Jemen und Syrien: Kinder als Opfer im Krieg

Westliche Propaganda: Propaganda gegen Russland, ja, bitte her damit! Aber bei saudischen Luftangriffen verletzte Kinder aus dem Jemen sind für westliche Propaganda wertlos, ja schädlich

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Das Foto ging vor einiger Zeit durch die internationale Presse: ein fünfjähriger Junge aus Aleppo, Omran Daqneesh, der einen Fliegerangriff überlebt hat und mit leerem Gesichtsausdruck, sichtlich unter Schock stehend, mit blutverschmiertem Gesicht und völlig von Staub überzogen, so wie man ihn aus den Trümmern eines Hauses gezogen hat. Er sitzt auf einer orangenen Bank in einem Krankenwagen. Auch einen Film gab es dazu: Der Junge wird in den Krankenwagen getragen, auf die Bank gesetzt und dann läuft die Foto- und Filmsession ab, obwohl der Junge in diesem Moment wohl etwas Anderes dringender bräuchte.

Foto und Film schafften es in kürzester Zeit zu größter internationaler Aufmerksamkeit. Zuerst hatte Associated Press das Bild, dann verbreitete es sich rasend schnell – warum? In der Tat kann einem ein Kriegsopfer wie dieser Junge nur leid tun. Aber warum gerade er, es gibt Tausende Kinder, die in der letzten Zeit Opfer des Krieges geworden sind. Er sieht wirklich beklagenswert aus. Er ist nicht offensichtlich schwerer verletzt, so dass man ein solches Bild dem normalen Medienkonsumenten zumuten kann.

Und: Das Foto ließ sich propagandistisch gegen Russland in Stellung bringen. Schließlich bomben in Syrien (neben anderen) die Russen, und für diesen Angriff auf den von „Rebellen“ gehaltenen Ostteil der Stadt wurden die Russen verantwortlich gemacht. „Jihadisten“ würde hier freilich besser passen als „Rebellen“, aber „Rebellen“ klingt in westlichen Medien natürlich besser – es sind freilich in den meisten Fällen tatsächlich eher „Jihadisten“ bis hin zu Al Qaida-Ablegern, die der Westen in Syrien unterstützt.

Aber zurück zu den Bildern des kleinen Omran. Das Bild und der Film sind, so AP, von einem „Aleppo Media Center“ gemacht und ins Netz gestellt worden. Als Fotojournalist und quasi Regisseur erscheint ein Mahmoud Raslan. Das „Aleppo Media Center“ steht freilich mit großer Wahrscheinlichkeit radikalen Jihadisten nahe, ebenso Mahmoud Raslan. Raslan hat am 5. August mit Männern für ein Foto posiert, die der jihadistischen Zenki-Miliz angehören. Und zwei von diesen Männern tauchen auf einem Video auf, auf dem Angehörige dieser Miliz einem 12jährigen Jungen den Kopf abschlagen. Eigene Facebook-Posts haben auch für das „Aleppo Media Center“ eine Nähe zur Al-Nusra-Front, einem syrischen Al Qaida-Ableger, nahegelegt (Derzeit glänzt die Facebook-Seite dieses „Media Center“ übrigens mit völliger Leere).

Nun, die westliche Propaganda hatte sich direkt von der Jihadisten-Propagandaabteilung mit Bild- und Filmmaterial versorgen lassen und das groß rausgebracht… Nachdem das bekannt geworden war, haben die meisten Mainstreammedien eher bescheiden oder lieber gar nicht mehr darüber berichtet. Das Bild von Omran hatte da schon längst seine propagandistische Schuldigkeit getan.

Kinder als Propagandamittel. Es ist evident, dass das Bild dieses Jungen in der Masse der vielen Kriegsbilder untergegangen wäre und nie diese Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn Omran das Opfer eines amerikanischen Angriffs gewesen wäre. Das ist der Unterschied von heute zu vor 40 Jahren: Das Foto aus Vietnam mit den Kindern, die vor amerikanischem Napalm fliehen, würde es heute nur auf ein paar Internetseiten jenseits des Mainstreams schaffen.

Freilich bleibt auch trotz der dubiosen Entstehung und des propagandistischen Missbrauchs das Bild des kleinen Omran ein schlimmes Dokument der Grausamkeit des Krieges und derer, die ihn führen.

