Jemen: Wer Krieg sät, wird Seuchen ernten

Der Bumerang kehrt zurück Im vom Krieg geschwächten Jemen brechen weitere Seuchen aus. Zu Cholera, Diphtherie, Denguefieber, lokal Tollwut und Keuchhusten, kommen nun Vogelgrippe und Schwarzrost

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"Wer Krieg sät, wird Terrorismus ernten": Diesen knackigen und zutreffenden Spruch kennt man schon. In der Tat hat er sich im Nahen und Mittleren Osten leider vollkommen bewahrheitet: Die Bedrohung durch den Terrorismus, die von dieser Region ausgeht, ist in den letzten 15 bis 20 Jahren exorbitant gestiegen - eine Bedrohung vor allem für die Region selbst, aber auch für uns im "Westen". Entscheidend dazu beigetragen haben die Kriege, die der "Westen" in dieser Region begonnen / geführt / angefacht / verstärkt / in die Länge gezogen / von denen er mit vielen Milliarden für Waffengeschäfte profitiert hat (Mehrfachnennungen möglich): Von Libyen über Syrien, den Jemen, Irak bis nach Afghanistan. All diese Kriege haben nicht nur großes Leid über die betroffenen Länder gebracht, sondern sie haben auch die Welt für uns Westler wesentlich unsicherer gemacht.

Aber von Terrorismus soll hier gar nicht weiter die Rede sein.

Eine weitere Bedrohung, die wir uns durch unsere Kriege selbst schaffen, das sind die Seuchen. Wenn die (ohnehin nur rudimentäre) Gesundheitsversorgung zusammenbricht (im Jemen arbeiten über die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen nicht mehr, viele sind zerstört); wenn den Menschen ihre Einkommen genommen wurden und sie sich keine medizinische Versorgung mehr leisten können; wenn dank einer Blockade Medikamente und medizinische Ausrüstung fehlen; wenn die Menschen durch mangelnde Ernährung weiter geschwächt sind; wenn die Wasserversorgung zusammengebombt wurde und viele Menschen kein sauberes Trinkwasser mehr haben:

Dann kommen die Seuchen. Und es ist dank des Krieges, dass sie kommen.

Im Jemen: Die größte Choleraepidemie seit Beginn der Aufzeichnungen; eine beginnende Diphtherieepidemie; Denguefieber; örtlich Tollwut (dank streunender Hunde), Keuchhusten, Masern. Das alles ist dem "Westen" – abgesehen von wenigen, die sich damit befassen, etwa Vertretern von Hilfsorganisationen – weitgehend egal. Schlagzeilen hat bei uns auch die Cholera im Jemen selten gemacht , auf den ersten Seiten der Zeitungen wohl eher nie.

Kann uns ja auch egal sein: Das kann eh nicht zu uns kommen, der Jemen hat auf der einen Seite das Meer, auf der anderen Wüste – da kann gar kein verseuchtes Wasser rauskommen. Und wenn es ganz schlimm kommt, wir haben ja Antibiotika, und die helfen bei Cholera ganz schnell (Dass wir sie den Jemeniten vorenthalten, solange wir die Saudis und ihre Blockade unterstützen; ja mei, man kann halt nicht alles haben im Leben).

Zwei neue Plagen erwähnen nur zwei Kurzmeldungen in den sozialen Medien, eingestellt im Jemen (auf Englisch; Arabischsprachige Meldungen wurden nicht gesucht), und eine Meldung auf der Seite der Non-Profit-Organisation Scidev.net – womit wohl nicht anzunehmen ist, dass diese Meldungen besondere Verbreitung gefunden haben.

Demnach breitet sich im Jemen die Vogelgrippe aus – in fünf Provinzen und in der Hauptstadt Sanaa tauchte das Virus bereits auf. Bislang forderte es sechs Todesopfer, zwanzig weitere Fälle wurden gemeldet (1). Das Virus ist also längst von Vögeln auf den Menschen übergegangen. Einrichtungen und Maßnahmen zur Bekämpfung gibt es keine. Und um tote Vögel hatte sich in dem vom Krieg verwüsteten Land sicher kaum jemand gekümmert; da hatte man ganz andere Probleme.

