelegenheit.

Ich hatte zweimal an die Redaktion der „Nachdenkseiten“ geschrieben mit Hinweis auf meine mediale Aufbereitung des Themas im „Freitag“ und auf einige besonders wichtige Artikel, weiterhin angeboten, die „Nachdenkseiten“ gerne auch weiterhin auf besonders wichtige Artikel aufmerksam zu machen. Antwort auf beide Mails: Keine. Mehr Interesse am Jemen bei den „Nachdenkseiten“: Keines.

Ähnlich traurig sieht es auch sonst im Deutschsprachigen mit den „Alternativen“ zum Thema Jemenkrieg aus.

Fazit 8:

Es sind also auch bei den speziellen und alternativen Medien überwiegend die englischsprachigen, die man für die Hintergründe und Zusammenhänge wie für die einzelnen Vorkommnisse des Jemenkrieges heranziehen muss. Hiervon stammt ein großer Teil der hervorragenden Beiträge aus den USA. Bestimmte zu nennen, fällt hier schwer.

Weniger mit Schwerpunkt auf dem Jemen als allgemein zur imperialen und militanten Außenpolitik der USA seinen hier der Counterpunch und Tom Dispatch genannt. Auch World Beyond War kommt aus den USA, ebenso Antiwar. Auch William Blum mit seinen monatlichen treffenden Beiträgen ist Amerikaner, so wie Daniel Larison, der für The American Conservative mit seinen Beiträgen zum Jemen die Dinge kurz und präzise zielgenau auf den Punkt bringen kann. Hierfür ein Danke an Amerika!

Die regionalen Medien aus dem Nahen Osten, seien sie aus dem Jemen, Saudi-Arabien oder den Golfstaaten, sind ohnehin neben Arabisch nur auf Englisch (nur der Iran bietet auch deutsche Nachrichten an).

Also: Ohne Englisch geht es nicht. Oft kommt es vor, dass ein auf Englisch ausführlich behandeltes Thema auf Deutsch zu einer Agenturmeldung von wenigen Zeilen zusammengeschnurrt ist, die sich dann wortgleich in vielen (meist „Mainstream“ in diesem Fall) Medien findet. Soll man sich damit dann als gut informiert betrachten?

Und manchmal kommt es auch vor, dass selbst ganz wichtige Themen, auch solche, die über das Jemen-Thema weit hinausgreifen, in deutschen Mainstream- wie auch Alternativmedien nicht einmal nur spärlich, sondern sogar überhaupt nicht oder wirklich nur mikroskopisch erwähnt werden.

Der moralische Absturz und Bankrott des UN-Menschenrechtsrats (und dort vor allem der westlichen Staaten) in der Jemenfrage im September fand sich zeitnah in ca. drei Sätzen im österreichischen Standard und als Kurzmeldung auf einer privaten Schweizer sowie auf einer von einem wenig bekannten Unternehmen in Deutschland betriebenen wenig bekannten Nachrichtenseite. Das war es. Den Fall nachlesen können Sie hier: http://www.nytimes.com/2015/10/01/world/middleeast/western-nations-drop-push-for-un-inquiry-into-yemen-conflict.html und hier http://www.theamericanconservative.com/larison/whitewashing-the-saudi-led-coalitions-crimes-in-yemen/ .

Die Dubai Airshow im November als eine riesige Waffenmesse, auf der sich die kriegführenden Golfstaaten mit Waffen zur Fortführung der Luftangriffe gegen den Jemen eingedeckt haben, mit Milliardenaufträgen für amerikanische und europäische Konzerne unter aktiver Koordinierung durch die US-Regierung: Kein Thema im deutschsprachigen Raum, das habe ich dann im Freitag nachgeholt: https://www.freitag.de/autoren/dklose/flugzeuge-und-waffen-treffen-der-todesengel und https://www.freitag.de/autoren/dklose/flugzeuge-und-waffen-aktive-rolle-der-usa, Teil III fehlt noch.

Die britischen Waffenlieferungen an die Saudis, doch zuletzt ein Thema mit relativ viel Aufmerksamkeit in Großbritannien, umso mehr, als dort jetzt im Außenministerium (!) Befürchtungen aufgekommen sind, das Land könnte wegen der Mithilfe zu Kriegsverbrechen angeklagt werden. Das können Sie hier nachlesen: http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/uk-could-be-prosecuted-for-war-crimes-over-missiles-sold-to-saudi-arabia-that-were-used-to-kill-a6752166.html

Die italienischen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien: Italien produziert und liefert an Saudi-Arabien das, was direkt im Jemenkrieg und mit den schlimmsten Folgen verwendet wird: Bomben, fertig zum Abwurf. Und zu den Saudis transportiert wird das von der Frachtfluggesellschaft, die dem Diktatorenclan von Aserbeidschan gehört, bekanntlich ja auch so wunderbare Vertreter der Demokratie. Das können Sie hier nachlesen: https://reported.ly/2015/11/19/italy-sends-two-bomb-shipments-to-saudi-arabia-in-20-days/

Nicht nur der deutschsprachige „Mainstream“, auch die alternativen Medien haben diese (und andere) Themen von ähnlicher Bedeutung völlig links liegen gelassen.

