Neudeutsche Debattenkultur: Keine Debatte!

Zensur beim "Spiegel" Beim "Spiegel" werden die Kommentare stark zensiert. Was durchkommt und was nicht, ist nicht immer einsichtig. Grundlegende Einwände sind ein Problem, manchmal klappt es

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Den "Spiegel"-Artikel zu Merkel und Corona konnte ich nicht ganz ohne Kommentar lassen.

Hier der Artikel:

Merkel nennt Verschwörungsideologien »Angriff auf unsere ganze Lebensweise«

Bundeskanzlerin Angela Merkel beobachtet bei Anhängern konspirativer Theorien »eine richtige Diskussionsverweigerung«. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet wird indes gegenüber der AfD im Landtag deutlich.

»Seit der Aufklärung ist Europa den Weg gegangen, sich auf der Basis von Fakten sozusagen ein Weltbild zu verschaffen. Und wenn ein Weltbild plötzlich losgelöst oder antifaktisch ist, dann ist das natürlich mit unserer ganzen Art zu leben sehr schwer vereinbar«, so die Kanzlerin. Bereits in der vergangenen Woche hatte sie in einer emotionalen Rede vor dem Bundestag diejenigen ermahnt, die nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse hören.

Link: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-zu-verschwoerungsideologien-angriff-auf-unsere-ganze-lebensweise-a-95cb7814-515f-48e1-8092-9384ecd22e7c

Dazu schrieb ich:

Witzig oder auch nicht.

Eine der größten Verschwörungstheorien der letzten Monate ist die Navalny-Geschichte, und da war ja Angela Merkel selbst eine der federführenden Verschwörungstheoretikerinnen.

Sie würde also zu diesem Thema besser den Mund halten.

Abstrus auch: Sie hat "diejenigen ermahnt, die nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse hören". Um "wissenschaftliche Erkenntnisse" geht es ihr dabei überhaupt nicht, sondern ausschließlich um diejenigen wissenschaftlichen Aussagen, die die Regierungspolitik stützen bzw. auf die sich die Regierungspolitik stützt. Alle anderen wissenschaftlichen Erkenntnisse und Aussagen blendet Merkel ja konsequent aus - ebenso wie der größte Teil der Medien. Was Merkel selbst treibt, ist eben genau keine wissenschaftsbasierte, sondern eine ideologische Herangehensweise. Was wir hier erleben müssen, ist Missbrauch von Wissenschaft.

Das wurde nicht freigeschaltet. Aha, an der Navalny-Story ist offenbar keine Kritik erlaubt. Zweiter Versuch: Weglassen und nur den letzten Absatz, beginnend mit Abstrus: Sie hat... etc.

Auch das wurde nicht freigeschaltet. Weswegen genau diese Aussage wohl zensiert wurde?

Dann der Versuch mit einem ganz abgeflachten Kommentar:

Wer verweigert hier wem die Diskussion? Die Kanzlerin fällt nicht gerade durch Diskussionsfreude auf. Zu einer Diskussion würde ja wohl als Grundvoraussetzung gehören, sich widersprechende Argumente anzuhören.

Das durfte sein.

Darauf antwortete ein Christian mit seinem Kommentar:

Verschwörungsschwurbler haben keine Argumente und genau das ist das Problem.

Über was will man den mit denen reden? Über emotionsgeladene Fake-Stories aus Facebook?

Darauf antwortete ich wiederum:

Es gibt jede Menge rein sachliche Kritik an den derzeitigen Corona-Maßnahmen, von Medizinern und Fachleuten für die verschiedensten Aspekte. Wer hier pauschal von "Verschwörungsschwurblern" redet (Was freilich dem politischen und medialen "mainstream" entspricht) demonstriert damit aber nur Mangel an Argumenten wie überhaupt an Bereitschaft zur Debatte.

Das wurde wieder zensiert! Pauschale Beschimpfung (Verschwörungsschwurbler) darf also sein, Hinweis auf Debattenkultur nicht. Das lässt schon recht tief blicken.

Dann noch einmal ein erneuter Versuch mit dem ursprünglichen Kommentar. War es in den Augen der "Spiegel"-Zensoren unzulässig, von Merkel zu verlangen, "den Mund zu halten"?

Dann nehmen wir doch noch einmal den ursprünglichen Kommentar, aber im dritten Absatz geändert: Statt besser den Mund halten setzen wir besser schweigen.