Die Saudischen Luftangriffe auf den Jemen haben auch Dutzende von Hühnerfarmen angegriffen und zerstört [2]– ganz augenscheinlich soll die Lebensmittelversorgung zerstört werden, ein eindeutiges Kriegsverbrechen. Anders als bei uns, wird in in einem vor der Hungerkatastrophe stehenden Land (bzw. sie ist schon vielfach eingetreten) niemand auf Verdacht Hühner keulen und als Sondermüll entsorgen; wird es niemand mit der Einstallung besonders genau nehmen oder kann es auch nicht mehr, wenn die Farmgebäude zerbombt worden sind. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems und eines großen Teils der staatlichen Strukturen erschwert die Bekämpfung der Seuche. Das sind alles schöne Grundbedingungen für die Vogelgrippe.

Hinzu kommt, dass der Jemen von Zugvögeln auf der Durchreise weiter nach Süden oder auch als Winteraufenthalt rege frequentiert wird (3). Die Vogelgrippe wird also nicht unbedingt im Jemen bleiben, sondern sie kann von dort mit den Zugvögeln nach Europa kommen. Die erhöhte Gefahr würde wohl in der Ausbreitung in freier Wildbahn bestehen.

Und dann meldet Scidev.Net den Ausbruch von Getreideschwarzrost im Jemen (4) – ein Pilz, der verschiedene Getreidearten, vor allem Weizen, aber auch Gerste, Hafer und Roggen befällt und zu erheblichen Ausfällen führen kann. Und gerade der Jemen befindet sich in einer für die Ausbreitung des Schwarzrosts entscheidenden geographischen Position zwischen Asien und Afrika. Der Jemen gilt als eine "grüne Brücke" für die Verbreitung des Schwarzrosts. Dabei verläuft der übliche Verbreitungsweg von Afrika über den Jemen weiter nach Asien und von dort bis Nordamerika und Australien.

Das Tückische an dieser Krankheit ist, dass immer wieder neue Abarten des Pilzes entstehen. Mit dem Wind können sich die Sporen schnell überweite Entfernungen verbreiten. Bis zu 100 % der Ernte können durch Schwarzrost vernichtet werden.

Jemenitische Bauern wollen den Weizenanbau verstärken, was verständlich ist, da ein großer Teil der lebensnotwenigen Importe wegen der saudischen Blockade des Landes weggefallen ist. Damit erhöht sich freilich das vom Schwarzrost ausgehende Risiko. Zwar heißt es, die Welternährungsorganisation würde ihre Bemühungen zur Ausbildung von Spezialisten zur Erkennung von Schwarzrost verstärken und die jemenitische Behörde für Agrarforschung würde weiter an neuen Sorten forschen. Das scheint jedoch eher schöne Theorie zu sein: Der Zugang zu den ländlichen Gebieten ist durch den Krieg und die Zerstörung vieler Verkehrswege erheblich erschwert, eine Behörde für Agrarforschung dürfte im Jemen kaum noch effektiv arbeiten. Wegen des Krieges wurden die meisten Staatsbediensteten seit einem Jahr nicht mehr bezahlt, und nach meiner Erinnerung befindet sich unter den vielen von den Saudis bombardierten Zielen auch eine Einrichtung zur Agrarforschung.

Es bleibt festzuhalten: Kriege sind menschengemachte Krisen. Sie können erhebliche Folgen haben, die weit über die eigentlichen Kriegsschäden hinausgehen. Viele Auswirkungen können überhaupt nicht vorhergesehen werden. Und zu denen, die meinen, sie können einfach ihre Interessen weltweit mit allen Mitteln durchsetzen und Leid, Zerstörung, Elend und Verzweiflung in einem anderen Winkel der Welt quasi unter Quarantäne halten, können ungeahnte Folgen ihres Tuns wie ein Bumerang zurückkommen.

Fazit: Die Politik unserer Eliten gibt uns nicht etwa mehr Sicherheit, sondern weniger.

Anmerkungen:

(1)

https://www.facebook.com/LivingInYemenOnTheEdge/photos/a.961595153893515.1073741828.961126490607048/1636407059745651/?type= und https://twitter.com/FuadRajeh/status/959907563264528386

(2)

Z. B. http://www.yemenextra.net/2017/07/07/even-poultry-farms-are-not-safe-in-yemen-as-they-continue-to-be-a-target-for-the-saudi-led-coalition/. In meinen Jemenkrieg-Mosaiken kommt der Begriff "poultry farm" in 17 verschiedenen Jemen-Mosaiken vor. Das sind allein hier 17 verzeichnete Berichte von derartigen Angriffen. Und das ist nur ein Teil: https://www.freitag.de/@@search?SearchableText=%22poultry+farm%22

