Wenn man Propaganda nicht so nennen darf

Zensur bei der "Zeit": Die "Zeit" beteiligt sich an einer Propagandakampagne, mit der Russland die Hauptschuld an der Lage in Syrien zugeschoben werden soll. Wer darauf hinweist, wird zensiert

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Angesichts der erneut eskalierenden Flüchtlingskrise an der EU-Außengrenze wird unser Blick wiederum auf die Lage in Syrien gelenkt.

Unsere Mainstreammedien wollen das offensichtlich mal wieder zu einer Propagandakampagne nutzen, die vor allem gegen Russland (und, auch das nichts Neues, besonders gegen Wladimir Putin persönlich) gerichtet ist. Es ist schon sehr auffällig, wie viele Medien in wie kurzer Zeit in diesen Chor einstimmen, und von Nuancen abgesehen hören wir immer wieder dasselbe: Die Russen sind schuld.

Dabei wird durchweg verschwiegen, wer wirklich die Schuld an der Syrienkrise hat. Methode: "Verkürzte Erzählung". Albrecht Müller schreibt dazu:

Manipulationsmethode 3.: Geschichten verkürzt erzählen. Diese Methode wird ständig eingesetzt. Beim Konflikt in Syrien wird heute unentwegt so getan, als habe der Konflikt mit dem Auftreten der Russen 2015 begonnen. – Bei den Berichten über das Elend der Flüchtlinge wird so getan, als seien Syrien, der Irak oder Afghanistan daran schuld. Von den Kriegen des Westens, von der Strategie des Regime Change und von der imperialen Politik der USA und der NATO ist selten die Rede (https://www.nachdenkseiten.de/?p=58944).

Auch die "Zeit" ist wieder einmal dabei, mit gleich zwei Artikeln in der Ausgabe vom 5. März 2020, der eine von Alice Bota, die gerne immer aufgeboten wird, wenn etwas Politisches gegen Russland geschrieben werden soll. Dieser Artikel ist auf Seite 1 der Druckausgabe prominent platziert:

"Unter unseren Augen" (https://www.zeit.de/2020/11/syrien-wladimir-putin-russland-baschar-al-assad).

Dazu schrieb ich folgenden Kommentar (in zwei Teile geteilt; hier kursiv):

Das ist wieder einmal ein Propagandaartikel.

Westliche Propaganda erzählt die Geschichte des Syrienkonflikts immer verkürzt. Dabei ist vor allem der Westen dafür verantwortlich, dass es überhaupt einen Krieg in Syrien und den dadurch hervorgerufenen Flüchtlingsstrom gibt.

Der Westen legte es darauf an, den Arabischen Frühling in Syrien zum „Regime Change“ zu nutzen, um Präsident Assad loszuwerden. Der Westen, in Zusammenarbeit mit seinen Verbündeten am Golf (Saudi-Arabien, Katar, Emirate) hat die sog. „Opposition“ mit Waffen ausgerüstet. Was für eine „Opposition“ lässt sich auf einen bewaffneten Widerstand ein? So werden immer die allerradikalsten Kräfte nach vorne geschoben, die große Mehrheit der politischen Opposition geht unter. In Syrien bedeutete das: Die angeblichen „Rebellen“ (oder gar: „moderate Rebellen“) sind tatsächlich Al Kaida.

„Wladimir Putin trägt Verantwortung für die Verbrechen in Syrien“. Mag sein. Wer noch, und wer trägt noch mehr als Putin? Wie wäre es mit Barack Obama, Hillary Clinton? Das blenden unsere Medien völlig aus.

Die Geschichte in Syrien, „Und Wladimir Putin hat sie ins Rollen gebracht“. Das ist ein Musterbeispiel für eine verkürzte Erzählung. Was vorher passiert ist und nicht ins Bild passt, wird weggelassen. Putin hat die syrische Krise nicht „ins Rollen gebracht“. Russland hat überhaupt erst 2015 stärker eingegriffen. „Ins Rollen gebracht“ hat die Krise der Westen mit seinen Verbündeten am Golf.

