Kampf gegen Rechts: Kampf gegen ein Phantom

Propaganda statt Politik "Kampf gegen Rechts" als Propagandaposse: Wichtige Ursachen für Fremdenfeindlichkeit werden ausgeblendet und nicht bekämpft – denn das würde das große Narrativ gefährden

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In einem sehr interessanten Vortrag, den der Medienwissenschaftler Norbert Bolz im Juni 2019 vor der Desiderius-Erasmus-Stiftung gehalten hat, kommt er auch auf den "Kampf gegen Rechts" zu sprechen. Für alle politischen Parteien (damit meint er alle von der Linken bis zur FDP) sei der "Kampf gegen rechts" das gegenüber den Bürgern propagierte Hauptanliegen, das sie alle eint. Ansonsten hätten die Parteien den Bürgern kaum etwas anzubieten: keine neuen Ideen, Programme und Konzepte. Ich ergänze: Demnach wäre ihnen also (reichlich phantasielos) nur an der weiteren Fortschreibung des Status Quo gelegen.

Dabei sei der alle einigende "Kampf gegen Rechts" nicht mehr als der Kampf gegen ein Phantom: Nie sei die deutsche Gesellschaft weniger fremdenfeindlich gewesen als heute. "Nazis" (von Bolz hier offensichtlich in dem Sinn der 1930/40er Jahre gemeint als Anhänger von Adolf Hitler und des Dritten Reiches) gäbe es im heutigen Deutschland so gut wie keine mehr.

Bolz mokiert sich über Heiko Maas, der von sich gesagt hat, er sei in die Politik gegangen, um daran mitzuwirken, "dass sich Auschwitz nicht wiederholt". Damit, so frei nach Bolz, überhöhe sich Heiko Maas selbst, stelle sich und seine Politik auf ein moralisches Podest, und beanspruche damit, seine Politik gegen Kritik zu immunisieren: Wer sollte es wagen, eine Politik mit einem solchen Anspruch zu kritisieren? Um Bolz' Kritik weiterzuführen: Man könnte Maas hier noch vorwerfen, dass er mit diesem Ansatz (quasi durch die "Ungnade" der späten Geburt) 75 Jahre zu spät kommt, denn wir haben längst ganz andere politische Themen und Probleme. Und "Auschwitz" wird sich – Gott sei Dank! – auch ohne Heiko Maas nicht wiederholen...

Bolz hat sicher recht mit seiner Feststellung, der "Kampf gegen Rechts" nehme einen zentralen Platz in der gesamten politischen Diskussion seitens des politischen "Mainstreams" ein. Dabei bleibt freilich allgemein sehr diffus, was "Rechts" denn nun ist oder eben nicht ist. Dieser andauernde "Kampf gegen "Rechts" der ja vor allem ein Propagandakampf ist, hat zunächst einmal bewirkt, dass "Rechts" grundsätzlich und in jeder Hinsicht als verwerflich gilt. "Rechts" ist igitt, steht außerhalb unserer Demokratie und ist menschenfeindlich. Darüber würde in unserem politischen Spektrum wohl von der Linkspartei bis zur CSU weitgehende Einstimmigkeit bestehen.

Also, was ist dieses "Rechts", das bekämpft werden muss, eigentlich, und was ist dann dessen Antipode "Links"? In den 1950er bis 1980er Jahren war der Begriff "Rechts" noch keineswegs so negativ besetzt wie heute, damals konnte man durchaus eine Partei wie die CSU als "rechts" bezeichnen, ohne grundsätzlich gleich einen ganzen Rattenschwanz negativer Assoziationen dabei zu haben. Je "linker" man damals war, desto mehr Negatives verband man freilich (das war ja schon immer so) mit dem Begriff "Rechts". Eine ähnlich grundsätzlich negative Konnotation hatte – mehr noch in den 1950er und 1960er-Jahren als dann in den 1970ern und 1980ern – der Begriff "Links" in weiten Teilen des politischen Spektrums von der CSU bis weit in die SPD hinein: Damals war "Links" ein Schimpfwort wie heute "Rechts". "Links" war grundsätzlich gleich "linksradikal", so wie heute (ohne Zweifel ganz bewusst) kein Unterschied mehr zwischen "rechts" und "rechtsradikal" gemacht wird. Es haben sich also in diesem Punkt die Verhältnisse genau umgekehrt, "Links" taugt jetzt als ausgrenzende Beschimpfung nicht mehr, das ist jetzt "Rechts".