Was findet dann in deutschsprachigen Medien mehr Aufmerksamkeit, wenn es um den Jemen geht? Am 30. November waren es die Entführung einer Rot-Kreuz-Mitarbeiterin durch Bewaffnete in Sanaa (eine internationale Organisation war betroffen) und eine Gruppe von 15 Radsportamateuren, die in Sanaa trotz der bedrohlichen Lage regelmäßig trainieren (z. B. hier: http://www.n24.de/n24/Mediathek/videos/d/7699918/fahrradfahren-im-buergerkrieg.html). So etwas ist ein Thema in der täglichen Katastrophe dieses Landes zwischen Hunger, Bomben, Zerstörung und Tod, mit uns im „Westen“ als aktive Zuträger in Form von Waffenlieferanten inklusive?

So wird dann die deutschsprachige Berichterstattung über diesen Krieg im Internet für einen Tag von zweitrangigen Themen beherrscht. Was für eine Wahrnehmung von der Welt haben Leute, die gerade solche Themen auswählen? Und einer übernimmt sie dann vom anderen.

Das Attentat des IS auf den Gouverneur von Aden – eines von Präsident Hadi vor einigen Monaten eingesetzten braven Paladins – beherrschte für zwei Tage die Google-Suchergebnisse, also die Berichterstattung, über den Jemen. Fünf seiner Leibwächter kamen dabei ebenfalls ums Leben. Diese Meldung schaffte es sogar relativ prominent in die Druckausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Da müssen sich die Medien – ob nun in Deutschland oder sonstwo – schon fragen lassen, warum steht die tödliche Gewalt gegen einen prominenten Regimevertreter und seinen Anhang mehr im Interesse als der tägliche tödliche Horror gegen die normale Zivilbevölkerung? Was soll so eine Auswahl des medialen Interesses?

Fazit 9:

Die Meldungen und Berichte der großen Nachrichtenagenturen – vor allem Associated Press, Reuters, Agence France Press – beherrschen die internationalen Medien. So findet man also bei der Google-Suche in deutsch- wie englischsprachigen (hier weltweit) Medien dieselben Themen mit identisch formulierten Headlines und – wenn man das dann anklickt – oft ganz oder bis auf Kleinigkeiten identischem Wortlaut in den Meldungen.

Hier haben also die Nachrichtenagenturen die eigentliche Arbeit einschließlich des Verfassens der Texte geleistet. Die Zeitungen wie die Internetseiten des „Mainstream“ erstellen dann ihre Meldungen und Artikel mittels „Copy and Paste“, das lässt sich in einer Minute und damit personal- und kostensparend erledigen.

Die Themenauswahl, die Gewichtung, die Sichtweise und auch die Meinung der Nachrichtenagenturen – die ihrerseits ja auch dem neoliberal-transatlantischen „Mainstream“ zugehören – werden damit 1:1 übernommen. Die Übernahme der fremden Meinung betrifft nicht nur Artikel, die klar Meinung transportieren. Schon mit dem Abkupfern des Wortlauts, mit der Sprache allein und dem, was man heute „Wording“ nennt, wird Meinung übernommen: Wie benennt man etwa die Huthis im Jemen (gängig als „Rebellen“, was in der heutigen Lage wirklich nicht mehr passt; was sind „Regierungstruppen“, was „Terroristen“, usw.). Das alles ist allerdings keine Frage, wenn man mit „Copy and Paste“ arbeitet.

Ja, auch über reine Nachrichten hinausgehende Hintergrundbetrachtungen und Artikel, die ganz klar Meinung transportieren, gibt es mittlerweile bei den Agenturen. Da gibt es dann auch vernünftig analysierende und gute Artikel – was ja eigentlich Aufgabe der einzelnen Zeitungen und ihrer Onlineportale wäre –, die so ihre Verbreitung in die ganze Welt finden. Hier in Sachen Jemen einmal meine Anerkennung für Ahmed Al-Haj von Reuters!

Dieser den eigenen Aufwand minimierende Rückgriff der einzelnen Medien auf die Arbeit der großen Agenturen kann dann – neben der totalen Monotonisierung der nationalen wie internationalen „Mainstreammedien“ – auch zu skurrilen Ergebnissen führen.