An den amerikanischen Bombenangriff auf das Krankenhaus von „Ärzte ohne Grenzen“ in Kunduz in Afghanistan werden Sie sich wohl noch erinnern. Welches Bild von diesem Ereignis hat sich bei Ihnen denn ins Hirn eingebrannt? Keines? Ja, warum nicht? Weil Sie nie eines zu sehen bekommen haben? Das wird es sein. Nun, es gab aus Kunduz durchaus solche Bilder. Sie waren im Internet auf irgendeiner nicht mainstreamigen Seite gesehen. Und davon brannten sich mir zwei ein: Der Mann, der auf dem Operationstisch starb. Weder an Herzstillstand noch wegen ärztlichem Versagen, sondern weil durch den Bombenangriff die Decke nach unten krachte und ihn unter sich auf dem Operationstisch begrub. Seine Reste schauten noch unter den Deckentrümmern hervor. Und das zweite Bild war nichts als sein Fahrrad, mit dem er in das Krankenhaus gefahren war, das noch immer beim Krankenhaus an der Wand lehnte… Haben Sie alles nicht gesehen?? Das ist nicht Ihre Schuld!

Kein Bild eines Kindes, das Opfer der saudischen Luftangriffe auf den Jemen wurde, hat es bisher in nennenswertem Umfang in die westlichen Medien geschafft. Da gibt es Bilder, die sich anzusehen man die Kraft haben muss, das kleine zweijährige Mädchen, dem der Kopf abgetrennt wurde (das Foto nur ohne Kopf), oder die beiden kleinen Jungen, beide in neuen Feiertagskleidern, denen der Schädel zertrümmert wurde, wo man das zerquetschte Gehirn sehen kann. So etwas finden Sie nicht schön? Dafür sollten Sie sich beim Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009 bedanken…

Denn das ist nun einmal so, ohne die massive politische und militärische Unterstützung durch die USA und Großbritannien und die uneingeschränkte Rückendeckung der westlichen Verbündeten wäre diese extreme Ausweitung des jemenitischen Bürgerkrieges zu einem internationalen Krieg nie möglich gewesen.

Über den lakaienhaften Umgang unserer Mainstreammedien mit der Wahrheit habe ich kürzlich geschrieben (https://www.freitag.de/autoren/dklose/der-jemenkrieg-immer-noch-vergessen). Es wird leider so sein, dass es in der Tat das Foto eines Kindes aus dem Jemen als Opfer eines saudischen Luftangriffes nie zu einer solchen Verbreitung in den westlichen Mainstreammedien bringen würde, weil die dadurch geweckten Gedanken sich gegen die „Falschen“ richten würden.

Daran, dass solche Unterschiede gemacht werden, sieht man, wie herzlich egal diesen Medienleuten letztendlich die getroffenen Menschen, die Kriegsopfer, die verletzten Kinder tatsächlich sind, wenn nur ihr Propagandawert (oder eben ihr Propagandaunwert) zählt. Und einen Propagandawert haben Opfer der saudischen Luftangriffe für eine „westliche“, d. h. die amerikanische Interventions- und Militärpolitik grundsätzlich rechtfertigende bzw. positiv darstellende Propaganda natürlich nicht, ganz im Gegenteil.

Dabei gibt es aus dem Jemen-Fundus durchaus Bilder, die man einmal einem größeren Publikum zeigen und ihm auch zumuten kann. Wie gesagt, es gibt auch jede Menge viel schrecklicherer Bilder.

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Und so zeige ich hier Bilder eines kleinen Jungen von etwa vier Jahren, der vor ein paar Tagen einen Bombenangriff der saudischen Koalition überlebt hatte. Der zweite Überlebende war ein etwas älterer Junge von etwa zehn Jahren, vielleicht sein Bruder (das wird nicht klar).

Die Opfer waren alle Angehörige einer Familie. Sie waren mit dem Auto, einem Toyota Pickup, im Bezirk Khawlan in der Provinz Sanaa auf der Landstraße unterwegs. Wie im Jemen üblich, war das Auto mit 15 Personen voll besetzt, die meisten saßen hinten auf der Ladefläche. Das Auto wurde unter der Fahrt gezielt angegriffen und voll getroffen Der Treffer ging offensichtlich direkt in die Fahrerkabine. 13 Menschen starben, darunter drei Kinder, die beiden Jungen überlebten.