Also, was ist nun dieses zu bekämpfende "Rechts"? "Rechts" im politischen Spektrum war einmal vieles von "konservativ" über "reaktionär" bis hin zu tatsächlich "rechtsradikal" bis "Nazi". Je weiter links man im politischen Spektrum stand, desto mehr mochte man noch unter "Rechts" subsummieren. War die Adenauer-CDU rechts? Die CSU von Franz Joseph Strauß? Für mich waren sie es damals ohne Zweifel und wären es immer noch. Aber ehrenrührig wäre eine solche Feststellung damals nicht gewesen.

Bolz äußert in seinem Vortrag, die Unterscheidung von "Rechts" und "Links" hätte für die Politik von heute bzw. zur Einordnung der politischen Gegensätze von heute jede Bedeutung verloren. Ähnliches haben auch Andere immer wieder gesagt, und immer wieder hat es dagegen auch Widerspruch gegeben. Aber kommen wir Bolz hier entgegen und verzichten in der Tat einmal auf diese klassische Einteilung in Rechts-Mitte-Links.

Versuchen wir jetzt, konkret auf das einzugehen, was den wichtigsten Punkt des "Kampfes gegen Rechts" ausmachen soll. Das ist in meinen Augen eindeutig Fremdenfeindlichkeit, die mit diesem "Rechts" gleichgesetzt wird und die also bekämpft werden soll. Wie virulent ist Fremdenfeindlichkeit im Deutschland von heute? Ohne Zweifel immer noch mehr als genug, und so kann Bolz' Feststellung, sie sei heute so niedrig wie nie zuvor, auch nicht befriedigen.

Fremdenfeindlichkeit ist ja zunächst einmal eine Geisteshaltung – die sich dann in verschiedensten Handlungen und Verhalten ausdrücken kann, von tätlichem Angriff über Beleidigung, Benachteiligung im Alltagsleben von der Arbeits- bis zur Wohnungssuche u.a.m. Aber, ohne entsprechende Geisteshaltung keine derartigen Verhaltensweisen. Man kann nun Fremdenfeindlichkeit bekämpfen, indem man idealerweise auf die Geisteshaltung einwirkt oder wenigstens fremdenfeindliches Verhalten mit angemessener Verfolgung sanktioniert, so dass die sich fremdenfeindlich Verhaltenden wenn schon nicht durch einen Sinneswandel, so doch wenigstens durch die Angst vor Sanktionen von ihrem Treiben abgehalten werden.

Ja, wir müssen zweifellos konstatieren: Fremdenfeindliche Einstellungen sind in Deutschland immer noch weit verbreitet – selbst wenn das weniger der Fall sein mag als je zuvor. Wie bekämpfen wir sie also? Werden sie tatsächlich durch den von unserem politisch-medialen Mainstream geführten "Kampf gegen Rechts" effektiv bekämpft? Kurz gesagt, Nein.

Denn: Wer führt diesen Kampf, und welcher Mittel bedient er sich? Und da sehen wir vor allem Vertreter(innen) der gehobenen Mittelschicht, überwiegend studiert, mehr oder weniger intellektuell, mit eher gehobenen Jobs in Politik, Medien, vielleicht noch sogenannten NGOs. Milieu: 5-Zimmer renovierte Altbau-Eigentumswohnung im Prenzlauer Berg. Willkommen in der Blase. Das Mittel der Wahl für diesen "Kampf gegen Rechts" ist die moralische Keule: Wer fremdenfeindlich ist, ist moralisch schlecht, und alles von dumm, zurückgeblieben bis eben "rechts". Ein gleichzeitiger angenehmer Nebeneffekt: Wenn das die moralisch Schlechten sind, sind wir, die wir gegen diese Fremdenfeindlichkeit kämpfen, automatisch und nicht von dem Platz zu vertreiben die "Guten", die Moralischen etc. Wie angenehm!

Dabei spielt es letztlich überhaupt keine Rolle mehr, ob man diesen so geführten "Kampf gegen Rechts" überhaupt jemals gewinnen kann. Ganz im Gegenteil, je länger er dauert, desto besser: So lange der Kampf dauert, so lange sichert man sich dadurch den Platz der "Guten" und moralisch Vollkommenen. Und, natürlich auch: So lange er dauert, bekommt man auch Aufmerksamkeit.

