Es rauschte gehörig im Blätterwald, als die New York Times jüngst bekannt gab, dass sie ihre gesamten Inhalte kostenfrei im Internet zugänglich machen werde. In den zwei Jahren zuvor hatte die amerikanische Traditionszeitung zwar mehr als zehn Millionen US-Dollar an ihrem kostenpflichtigen Onlinearchiv verdient. Mit der radikalen Wende hoffen die Herausgeber aber noch höhere Einnahmen durch die zusätzliche Schaltung von Online-Werbung zu erzielen. Nach mageren Jahren, in denen die Verlage zahlreiche Anzeigenkunden wie Leser ans Internet verloren haben, suchen diese nun selbst ihr Heil in der digitalen Welt - und nehmen die damit verbundenen Risiken leichtsinnig in Kauf.
Nicht nur das Ende der gedruckten Zeitung scheint bereits absehbar. Arthur Sulzberger, Herausgeber der NYT, hat das Interesse offenbar schon verloren: "Will we print the NY Times in five years? I don´t care."
Mit Gleichgültigkeit gegenüber dem traditionellen Abonnentenmodell verabschieden sich die Verlage zugleich von ihren Lesern: Alleiniger Kunde wird fortan die Werbewirtschaft sein - der ehemalige Abonnent sorgt als Internetuser nur mehr für die Seitenaufrufe. Denn im gebührenfreien Internetangebot sind es diese "Klicks", nach denen sich die Preise für Werbebanner berechnen. Mit Hilfe von Nutzerprofilen und aufgezeichneten Surfgewohnheiten lassen sich darüber hinaus potentielle Zielgruppen für die Werbeindustrie ausloten.
Da Anzeigen von den Usern zumeist hingenommen werden, um eine vermeintlich kostenlose Leistung zu erhalten, lassen sich die Folgen dieser Gratis-Strategien leicht vorhersagen: Allen voran die jüngeren Leser, die mit dem Internet groß geworden sind, werden, wenn sie überhaupt noch welche besitzen, früher oder später ihre Printabonnements kündigen und ausschließlich auf Online-Angebote zurückgreifen. (Diese Tendenz wird sich mit der Verbreitung des "Mobilen Internet" in den kommenden Jahren noch verstärken.) Denn unter ihnen gilt die Losung: Wieso für etwas bezahlen, dass man anderswo umsonst bekommen kann?
Wenn aber werbefinanzierte Internetangebote zur Grundlage unserer täglichen Nachrichtenversorgung werden, müssen sich die Verleger die Frage gefallen lassen, wie sie langfristig publizistische Qualität und redaktionelle Unabhängigkeit zu gewährleisten gedenken. Bereits die eilig geschusterten Sanierungsmaßnahmen zahlreicher Printangebote zielen auf eine breite Marktkonformität: Traditionelle Wochenzeitungen wie Die Zeit geben sich den Anstrich von Life-Style-Magazinen, an allen Ecken wird "gerelauncht", Beilagen werden - vorrangig zu dem Zweck der Anzeigenvermarktung - zurück ins Leben gerufen.
Diese "Anpassung nach unten" findet sich verstärkt im Internet wieder. Neben der Quote zählt hier die Geschwindigkeit: Da die jüngsten "Eilmeldungen" so schnell wie möglich raus müssen, verfügt ein Redakteur selten über ausreichend Zeit, um Fakten zu prüfen oder Hintergründe zu recherchieren. Ohnehin gelten redaktionelle Beiträge als kosten- und zeitaufwändig - und werden mehr und mehr durch Agenturmeldungen verdrängt. Schließlich verkommen die Internetangebote zu "medialen Durchlauferhitzern".
In anderer Hinsicht stellen kritische Analysen zunehmend ein wirtschaftliches Risiko dar, könnten sie doch potentielle Anzeigenkunden verprellen. Schon heute wird die Verquickung von journalistischen Beiträgen und Werbung kritisiert. Sollten die Leser in Zukunft tatsächlich noch kritische Beiträge über Unternehmen erwarten dürfen, wenn diese zu den unentbehrlichen Sponsoren des digitalen Nachrichtenangebots gehören? Nicht nur die redaktionelle Qualität und mediale Unabhängigkeit drohen im Zuge der gegenwärtigen Strategien in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass sich die Angebotsvielfalt an Nachrichtenquellen im Internet in den nächsten Jahren dramatisch verringern wird.
Noch hoffen die kleinen Zeitungen - gleichsam mit dem Mut der Verzweiflung - über die kostenfreie Abgabe ihrer Artikel mehr Aufmerksamkeit zu erzielen, um so dem allgemeinen Trend sinkender Printauflagen entgegen zu wirken. Ob sie damit auf Dauer Erfolg haben werden, ist jedoch fraglich.
In der Regel mangelt es an Strategien, wie Leser langfristig gehalten und mit Hilfe des Onlineportals die ökonomischen Erträge nachhaltig gesteigert werden können. Den kleinen Anbietern fehlt es an Besuchern, um genug Anzeigeneinnahmen verbuchen zu können. Zu Recht befürchten viele kleine Publikationen, mit der Verlagerung ins freie Webangebot das finanzielle Polster durch Printabonnements zu verlieren - nicht zuletzt auch, weil der Online-Werbemarkt sich durchaus zyklisch verhält.
Die größte Herausforderung steht den Zeitungen aber noch bevor: Nimmt man die Aussage Sulzbergers Ernst, hat das Aussterben der Printmedien bereits begonnen. Früher oder später werden die kleinen Zeitungen in dem harten Kampf um Anzeigenkunden und Gratis-Leser den Kürzeren ziehen - die großen Onlineportale haben den Markt längst unter sich aufgeteilt.
Allerdings liegt gerade in den ungleichen Wettbewerbsbedingungen auch eine Chance für die "Kleinen", dem absehbaren journalistischen Niedergang zu entkommen und einen alternativen Weg einzuschlagen. Das bestätigt eine Studie des Frankfurter Media-Consulting-Unternehmens Timelab. Sie prophezeit deutschen Verlagen, dass bezahlte Inhalte im Internet keine Zukunft haben. Bemerkenswert ist die Begründung: Den meisten Angeboten mangele es schlicht an exklusiven Inhalten, für die der Leser bezahlen würde.
Statt breite Marktkonformität anzustreben und sich im Internet uneingeschränkt den Bedingungen des Werbemarkts zu unterwerfen, sollten gerade kleinere Zeitungen einen entschleunigten Blick auf die politischen, ökonomischen und kulturellen Geschehnisse pflegen. Nicht nur Lokalzeitungen und Fachzeitschriften könnten somit - dank herausragender Beiträge - abseits der ausgetretenen Pfade des Agentur- und Tagesjournalismus bezahlbaren und werbefreien Qualitätsjournalismus anbieten.
Die Werbefreiheit wird am Ende nicht nur jene überzeugen, die bunte Anzeigenbanner im Internet Leid sind. Werbefreiheit gewährleistet auch - und dies kann nicht oft genug betont werden - ein gutes Stück redaktioneller Unabhängigkeit.
Daniel Leisegang, geboren 1978 in Unna, Politikwissenschaftler, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik (www. blaetter.de).
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