Filme und Fotos zeigen, was übrig blieb. Für Fotos und Filme von diesem Angriff braucht man starke Nerven, für die folgende Beschreibung vielleicht auch. Das Auto blieb auf der Straße stehen, die Filme zeigen, dass es Feuer fing und brannte. Die Menschen auf der Ladefläche sind mehr oder weniger verkohlt. Den völlig verkohlten Fahrer hat es aus dem Auto auf die Straße geschleudert, er liegt direkt neben der Autotür. Er liegt in einer Blutlache, seine Gedärme sind herausgequollen. Sein rechtes Bein unterhalb des Knies fehlt; das liegt etwa 30 Meter gegen die Fahrtrichtung zurück auf der Straße, offenbar an der Stelle, wo das Auto getroffen wurde, das Fahrzeug rollte dann noch ein Stück weiter…

Auf der Beifahrerseite hat es ebenfalls zwei Menschen vom Fahrzeug geschleudert. Eine schwarzgekleidete Frau liegt, mit dem Rücken nach oben, neben dem Auto. Man könnte so fast denken, sie schläft, ihr eines Bein ist aber offensichtlich zertrümmert. Sie hatte wpohl auf der Ladefläche gesessen; vor der Beifahrertür liegt eine andere Leiche, auch eine Frau, ebenfalls stark verkohlt. Im Auto sitzen noch – wenn man das so nennen kann – die bis zur Unkenntlichkeit verkohlten Reste einer weiteren Person. Was sonst so alles noch um das Auto herumliegt, will man lieber gar nicht wissen.

Helfer haben schließlich begonnen, die Leichen aus dem Auto zu holen. Ein Mann hält einen unterhalb des Ellenbogens abgerissenen Arm hoch, während er dem Reporter in das Mikrophon spricht; noch ein zweiter wird dann den Arm schwenken, während er berichtet. Unter den Leichen kommt die Ladung zum Vorschein, offensichtlich hatte man Lebensmittel eingekauft, Konservendosen und Mais…

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Helfer bzw. Passanten haben die beiden überlebenden Jungen herausgeholt. Die beiden Jungen stehen da, sie halten sich an der Hand. Der ältere ist offenbar nur leicht verletzt, der kleinere hat das Gesicht voller Blut. Ein Mann hält den kleinen Arm, sonst würde er wohl umfallen. Beide Kinder stehen unter Schock, sehen apathisch aus, vor allem der kleine. Später sehen wir sie noch einmal im Krankenhaus, der ältere kann schon wieder etwas ins Mikrophon sagen, der kleinere liegt völlig regungslos und apathisch auf dem Schoß eines Mannes, den Mund hat er offen, man kann sehen, dass es ihm einen Großteil der Zähne herausgeschlagen hat. Sein Blick ist leer, er trägt einen Kopfverband, die Kopfverletzung war auf den Fotos von der Straße noch nicht zu sehen gewesen.

Ja, das ist die Geschichte.

Sie können sich die Fotos hier ansehen:

https://www.facebook.com/SaudiArabia.war.crimes.against.Yemen/posts/1582168415412480

https://www.facebook.com/Classy.Yemeni/posts/897124877084361

https://twitter.com/omeisy/status/776914471461806081and https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=690865114397190&id=551288185021551

und Filme hier: https://www.youtube.com/watch?v=AHP5rnEVqyU =https://www.facebook.com/881240811966559/videos/1106092162814755/

https://twitter.com/Allahim_ad/status/776851560668209152/video/1=https://www.facebook.com/LivingInYemenOnTheEdge/posts/1111285708924458= https://twitter.com/I4Yemen/status/776890194465320960

https://www.youtube.com/watch?v=jXeaVGzQfFc

https://www.youtube.com/watch?v=9Ps0-aHWXqc

Und hier Links, die die Omran-Geschichte kritisch beleuchten:

http://www.sueddeutsche.de/politik/krieg-in-syrien-der-mann-der-den-kleinen-omran-fotografiert-hat-geraet-in-den-fokus-1.3128661

http://www.rationalgalerie.de/home/luftbruecke-in-den-krieg.html

http://www.altermannblog.de/kim-aylan-omran-oder-die-pornografie-der-gewalt/

https://off-guardian.org/2016/08/18/media-using-pro-al-nusra-media-center-as-source-for-war-propaganda/

https://off-guardian.org/2016/08/19/an-id-for-mahmoud-raslan/

https://off-guardian.org/2016/08/22/guardian-promotion-of-terrorist-propaganda-did-not-go-over-btl/

English summary:

The article presents the footage of a Saudi coalition air raid at a car in Yemen. A family of 13 died, only two boys survived. Western media certainly will not be interested in the fate of these kids – and also not in other kids who had suffered such a fate.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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