Der Westen – das sind hier die USA und die Europäer, die von Anfang an kräftig mitgetan haben. Insoweit sind die Europäer in der Tat „Komplizen“ – aber nicht von Russland, sondern der USA. Und das ist im Fall von Syrien klar die schlimmere Variante.

„Putins Militär“ habe in Syrien Kriegsverbrechen verübt. Das wird in der Tat so sein. Eher noch schlimmer haben freilich die USA gewütet. War das der „Zeit“ eine ähnliche Empörung wert? Gab es in der Zeit eine Schlagzeile „Barack Obama trägt Verantwortung für die Verbrechen in Syrien“? Wohl kaum. Die typische Propaganda-Schieflage: Wenn die Russen etwas machen, ist es ein Kriegsverbrechen, wenn die Amerikaner dasselbe machen, ist es ein „Versehen“, „Fehler“, „Missgeschick“, „Unfall“ etc.

Die propagandistische Schieflage der „Zeit“, wenn es um Geopolitik, Russland, die Weltpolitik der USA, Kriege im Nahen Osten geht, ist evident. Mit dem Artikel auf S. 2 („Die schon wieder“) geht es gleich so weiter.

Diese Artikel sind Teil einer Propagandakampagne, die bewusst verkürzt erzählt und die vor allem den ganzen Schutt des Syrienkrieges bei Russland abladen soll. Eine ganze Anzahl von Propagandaartikeln, die (mehr oder weniger plump) alle dasselbe erzählen und eine Monotonie an Meinung zeigen, die an die Bandbreite der DDR-Presse erinnert. Kampagnenjournalismus eben.

Mehr dazu:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=59055#h01

https://www.nachdenkseiten.de/?p=59046

https://www.anti-spiegel.ru/2020/syrien-offene-kriegsproganda-im-spiegel/

[Hinzu käme noch https://www.nachdenkseiten.de/?p=58932#h02

https://www.nachdenkseiten.de/?p=59122#h04

und, speziell auf die "Zeit" bezogen: https://www.freitag.de/autoren/sabine-kebir/letzte-ausfahrt-idlib#1583478785697040]

Beim Kommentieren warnt die "Zeit"-Redaktion die Leser(innen) schon vor: "Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Kommentarbereich prüfen wir alle Beiträge, bevor sie veröffentlicht werden." Und in der Tat, dieser Kommentar wurde nicht freigeschaltet. Um sicherzugehen, schrieb ich noch einen Pillepalle-Kommentar, der dann bald freigeschaltet wurde (https://www.zeit.de/2020/11/syrien-wladimir-putin-russland-baschar-al-assad?cid=51836332#cid-51836332), und weitere danach ebenso. Ich war also nicht einfach nur zu ungeduldig gewesen.

Nun sind auch durchaus kritische Kommentare veröffentlicht worden, aber die Benennung eines Artikels wie "Unter unseren Augen" als Propaganda und Kampagnenjournalismus darf offenbar nicht sein.

Fazit: Mein Kommentar verstößt sicher nicht gegen die Kommentarregeln der "Zeit", die man hier findet: https://www.zeit.de/administratives/2010-03/netiquette/seite-2.

Und aufschlussreich dazu ist auch https://blog.zeit.de/glashaus/2018/03/02/wie-wir-leserkommentare-moderieren/.

Dort heißt es: "Wir zensieren nicht, bestehen aber auf unserem Hausrecht. Sehr regelmäßig werfen uns Kommentierende "Zensur" vor. Ebenso regelmäßig wehren wir uns gegen diesen Begriff: Staatliche Institutionen zensieren, wenn sie die Berichterstattung von Medien kontrollieren und einschränken."