Ein zwangsläufiger Effekt eines solchen "Kampfes gegen Rechts" durch moralische Etikettierung: Die knallhart Fremdenfeindlichen werden damit nicht erreicht. Sie bleiben wie sie sind. Wollte man gar genau das erreichen? Wie auch immer, auf Dauer nutzt sich das Thema ab, man muss also, um diesen als Moralangelegenheit geführten Kampf auf hohem Aufmerksamkeitsniveau zu halten, ständig neue rechte Säue durchs Dorf treiben, also immer neue Punkte der Aufregung finden und kann sich damit auch gegenüber immer mehr Leuten selbst moralisch erhöhen. Längst sind wir ja doch bei dem im Vergleich banalen Bereich der Sprache und der "Political Correctness" angekommen. Eine endlose Fortsetzung ist folglich garantiert, auch wenn die Inhalte damit immer belangloser und abstruser werden sollten.

Aber damit ist es noch längst nicht genug. Jahrelang hat man "Rechts" als den bösen Popanz aufgebaut, so dass nun die Mehrheit mit "Rechts" von vorneherein menschenfeindlich, moralisch schlecht, dumm, verbindet. Wer "rechts" ist, ist damit abgestempelt, ihm muss, ja darf man nicht mehr zuhören, was er zu sagen hat, interessiert nicht. Er ist allein mit der Etikettierung als "Rechts" außerhalb des moralisch Zulässigen und außerhalb des zulässigen Debattenraums (zu diesem weiter unten noch mehr). Wer "rechts" ist, ist draußen. Was liegt da nun näher, da man ja jetzt den Boden der negativen Konnotation von "Rechts" bereitet hat, davon weitergehend zu profitieren und all diejenigen, die bei den für den herrschenden Mainstream wirklich wesentlichen Fragen zu sehr abweichende Positionen vertreten, als "Rechts" zu etikettieren und damit auszugrenzen? Und, das ist ja der wichtigste Effekt, um sie damit effektiv mundtot zu machen? Denn einem als "Rechts" Etikettierten hört man ja nicht mehr zu.

Derartige Etikettierungen sind das meistgewählte Mittel seitens des Mainstreams, um Kritiker abzuwürgen – "Verschwörungstheoretiker" als Dauerbrenner, oder eben "Rechts". So trifft die Etikettierung als "Rechts" eben nun auch solche, die eher "linke" Positionen vertreten, Ken J. als ein Beispiel, oder schon mal auch die Nachdenkseiten, u. a. m. Sehr effektiv ist ja auch die Etikettierung als "antisemitisch", was ja dann per se "rechts" wäre, bis zu der völlig absurden Folge, dass bei einer inflationären Etikettierung mit diesem Begriff nun plötzlich auch eindeutig "links" vorgetragene Kritik am Kapitalismus "rechts" werden kann. Das ist infam, aber wirksam, und wird letztlich immer absurder: Die Vorstellung davon, was denn "rechts" nun eigentlich sei, wird dadurch freilich immer ungenauer, der Begriff "Rechts" immer weiter bis zur Unkenntlichkeit verwässert. Alles, was nicht Mainstream ist, kann mittlerweile "Rechts" werden.

Völlig absurd ist diese Etikettierung mit "Rechts" (samt der ganzen Etikettierungs-Orgie) nun in Corona-Zeiten geworden. Gegner der Corona-Maßnahmen werden ohne jedes Maß und ohne jeden Sinn mit den üblichen ausgrenzenden und moralisch abwertenden Etiketten beklebt, dazu werden neue hinzuerfunden. Natürlich müssen es "Verschwörungstheoretiker" sein, neu sind etwa "Coronaleugner" (selten ein dümmeres Etikett gehört: Wer "leugnet" wirklich Corona?) und "Covidioten". In unserem Zusammenhang natürlich besonders interessant das Narrativ, die Gegner der Corona-Maßnahmen seien "Rechts" (und auch "Antisemiten" finden sich hier öfters!). Zur Einführung dieses Narrativs fing man dann an, über Demonstrationen verzerrt zu berichten, als seien das überwiegend Aufläufe von "Rechten" ("Reichsbürger" machen sich im Bild am besten), Musterfall war die Berichterstattung über die Demonstrationen (auf den Plural lege ich wert) in Berlin am 29. August 2020. Die notwendige Folge davon: Die Vorstellung, was denn "Rechts" eigentlich sei, ist dadurch mittlerweile vollkommen verwässert worden.