Da erscheint ein kurzer Artikel von einem Absatz in der „Zeit“ mit dem Hinweis auf die dpa als Quelle. Zum selben Thema gibt es im Berliner „Tagesspiegel“ einen Artikel in zwei Absätzen, mit einer Autorenangabe, am Ende noch mit dem Hinweis auf die Verwendung von dpa und noch einer anderen Agentur als Quellen. Der „Zeit“-Artikel und der erste Absatz des „Tagesspiegel“-Artikels sind dabei völlig identisch – das ist offensichtlich 100 % von dpa. Beides ist also mit „Copy and Paste“ entstanden, beim „Tagesspiegel“ wurde dann aber der eigene Name als Autor darüber gesetzt. Der Name sei hier nicht genannt, es ist nicht Theodor von Guttenberg, aber offensichtlich hat dieser hier als Vorbild gedient.

Eine der großen Agenturen brachte einen längeren Artikel zum Jemen zustande, der wortwörtlich übernommen wurde sowohl vom neokonservativen US-Krawallsender Fox News als auch von der iranischen Nachrichtenagentur Fars News – das nennt man vielseitig verwendbar!

Es gibt auch andere Beispiele, bei denen die Artikel der Nachrichtenagenturen ganz offensichtlich keine objektiven Meldungen sind, sondern einen ideologischen und parteiischen „Spin“ haben. Ein Beispiel wäre ein Artikel, den die „Khaleej Times“ aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wortwörtlich von einer Nachrichtenagentur übernommen hat. Bei der Lektüre des Artikels in der „Khaleej Times“ fiel das zunächst überhaupt nicht auf, so 100 %ig passte er sich in die ideologische Ausrichtung und das „Wording“ der „Khaleej Times“ ein. Erst ein genaueres Hinsehen auf die Quellenangabe – und der identische Artikel unter dem Namen der Nachrichtenagentur auf Yahoo News – schafften hier Klarkeit (mit Überraschungseffekt auf meiner Seite!).

Abschließende Bemerkung:

Mit einem derartigen reinen Wiederkäuen von Agenturmeldungen – billig, billig! So sparen wir Personalkosten! – machen sich die „Mainstreammedien“ selbst weiter überflüssig. Was soll ich mir die Kopie (von „taz“ über „Zeit“ bis „Welt“ antun, da nehme ich lieber das Original von Reuters, AP und AFP.

Wenn etwa der „Spiegel“ jetzt aus Kostengründen circa 150 Mitarbeiter entlässt, dann verstärkt er diese Tendenz noch weiter und macht sich selbst noch entbehrlicher. Es ist bei all den hier angedeuteten Gründen – Sparzwang, „Copy and Paste“, die eindeutige Tendenz und die klare neoliberal-transatlantische Agenda, die immer wieder dieselben abgedroschenen und offensichtlich nicht zielführenden Antworten auf immer neue Fragen gibt, das Abwürgen der Diskussion abweichender Standpunkte durch persönliche Verunglimpfung, das wachsende Gefühl des Publikums, manipuliert zu werden – kein Wunder, dass die Verkaufszahlen vieler gedruckter Presseerzeugnisse drastisch zurückgehen und auch die Besucherzahlen auf den zugehörigen Webseiten alles andere als überragend sind. Am Niedergang der klassischen Presse ist also keineswegs nur das Aufkommen neuer Medien wie das Internet schuld.

Der beschriebene Trend wird sich noch weiter verstärken, wenn nicht eine radikale Umkehr beim gesamten öffentlichen Diskurs stattfindet. Danach sieht es aber nicht aus, ganz im Gegenteil. Unter diesen Umständen muss niemand über den weiteren Niedergang der „Mainstreammedien“ traurig sein.

Anderes, mittlerweile vielfach wesentlich besseres, tritt an ihre Stelle. Es macht nur noch Mühe, es zu finden und die (natürlich leider auch reichlich vorhandene) Spreu vom Weizen zu trennen. Dafür braucht es einen klaren Kopf, etwas, das man vielleicht nach jahrelangem „Mainstream“-Konsum erst wieder lernen muss.

Die neuen Alternativen haben freilich noch einiges an Arbeit vor sich, insbesondere im deutschsprachigen Bereich, wenn sie den von den „Mainstreammedien“ verlassenen Raum entsprechend ausfüllen wollen. Aber ihre Zeit kommt. Der Niedergang des „Mainstream“ hat längst begonnen, wobei sich geistiger und wirtschaftlicher Niedergang gegenseitig verstärken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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