Das ist schon eine sehr putzige Definition von "Zensur" und ein schöner "Neusprech", wenn man sie zu "Hausrecht" umdefiniert. Zumal es hier eben nicht um Verstöße gegen die Kommentarregeln geht, die dann als Begründung für die Ausübung des "Hausrechts" angeführt werden. Den Begriff der Zensur nur auf staatliche Kontrolle der (etablierten) Medienformen einengen zu wollen, greift längst viel zu kurz und lässt die Entwicklung von sozialen Medien, Onlineforen und -kommentaren in den letzten zwei Jahrzehnte völlig außen vor.

Wenn hier Inhalte aus politischen Gründen (und nicht wegen Verstößen wie Beleidigung, Unflätigkeiten, rassistischen Äußerungen o.ä.) etc. weggefiltert werden, dann ist das ebenso Zensur wie bei der klassischen Zensur der herkömmlichen Medien durch staatliche Stellen. Neben der mittlerweile gängigen Zensur in den Kommentarspalten der Online-Angebote der klassischen Medien sind es gerade die von mittlerweile fast Allen weltweit genutzten großen sozialen Medien wie Google, Youtube, Facebook, Twitter, Instagramm, die massive politische Zensur üben, und das im Interesse der US-amerikanischen Geopolitik, sei es mit oder ohne direkten Druck.

Hierzu siehe vor allem https://thegrayzone.com/2020/01/12/us-pressure-social-media-censoring-suspending-venezuela-iran-syria/

https://theintercept.com/2017/12/30/facebook-says-it-is-deleting-accounts-at-the-direction-of-the-u-s-and-israeli-governments/

Und auch: https://multipolar-magazin.de/artikel/twitter-die-neuen-amtlichen-mitteilungen

https://yasha.substack.com/p/still-censored-by-twitter

https://www.opendemocracy.net/en/north-africa-west-asia/how-twitter-gagging-arabic-users-and-acting-morality-police/

https://off-guardian.org/2019/06/05/youtubes-latest-purge/

https://www.rubikon.news/artikel/die-gedankenpolizei

https://twitter.com/wikileaks/status/1097531825289863168

https://www.globalresearch.ca/facebook-censorship-and-the-atlantic-council/5656896

https://www.mintpressnews.com/how-a-small-team-of-journalists-overcame-neocon-cheered-facebook-censorship/255789/

https://shadowproof.com/2019/02/16/cnn-manufactured-story-about-russia-video-company-facebook-censorship/

https://grayzoneproject.com/2018/08/24/big-tech-corporations-censoring-iranian-social-media-accounts-banned-student-journalist/

https://www.commondreams.org/news/2018/12/28/facebooks-secret-censorship-manual-exposed-platform-takes-down-video-about-israel

Fazit: In der Zeit von Internet und Sozialen Medien gibt es jede Menge privater Zensur, und es gibt sie eben auch bei der "Zeit".

Um noch einmal auf die Katastrophe in Syrien und den "Zeit"-Artikel zurückzukommen: Der letzte Absatz dieses Artikels beginnt mit dem Satz: "Dieser Krieg ist keine Tragödie, er ist ein Verbrechen". Ja, dem ist voll zuzustimmen. Aber wenn er ein Verbrechen ist, dann gehören diejenigen, die ihn zu verantworten haben, vor Gericht gestellt und verurteilt. Da wäre natürlich Bashar Assad dabei, aber noch weit vor Putin und Erdogan müßten dann Leute wie Barack Obama, Hillary Clinton, ihre politisch verantwortlichen Verbündeten in Europa und im Nahen Osten endlich vor Gericht gestellt werden. (Zur Erinnerung: https://www.freitag.de/autoren/dklose/die-amerikanische-hand-im-syrienkrieg und https://www.freitag.de/autoren/dklose/der-westen-und-der-buergerkrieg-in-syrien).

Propaganda nach Art der aktuellen Medienkampagne wird dabei weiter zur Verschleppung von Gerechtigkeit für Syrien beitragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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