Aber: Wollten wir denn nicht eigentlich lieber den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit tatsächlich gewinnen? Was sollte man dafür machen? Wo steht denn unsere politisch-mediale Blase unseres "Kampfes gegen Rechts" tatsächlich? Von "Rechts" aus gesehen mag ein solcher "Kampf gegen Rechts" tatsächlich ziemlich "links" sein, und in der Tat geht ja aus konservativen Kreisen immer wieder der Vorwurf an die CDU, sie sei unter Angela Merkel nach "links" gerückt – als sei dann also der von allen betriebene "Kampf gegen Rechts" irgendwie "links". Nun, als jemand, der sich selbst politisch eher links einordnet, würde ich das verneinen (Norbert Bolz hätte es vielleicht bejaht; wie auch immer!).

Aber wir wollten ja einmal das Rechts-Links-Schema für die Einordnung politischer Gegensätze beiseitelassen. Dann müssen wir uns aber – schon um auch unsere Blase der "Kämpfer gegen Rechts" irgendwie einordnen zu können – ein anderes Grundschema zur Einteilung der politischen Gegensätze – die wir ja eindeutig haben – überlegen. Was könnte das sein?

Nun, Politik ist und war immer bestimmt von den unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft und den verschiedenen Gruppen, die diese Interessen vertreten. Wenn wir uns jetzt nur einen einzigen heraussuchen dürfen, dann bleibt der wichtigste Interessengegensatz der zwischen den obersten 1 % (oder 2 oder sogar nur 0,1%) und den übrigen 99 % (oder 98 oder 99,9%). Dieser Gegensatz beherrscht tatsächlich die ganze Politik der Gegenwart – und wenn wir zurückblicken, das war auch nie anders. Politik ist Interessenpolitik. Die Politik begünstigt und arbeitet entweder für die 1 % oder für die 99 %. Das ist nichts Neues, und es ist ebensowenig nichts Neues, dass seit vielen Jahrzehnten und als weltweites Phänomen die Politik samt den sog. Mainstreammedien, die entweder von der Politik abhängig (öffentlich-rechtliche) oder im Besitz der 1 % (alle privaten) sind, im Interesse der oberen 1 % agieren. Am krassesten äußert sich diese Art der Interessenpolitik im Bereich der (neoliberalen) Wirtschafts- und Sozialordnung und durch eine imperial-aggressive Weltpolitik des "Westens" im Gefolge der USA. Von "Links" hört man dann hierzu oft, eben dieser Gegensatz zwischen einer Politik für die obersten 1 % oder aber für die anderen 99 % drücke sich heute der Gegensatz von "Rechts" und "Links" aus: Politik für die 1 % sei "rechts", Politik für die 99 % sei "links". Ich könnte mit einer solchen "Rekalibrierung" von "Rechts" und "Links" leben; lassen wir das jetzt dahingestellt [Fußnote].

Was bedeutet das nun konkret für einen "Kampf gegen Rechts" bei uns? Wir wollen ihn gewinnen!!! Wir wollen nicht einfach uns andauernd den "Rechten" moralisch überlegen fühlen. Und jetzt geht es ans Eingemachte – ans Eingemachte für den politisch-medialen "Mainstream". Denn: Um wenigstens einen Teilerfolg gegenüber der Fremdenfeindlichkeit zu erzielen, müssen wir an deren Ursachen gehen. Dabei gibt es alte und neue.

Da sind natürlich zu einen tiefsitzende Ressentiments mit uralten Wurzeln, gegen die man zweifelsohne am schwesten ankommt. Das geht allerdings kaum damit, dass man dem anderen erklärt, wie moralisch minderwertig er doch sei und wieviel moralisch besser man doch selbst sei. Bei wem könnte man mit so etwas tatsächlich punkten? Als einzigen Effekt perpetuiert man damit seinen Misserfolg und darf dafür den "Kampf gegen Rechts" bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Wie schön!!!

