Der Artikel über das Wiedererstarken der Psychoanalyse war interessant und hat kurz und prägnant beschrieben, was beiden Richtungen auszeichnet. Doch während des Lesens habe ich mich zunehmend geärgert und das hatte mit einem Schwarz-Weiß-Denken zu tun, das ich im Freitag bislang glücklicherweise vermisst habe.
Da wird beschrieben wie zwei Therapierichtungen miteinander um die Vorherrschaft ringen. Die eine sichert ihren gesellschaftlichen Platz mit Lobbyismus, die andere mit fadenscheiniger Wissenschaftlichkeit. Soweit so gut. Was fehlt ist der Hinweis auf die Zwischenräume. Als gäbe es in der Welt tatsächlich nur Republikaner und Demokraten, CDU und SPD oder eben Psychoanalyse und Verhaltenstherapie.
Im Prinzip ist nichts dagegen einzuwenden, dass Journalisten ein Abbild der gesellschaftlichen Realität geben, nur tragen sie gelegentlich dazu bei, diese eben mit ihrer Auseinandersetzung zu zementieren. Man kann auch nicht erwarten, dass ein Journalist fachspezifische Inhalte vertieft, die vielleicht nur Insidern interessant erscheinen. Aber das Ganze hat auch eine gesellschaftspolitische Dimension und ist bei der Behandlung des Themas ein wenig (mindestens) zu kurz gekommen. Denn neben diesen beiden „Alpha-Strömungen“ gibt es eine Fülle von anderen Perspektiven und Schattierungen, die sich nicht die beiden Mainstreamverfahren subsumieren lassen. Der Artikel täuscht mit seiner Dokumentation eines „Titanenkampfes“ darüber hinweg, dass beide im Prinzip dasselbe Menschenbild vertreten. Zwar betrachten beide Richtungen unterschiedliche Aspekte menschlichen Erkenntnisvermögens und sind auch in ihrer Methodik verschieden, doch betrachten beide das Individuum (den Patienten, Klienten, Probanden) als Opfer, Unwissenden bzw. jemanden, den man auf den rechten Weg bringen muss.
Der Autor suggeriert hier einen Paradigmenwechsel, der überhaupt nicht zur Debatte steht-jedenfalls nicht zwischen beiden Richtungen. Da sind zwei Claims abgesteckt und eingezäunt und die vermeintlich Hilfsbedürftigen dürfen sich aussuchen, welcher Garten ihnen besser steht bzw. welcher ausgeschildert ist. In der Regel findet die besser betuchte Mittel- und Oberschicht dann den Weg zum Analytiker (hier gibt es dann auch die entsprechende intellektuelle Herausforderung) und alle anderen werden wieder funktionstüchtig gemacht (funktioniert leider immer weniger). Nicht dass beide Verfahren nicht ihre Berechtigung hätten aber die menschliche Realität ist wesentlich vielfältiger als es diese beiden „Gärten Edens“ es abbilden. Um dieser Tatsache gerecht zu werden braucht es keine neuen Therapierichtungen und Leit(d)figuren, die mit umwälzend neuen Erkenntnissen endlich der Seele auf die Spur kommen und neue Claims abstecken sondern es braucht … eben alle Beteiligte (also auch die „Hilfsbedürftigen“). Warum gibt es keine wirklich neuen Erkenntnisse mehr auf diesem Sektor? Weil immer dort gesucht wird, wo das eigene kleine methodische Lichtlein hin leuchtet. Und wo leuchtet es hin? Dorthin wo ich mein Interesse suche? Sei es Anerkennung, Reichtum oder der Wunsch anderen zu helfen (ob sie nun wollen oder nicht!).
Kommentare 5
"In der Regel findet die besser betuchte Mittel- und Oberschicht dann den Weg zum Analytiker (hier gibt es dann auch die entsprechende intellektuelle Herausforderung) und alle anderen werden wieder funktionstüchtig gemacht (funktioniert leider immer weniger"...
Ja, es gibt zwischen den Polen langjährige Analyse und quick-fix-Verhaltens- oder Gesprächstherapie noch viele andere Formen und Arten der Unterstützung, die einer halbwegs gesunden psychischen und geistigen Verfassung zuträglich sind.
Gerne hätte ich noch ein oder zwei Beispiele von Ihnen hierzu gehört. Persönlich habe ich Erfahrung mit der verhaltenspsychologisch orientierten Gesprächstherapie gemacht, die tatsächlich das Ziel hatte, mich möglichst "rasch" wieder funktions- und arbeitsfähig zu machen.
Allerdings habe ich auch eine analytisch orientierte Psychologin kennengelernt, die sich viel Zeit für die persönlichen Konflikte ihrer Klienten/Patienten genommen hat.
"Probanden" finde ich, ist kein so sympathischer Begriff.
P.S. Meine Erfahrungen beruhen sowohl auf eigenem Studium der Psychologie (ohne Abschluss) sowie Arbeitstätigkeit im Bereich der Psychosomatik, als auch eigener Inanspruchnahme von therapeutischer Hilfe.
Wenn Sie übrigens auf den Artikel "Auf der Couch" im Freitag direkt antworten wollen, finden Sie diesen irgendwo auf der Startseite. Damit Ihr Kommentar von der Redaktion auch gelesen wird...
Meine Kritik richtet sich nicht auf einzelne TherapeutInnen, die sich der einen oder anderen Richtung zuordnen müssen, um überhaupt abrechnen zu können. Auch ich arbeite unter dem Label Tiefenpsychologen bin aber ausgebildeter Gestalttherapeut. Es ist nahheliegend, dass ich diese Richtung als eine Alternative anpreise. s gibt aber auch weitere Richtungen, wie z.B. systemisch orientierte Psychotherapien, einen anderen Blickwinkel einnehmen und vor allem ein anderes Menschenbild haben. In den meisten Therapiestudien ist übrigens das Hauptkriterieum für eine erfolgreiche Therapie, die Güte der Beziehung zwischen Patien/Klient und Therapeut.
Ps.: Vielen Dank für den Hinweis mit der Startseite.
Meine Kritik richtet sich nicht auf einzelne TherapeutInnen, die sich der einen oder anderen Richtung zuordnen müssen, um überhaupt abrechnen zu können. Auch ich arbeite unter dem Label Tiefenpsychologen bin aber ausgebildeter Gestalttherapeut. Es ist nahheliegend, dass ich diese Richtung als eine Alternative anpreise. s gibt aber auch weitere Richtungen, wie z.B. systemisch orientierte Psychotherapien, einen anderen Blickwinkel einnehmen und vor allem ein anderes Menschenbild haben. In den meisten Therapiestudien ist übrigens das Hauptkriterieum für eine erfolgreiche Therapie, die Güte der Beziehung zwischen Patien/Klient und Therapeut.
Ps.: Vielen Dank für den Hinweis mit der Startseite.
"In der Regel findet die besser betuchte Mittel- und Oberschicht dann den Weg zum Analytiker (hier gibt es dann auch die entsprechende intellektuelle Herausforderung) und alle anderen werden wieder funktionstüchtig gemacht (funktioniert leider immer weniger)."
Wenn das bedeuten soll, dass Verhaltenstherapie die Patienten zu ihren Ungunsten nur kurz reparieren soll, sozusagen im Dienst der fiesen Kapitalisten die Arbeiter wieder flottmachen oder was auch immer, halte ich das für eine absurde Behauptung. Auch wüsste ich gerne, worauf sich das "funktioniert leider immer weniger" stützt.