Der Alkohol fließt in Strömen, in einem Nebenzimmer gibt es Schüsseln voller Kokain, eine Jazzband heizt der elegant bis spärlich bekleideten Menge ein, rundherum finden Orgien statt, und schließlich stapft ein Elefant in das Tableau des stetig eskalierenden Exzesses – dies, so vermittelt es Damien Chazelles 188-minütige Tragikomödie Babylon – Rausch der Ekstase zu Beginn, soll das Hollywood im Jahr 1926 sein.
Mittendrin in diesem angeblich kreativen Chaos tummeln sich drei Figuren, die der Wunsch eint, Teil von etwas Größerem, gar „Magischem“ sein zu wollen: das Starlet Nellie LaRoy (Margot Robbie), der bereits etablierte, daueralkoholisierte Stummfilmstar und Frauenheld Jack Conrad (Brad Pitt) und schließlich der un
ießlich der unschuldige Träumer Manuel „Manny“ Torres (Diego Calva), der als Handlanger des Studiobosses und Gastgebers der Party als Einziger tatsächlich darüber Bescheid weiß, wie entwürdigend bis lebensgefährlich es war, den Elefanten herzubringen. Aber die Strapazen werden sich am Ende für Manny gelohnt haben, denn nachdem er Jack Conrad sicher nach Hause bugsiert hat, ernennt der ihn am verkaterten Morgen danach kurzerhand zu seinem Assistenten.Eine visuelle ÜberforderungLangeweile jedenfalls kommt in der ersten Stunde von Babylon kaum auf, denn Drehbuchautor und Regisseur Damien Chazelle (sehr erfolgreich mit dem Musicalfilm La La Land von 2016) wagt die bewusste visuelle Überforderung des Publikums: Von der ausschweifenden Feier zu Beginn des Films geht es zum Filmset unter offenem Himmel, auf dem parallel gleich mehrere Stummfilmstreifen gedreht werden. Chaotisch und ohne Sicherheitsvorkehrungen geht es hier zu, und so kommt beim unkoordinierten Dreh einer Schlachtszene auch mal ein Statist ums Leben. Sein Tod wird ebenso vertuscht wie die Überdosis der Schauspielerin, deren Rolle Nellie nun übernehmen darf. Sie beeindruckt die schroffe Regisseurin mit ihrer beherzten Schamlosigkeit und ihrem Talent, auf Anweisung eine einzelne dicke Träne über ihre Wange kullern lassen zu können. Es ist der Auftakt zu Nellies Karriere als „It-Girl“ des Stummfilms, die von Skandalen begleitet und eher kurz sein wird. Denn am Horizont wartet schon der Tonfilm, der dem unkontrollierten Treiben und dem Exzess dereinst ein Ende bereiten wird.Dennoch lässt die erste kurzweilige Stunde von Babylon auch zugleich erahnen, was den Film in den USA zum Kritiker- und Publikumsflop hat werden lassen. Nicht zuletzt ausgehend von Kenneth Angers Buch Hollywood Babylon (1965), das seinerzeit kaum belegte Skandale und Legenden über die Frühzeit der Filmindustrie aneinanderreihte, entwirft Chazelle das Bild eines ungehemmten, euphorischen Rausches, der auf das Publikum überspringen soll, aber dennoch seltsam entrückt wirkt. Es hilft nicht, dass seine Dialoge stets der Derbheit gegenüber dem Witz den Vorzug geben. Und leider sind die drei zentralen, aus diversen realen Persönlichkeiten zusammengesetzten Hauptfiguren des Films eher eindimensional geraten: In fast jeder ihrer Szenen ist Margot Robbie als feierwütiges, wild umherfluchendes, maßloses Wrack zu bestaunen, dessen Verletzlichkeit hier und da angerissen, aber nie näher erkundet wird. Brad Pitt gibt mit der bereits in Once Upon a Time in Hollywood (2019) bewährten Verve den Prototyp des zugleich nonchalanten wie selbstzerstörerischen Leading Man. Doch alle Versuche, seinem Charakter im Angesicht des mit der Einführung des Tonfilms drohenden Karriereendes tragische, zu Tränen rührende Tiefe zu verleihen, scheitern.Eingebetteter MedieninhaltSchließlich wäre da noch Manny, der am ehesten als Anschlussfigur für das Publikum fungieren soll, dessen Aufstiegsgeschichte aber in vielerlei Hinsicht ihn und den Zuschauer frustriert. Der Aufstieg beginnt kurz vor der Disruption der ersten Tonfilme. Aus der Rolle von Jacks Assistent avanciert Manny zum Vertrauten der Studiobosse, rückt dann den begnadeten schwarzen Jazz-Trompeter Sidney Palmer (Jovan Adepo) mit Erfolg ins Rampenlicht der ersten musikalischen Filmproduktionen, hat aber auch keine Skrupel, diesen zum entwürdigenden Blackfacing anzuweisen. Als in den 1930ern durch den Hays Code die Tabuisierung von Frivolitäten und Explizitheit auf der Leinwand voranschreitet und Nellies Karriere zu scheitern droht, will Manny, seit jeher in sie verliebt, ihr helfen. Dabei setzt er zunächst gezielt der Karriere von Nellies Geliebter, der lesbischen Künstlerin und Zwischentitelschreiberin Fay Zhu (Li Jun Li), ein Ende. Nellie selbst soll sich auf Mannys Geheiß hin dem Kreis um den mächtigen Verleger William Randolph Hearst (Pat Skipper) anbiedern – er selbst macht es vor, indem er vor Hearst seine mexikanische Herkunft leugnet.Träumer ohne SkrupelDie Schilderung eines moralischen Verfalls im Zuge des rasanten Aufstiegs eines Außenseiters im Rahmen der frühen Jahre Hollywoods ist nicht ganz neu – und wäre interessanter, wenn Manny nicht von Beginn an als Träumer ohne Prinzipien und ohne Skrupel dahergekommen wäre. Im Verlauf von Babylon bleibt er ein unverändert unkritischer, vor den Segnungen der Traumfabrik sich stets verneigender Charakter, der zum Schluss gar stellvertretend für ein Kinopublikum stehen soll, das aus einfachen Verhältnissen stammt und noch zu Träumereien und Begeisterungsstürmen fähig ist.Der Funke aber will beim Betrachten dieses inspirierten, im Kern aber unreflektierten Bilderrausches über Hollywood nicht ganz überspringen – trotz der opulenten Ausstattung, der grandiosen Kompositionen von Justin Hurwitz und der tollen Besetzung. Ganz so weit reicht die Bereitschaft zur haltlosen Träumerei über Hollywood – das alte wie das neue – eben doch nicht mehr.Placeholder infobox-1