Die neuen Ursachen für Fremdenfeindlichkeit liegen dagegen in unserer aktuellen Weltordnung und Politik begründet.

Mit der Flüchtlingskrise kamen 2015 sehr viele Fremde nach Deutschland, das hat die Ressentiments befeuert und Ängste geweckt. Und auch unabhängig davon kommen viele Flüchtlinge ins Land. Alle diese Menschen sind aber nun wirklich nicht zu ihrem Vergnügen oder etwa mit dem Vorsatz, uns hier etwas wegzunehmen, nach Deutschland gekommen. Nein, sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben, durch Kriege, die wir angezettelt haben; durch mangelnde Versorgung in den Flüchtlingslagern, weil wir sie nicht weiter finanzieren wollten; durch die rücksichtslose Ausbeutung seitens unserer Konzerne, die afrikanischen Bauern das Land rauben und afrikanischen Fischern die Fische wegfischen. Die Menschen, die am Ende einer "Karriere" des Krieges, der Not, der Vertreibung und Verzweiflung endlich zu uns kommen, sind, wie gesagt, nicht auf einer Vergnügungsreise, sie haben Furchtbares durchgemacht und es wäre in der Tat inhuman gewesen, sie am Ende dieses Weges nicht bei uns aufzunehmen. Es ist aber eben ganz genau die Politik unseres "Mainstreams" für die 1 %, die sie überhaupt erst hierher getrieben hat.

Und was hat die Ressentiments hier noch weiter angeheizt? Wiederum eben genau diese Politik für die 1 %, die die Neuankömmlinge für das untere Drittel, wenn nicht für die untere Hälfte der Bevölkerung in Deutschland zu Konkurrenten im immer heftigeren neoliberalen Rattenrennen um immer weiter abnehmende Ressourcen gemacht hat: Die Syrer und Afrikaner konkurrieren nun mit dem weniger begünstigten Teil der Bevölkerung, für die die Lage auch ohne die Flüchtlinge immer schlechter geworden ist, direkt um bezahlbare Wohnungen, Arbeitsplätze und Sozialleistungen. Allein schon das garantiert einen Zuwachs an Fremdenfeindlichkeit. Und wieder kann sich die politisch-mediale Mainstreamblase, die von all dem persönlich nicht betroffen ist, moralisch überlegen fühlen. Wie schön!!!

Wenn also unser "Mainstream" einen wirklichen und nicht nur einen Fake-"Kampf gegen Rechts" führen wollte, müsste er genau an diesen Punkten ansetzen und eben genau seine eigene Politik, er müsste also sich selbst bekämpfen. Und das wird natürlich nie passieren, wir werden also weiter nur Propaganda statt wirklicher Politik erleben. Es wird also dabei bleiben, dass es so weiter geht wie bisher, der "Kampf gegen Rechts" immer absurder wird und auch noch mehr als Keule zur Verleumdung Andersdenkender verwendet wird.

Teil dieser Kampagne ist die immer weitergehende Verengung des Debattenraums. Darüber ist nun schon reichlich viel gesagt worden: der Bereich dessen, was als zulässig gilt, was in der öffentlichen Debatte gesagt werden darf, wird immer enger. Selbstverständlich ist es der politisch-mediale Mainstream selbst, der diesen (schwindenden) Raum für die zulässige öffentliche Debatte selbst (und zwar ausschließlich allein) bestimmen will. Diese Verengung des Debattenraums ist ein schon seit längerer Zeit laufender Prozess, der vielen immer noch nicht bewusst ist, aber denjenigen, die seine Grenzen gesehen haben und etwa auch noch mit früheren Zeiten vergleichen, sehr deutlich auffällt. Besonders eng ist der Debattenraum in allen Fragen, die wirklich die Grundlagen der vom Mainstream bedienten Macht der 1 % berühren: die wirtschaftlich-soziale neoliberale Ordnung mit ihren wachsenden sozialen Gegensätzen und die diese in die ganze Welt tragende imperiale und aggressive westliche, US-dominierte Geopolitik. Und wie im Zeitraffer hat sich jetzt diese Verengung des Debattenraums verstärkt, dank Corona haben wir jetzt nur noch eine einzige zugelassene Position, und das ist die der Bundesregierung. Davon abweichende Argumentationen werden verschwiegen oder verleumdet. Warum gerade die Corona-Politik der Bundesregierung nun zur Sicherung der Herrschaft der 1 % mindstens ebenso wichtig geworden ist wie die US-Außenpolitik oder das neoliberale System, wage ich nicht zu beurteilen.