(3)

Regenpfeifer, Strandläufer, Pfuhlschnepfe und Rotschenkel sind nicht nur am Nordseestrand ein vertrautes Bild, sondern auch an der Küste der Arabischen Halbinsel, im Jemen. Hier liegt das Überwinterungsgebiet vieler Watvögel, die als Zugvögel weite Strecken zurücklegen.

http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biuz.200890047/abstract

Migratory and Endemic Birds: The Generosity of Nature and the Arrogance of Humans

Studies indicate that the reason swarms of migratory birds pass through and settle in Yemeni territories is the biodiversity. The mountainous habitats, plains, deserts, plateaus and coasts provide perfect havens for these birds. Wetlands and dryland shallow waters, such as water pockets, riverbanks and lakeshores, also offer hospitable environments for these birds.

Summer and Winter Migration from 2005-2006: An Exclusive Study of the Birds of Aden Governorate is a study that highlights this phenomenon. Written by Dr. Fadl Abdullah Nasser al-Balm, a researcher at the University of Aden, the book is a scientific study on the birds of Aden Governorate. The research was part of the ‘Sustainable Management for Natural Resources Project’, which held extensive activities and significant environmental projects in a number governorates including Aden. Overall the project involved 27 biodiverse sites across different areas. The study recorded 168 species of birds, 29 of which were non-migratory breeding birds, 16 migratory summer birds and 123 migratory winter birds. These birds belong to 41 families, 91 local and migratory species, 54 migratory birds in the summer of 2005 and 114 migratory birds during the winter.

The coast of Abyan and the three lakes of Aden, adjacent to the Sea Bridge and Al-Haswa reserve, are good sites to watch small wading birds such as sandpipers and falcons. Other birds including a large number of black ibis families and various large and small types of flamingos and moorhens can also be spotted in Al-Haswa. However, recently these birds are no longer seen in large numbers.

https://www.almadaniyamag.com/english/2017/9/9/migratory-and-endemic-birds-the-generosity-of-nature-and-the-arrogance-of-humans

An Inventory in Arabia Felix

One of our expedition's chief objectives was to identify "important bird areas" in Yemen.

We located one such site as the expedition traveled south from Ta'izz along the coast south of Mocha, between Dhubab and the cape at Bab al-Mandab. Here a whole, diverse series of habitats, all typical of the Yemeni Red Sea coast, occurs within one small area. These habitats constitute an attractive staging point where millions of migratory birds - mostly shorebirds that travel the Red Sea flyway between Eurasia and Africa each spring and autumn - can stop to rest and feed. The site's location close to the Bab al-Mandab enhances its importance; OSME-sponsored research in Djibouti, on the African side of the Red Sea, recently demonstrated the significance of the area as a route for migrating birds of prey. Many thousands cross the narrow straits each autumn at Bab al-Mandab, bound for the African mainland.

http://archive.aramcoworld.com/issue/199305/an.inventory.in.arabia.felix.htm

(4)

Wheat plague spreading through Yemen

Spread of ‘black rust’ through Yemen a risk for wheat crops in Africa, Asia, Europe

North African country is key to tracking, containing strains of the fungus

FAO and local authorities intensify control with coordination, training

Agricultural experts are seriously concerned about the spread of stem rust through Yemen to the world’s major wheat production regions, where it could wipe out huge cultivation areas of a crop crucial for food security.
Stem or black rust is a disease that hits basic agricultural crops such as wheat and barley. It is caused by a Puccinia fungus which attacks a plant’s stem, roots and leaves, but mostly damages the stem.
"As a gateway to Asia [from the south-west], Yemen has become one of the important areas of research, study, and intensified efforts related to the spread of the disease," said Salah Hajj Hassan, who represents the UN Food and Agriculture Organization (FAO) in Yemen.

"As a gateway to Asia [from the south-west], Yemen has become one of the important areas of research, study, and intensified efforts related to the spread of the disease," said Salah Hajj Hassan, who represents the UN Food and Agriculture Organization (FAO) in Yemen.

"Yemen is a ‘green bridge’ for these diseases to [spread to] major wheat-cultivation countries," Wageeh Al-Mutawakil, an expert at the General Authority for Agricultural Research and Extension in Yemen, told SciDev.Net.

https://www.scidev.net/global/farming/news/wheat-plague-spreading-through-yemen.html

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Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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