Und, nach einer ganzen Weile erschien dieser Kommentar dann tatsächlich. Aber, an der geänderten Formulierung kann es dann auch nicht gelegen haben, denn der gekürzte Kommentar ohne den Hinweis auf Nawalny und ohne Auffoerderung an Merkel war vorher ja nicht durchgegangen. verstehe wer will - Schichtwechsel im Zensorenteam alias Moderationsteam?

Also, von fünf meiner Kommentare wurden drei zensiert. "Debattenkultur" ist das nur bedingt. Es bleibt Spekulation, wieviel an Kommentaren bei einem solchen Thema beim "Spiegel" der Zensur zum Opfer fällt, von meinem Fall hochrechnend sage ich 60 %.

Gerade beim Thema Corona-Maßnahmen ist das zulässige (d. h. seitens Politik und Medien-Mainstream erlaubte) Debattenfeld verengt wird auf wenig mehr als auf die Vorgaben der Regierungspolitik, ier Aussagen der sehr selektiv zur Stützung dieser Politik zugelassenen handverlesenen "Experten" und das Nachplappern von all dem in der engen Echokoammer des medialen Mainstreams.

Stammtischniveau bleibt erlaubt. Ein HU führt den oben zitierten Kommentar von Christoph fort:

Oder über diesen hanebüchenen Unsinn von "gerecht 67" (siehe eine Position oben)... Furchtbar traurig, diese QD, und dennoch zum nicht enden wollenden brüllenden Lachen, vor allem, wenn sie lautstark "Respekt" einfordern für ihren respektlosen Umgang mit Kompetenzen, Wahrheiten, Schicksalen.

Schlecht, wenn mit nicht enden wollenden brüllenden Lachen die Unfähigkeit zur Debatte und zur Argumentation überspielt werden soll. Aber sehr viel mehr scheint HU nicht draufzuhaben, über einen anderen maßvoll kritischen Kommentar muss [er] aber lautstark und grölend lachen. Grölend ist vielleicht die beste Beschreibung, wie die Debatte zum Thema Corona derzeit stattfindet.

Und dann wird respektloser Umgang kritisiert, es wird also damit Respekt eingefordert. Wofür und für wen? Für Kompetenzen (Wessen Kompetenzen? Der Regierung? Da kompetente Fachleute ganz unterschiedliche Ansichten äußern, können die nicht gemeint sein.), für Wahrheit und Schicksale (Was für eine Wahrheit? Was für Schicksale? Sie brauchen nur auch einmal hier nachzulesen, um zu sehen, wie unsinnig es ist, in diesem Fall ausgerechnet mit Wahrheit und Schicksalen zu kommen: https://www.nachdenkseiten.de/?p=66081 und https://www.nachdenkseiten.de/?p=66716 - ein wesentlicher Teil der Wahrheit zum Thema.

Also: Es wird Respekt eingefordert für die Kompetenz der Regierungen (Bundes-, Landes-) und der in ihrem Sinne redenden Experten (für die Kompetenz der anderen wird genau das Gegenteil von Respekt eingefordert, siehe an der Benennung als Verschwörungsschwurbler), für die seitens der Regierung(en) und ihrer (handverlesenen) Experten erklärten Wahrheit und für die ausgewählten Schicksale, mit denen sich die Wahrheit der Regierungspolitik propagieren lässt. Alle anderen Schicksale sind jedoch völlig egal, scheißegal.

Also: Respekt gegenüber der Regierung soll unsere neue Tugend sein. So spricht der Untertan 4.0, das Vorbild für die Zukunft. Willkommen im Jahr 2021.

Und dann gibt es als Neuestes noch eine Replik auf meinen längeren Kommentar, von einem Wolfgang:

Das kann nur von einem sogenannten Querdenker aus der bestimmten Szene Deutschlands kommen. Höcke und Gauland lassen grüßen.

Merke: Über Corona hatte ich überhaupt nichts gesagt, ausschließlich über Debattenkultur. Aber "Wolfgang", das genau ist die neudeutsche Debattenkultur: Abweichungen (und wenn sie sich auch nur darauf beziehen, wie man miteinander redet) sind nicht erlaubt. Statt Debatte herrschen Beschimpfung und Etikettierung.

Die neudeutsche "Debattenkultur" heißt: Keine Debatte! Debatte für den Untertan 4.0 bedeutet: Proklamation und Akklamation, deutsch Verlautbarung und Zustimmung. Und damit Ende der Debatte. Willkommen im Jahr 2021.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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