Nun kommt auch Norbert Bolz in seinem Vortrag (von 2019, das bitte ich zu beachten!) auch auf die Verengung des Debattenraums. Und zu meiner Verblüffung schilderte er sein eigenes Erleben mit fast genau denselben Worten, wie auch ich es empfunden habe, kommt dabei dann aber zu einem (scheinbar!!) genau gegenteiligen Ergebnis. Bolz trägt vor, er sei öfters gefragt worden, ob er denn im Lauf der Zeit mit seinen Positionen immer weiter nach "rechts" gerückt sei, und er verneint: Keineswegs, er habe dieses Gefühl nicht, er sehe sich selbst so, dass er seinen Überzeugungen von vor 20 Jahren treu geblieben sei und noch so denke wie damals. Was sich verschoben habe, sei vielmehr die öffentliche Debatte: Sie habe sich klar nach links verschoben – und das könnte dann so aussehen, als habe er selbst seine Position (in diesem Debattenraum) verändert. Oh Wunder, Bolz gibt hier ganz genau fast wörtlich mein eigentliches Gefühl wieder – nur vertausche man in seiner Aussage dann jeweils "rechts" und "links". Also, demnach ist für mich im Gegensatz zu Bolz die öffentliche Debatte genau andersherum nach "rechts" gerückt, während ich auf meiner bisherigen "linken" Position stehenblieb.

Ja, wer hat denn nun recht, Bolz oder ich? Hat sich der öffentliche Debattenraum in den letzten 20 Jahren nun nach rechts oder nach links verschoben? Es geht ja wohl nur Entweder-Oder? Nein, und das ist genau der Witz: Es geht beides, und beides trifft zu! Denn: Das, was "Mainstream" ist, hat sich nicht einfach nach "rechts" oder nach "links" verschoben, sondern es hat sich in vieler Hinsicht neu formiert, es hat Dinge verbunden und untrennbar amalgiert, die vor zwanzig Jahren noch in ganz unterschiedlichen politischen Lagern anzutreffen gewesen wären: US-Imperialpolitik, westliche Kriege und Interventionen, neoliberalen Kapitalismus zusammen mit Homo-Ehe, Identitätspolitik, LGBTXY, "Political Correctness", um nur jeweils ein paar wichtige Punkte zu nennen. Das eine kam einmal von "rechts", das andere von "links".

Dazu kommt dann die Verengung des Debattenraums. Sie führt gleichzeitg dazu, dass alles von diesem Amalgam abweichende – sei es auf der "linken" oder auf der "rechten" Seite – ausgegrenzt, tabu, unsagbar (und möglichst auch ganz undenkbar!!) und obendrein auch noch moralisch abgewertet wird. Das zu erledigen ist Sache der Propaganda, wenn es sein muss, dann mit dem Holzhammer der Etikettierung als "Verschwörungstheoretiker", oder – noch tödlicher – als "Antisemit". Die jahrelange Gewöhnung an solche Etiketten ermuntert dabei zum immer häufigeren und immer absurderen Gebrauch.

Also, der Debattenraum hat sich weder einfach nach "links´" oder nach "rechts" verschoben. Nun bietet, um das graphisch dazustellen – das Koordinatensystem ja nicht nur die waagrechte X-Achse, auf der man sich zwischen "links" und "rechts" bewegt, sondern auch die die Höhe bestimmende Y-Achse. Die Veränderung des öffentlichen Debattenfelds muss man also zum ersten durch eine deutliche Verkleinerung (schon das könnte ja einen Bolz mehr "rechts" und einen Klose mehr "links" ja außerhalb des zulässigen Debattenfeldes geraten lassen) und zweitens durch eine Verschiebung darstellen, aber eben nicht auf der X-Achse nach "rechts" oder "links", sondern auf der Y-Achse durch eine Verschiebung nach oben oder unten – eben ganz woanders hin.

Ja, wohin wollen wir es in unserer graphischen Darstellung denn jetzt schieben – nach oben oder unten? Norbert Bolz hebt in seinem Vortrag auch darauf ab, dass sich der politische Diskurs immer weiter infantilisiere – bzw. ja wohl immer weiter (das ist ja ein gesteuerter Vorgang) infantilisiert werde. Und, das, was der politische und mediale Mainstream uns vorsetze, zu einem immer größeren Teil schlichtweg "Bullshit" sei: Nicht einmal Lüge, sondern einfach unsinniger Quatsch, der noch den für seinen Erzeuger erwünschten Effekt habe, die Öffentlichkeit auf völlig nebensächliche bis unsinnige Debatten abzulenken – Bullshit eben. Ja, stimmt. Damit ist auch klar, wohin wir in der graphischen Darstellung den winzig gewordenen Debattenraum schieben müssen: nach unten.

Willkommen in der Welt der Propaganda. Wie steigert man eigentlich "Bullshit"? "Bullshitiger", "Am Bullshitigsten"? Was wird uns in der nächsten Zeit noch alles erwarten?

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[Fußnote]: Mit einer solchen Neudefinition von "Rechts" und "Links" – "Rechts" ist Politik im Interesse der 1 %, "Links" ist Politik im Interesse der 99 % – lassen sich viele politische Positionen und Maßnahmen gut nach "Rechts" oder "Links" einordnen. Und das gilt dann auch für den ganzen ja vielfach (gerade von einem eher "rechten" Standpunkt aus) als "links" eingeordneten Komplex von Identitätspolitik, "Political Correctness" samt Genderei. Aber – auch wenn zweifelsfrei alle diese Konzepte von "links" gekommen sind – was ist mittlerweile längst daraus gemacht worden? Durch die Kreation von immer neuen Opferkategorien (Frauen; Menschen "mit Migrationshintergrund", solche mit dunklerer Hautfarbe ("People of Colour" in Neusprech), Alte, Junge, Menschen mit anderer sexueller Orientierungen und sonst was, dann in beliebiger Verbindung mit immer mehr werdenden Varianten kombinierbar und immer gegen eine wie auch immer definierte "unterdrückerische Mehrheit" wie etwa weiße Männer (Obdachlose und bulgarische Schlachthofarbeiter inklusive; eine verbindung zu den 1 % wird kaum je hergestellt!) und mittlerweile natürlich auch längst gegeneinander in Stellung gebracht werden, werden die 99 % in immer mehr Untergruppen gespalten, anstatt im Sinne eines allumfassenden Humanismus mit gleichen Rechten für alle gemeinsam für diese gemeinsamen Rechte aufzutreten.

Die 99 % immer weiter zu spalten, das ist astreine Politik im Interesse der herrschenden 1 % – und damit 100 % "rechts" – und ohnehin die beste Methode zur Herrschaftssicherung, die diese 1 % sich überhaupt nur wünschen können. "Divide et impera" – Teile und herrsche – nach dieser Devise beherrschten bereits die Römer ihr Reich, auch wenn dieser Spruch so prägnant erst in der Renaissance formuliert wurde. Dazu braucht es nützliche Idioten, die die Arbeit des Teilens für einen erledigen, Schafe, die sich teilen lassen, und genug Bullshit, um die Schafe damit zu füttern. Der ist hier garantiert. Und im Übrigen: Die Propagandisten einer solchen Aufteilung der Menschheit kommen ganz überwiegend aus genau demselben abgehobenen "juste" Milieu, wie es oben für die Kämpfer gegen "Rechts" beschrieben wurde, und die ganze Propaganda nützt viel weniger den den dafür benützten Opfergruppen als den Propagandisten selbst: Es gibt Aufmerksamkeit, moralische Überhöhung und mittlerweile auch immer mehr: Macht über andere.

Zu Norbert Bolz: https://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Bolz

Vortrag von Norbert Bolz: https://www.youtube.com/watch?v=3A-vO8G3V4s

Norbert Bolz im Interview, 20. Feb. 2021: https://www.youtube.com/watch?v=B85u05fQUeo

Zur Verengung des Debattenraums:

https://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/liebe-journalistenkollegen-hoert-auf-wahrheitspriester-zu-spielen-ld.1558052

http://www.gfk.wiki/Debattenraum

https://www.heise.de/tp/features/Wir-leben-in-einer-Zeit-der-Gegenaufklaerung-4178715.html?seite=all

https://www.rubikon.news/artikel/der-leise-tod-der-offentlichen-debatte

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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