Spektakulär: Jordan Peeles Blockbuster „Nope“ macht die Ausbeutung in Hollywood sichtbar
Kino Jordan Peeles hintergründiger Blockbuster „Nope“ widmet sich den Ausbeutungsmechanismen Hollywoods und setzt damit die Motive seiner Vorgängerfilme wirkungsvoll fort
Eine abgelegene Ranch und eine Vorahnung: Nichts Gutes wird kommen
Foto: Universal Studios
Eine kalifornische Ranch, auf der Filmpferde trainiert werden. Ein Wildwest-Vergnügungspark, dessen Besitzer als Kind bei einer Familiensitcom mitspielte, bei der sich ein Massaker ereignete. Und in den Wolken darüber ein übersinnliches Phänomen, das beide Orte heimsucht – Jordan Peeles neuestes Werk Nope ist ein Spektakel vor allem auch fürs Auge. Die Produktionskosten für diesen Science-Fiction-Horrorfilm mit Westernsetting liegen mit 68 Millionen US-Dollar ungefähr fünfzehn Mal so hoch wie noch bei Peeles Regiedebüt Get Out (2017), seinem großen Durchbruchserfolg.
Get Out kam zeitgleich mit einer Reihe von Filmen heraus, die das Horrorgenre auf kluge und hintergründige Weise erneuerten, von Der Babadook (2014) bis It Comes at N
Der Babadook (2014) bis It Comes at Night (2017). Zum Ende von Barack Obamas Amtszeit, als immer wieder von einer „post-racial society“ die Rede war, einer Gesellschaft, die den Rassismus überwunden glaubte, grätschte Peele mit seinem kritischen Regie-Erstling dazwischen. Get Out thematisierte die weiter vorhandenen und tief sitzenden Ängste der Afroamerikaner vor Ausbeutung und Marginalisierung. Der schwarze Held des Films, Chris (Daniel Kaluuya), der endlich die Familie seiner weißen Freundin Rose (Allison Williams) kennenlernen soll, findet sich im Film in einem Horrorszenario sondergleichen wieder. Es stellt sich heraus, dass die so herzlich daherkommenden Eltern nur eine neue, perfide Art der Sklaverei verfolgen, der er als nächstes Opfer erliegen soll. Get Out ist ein von der ersten Minute an fesselnder Film, in dem sich scheinbar lapidar eingestreute Details am Ende so logisch wie vieldeutig zusammenfügen. Darüber hinaus gelang es Peele – der für sein Drehbuch mit dem Oscar ausgezeichnet wurde – auf sehr eigenwillige Weise, Horror und Humor zu verbinden.Für die Comedy-Elemente von Get Out war Chris’ bester Freund Rod (Lil Rel Howery) zuständig, der vor dem Treffen mit der weißen Familie warnt und die ihm von Chris zugetragenen Seltsamkeiten fortwährend telefonisch kommentiert. Erfrischenderweise ist Rod aber eben nicht nur als „Comic Relief“ angelegt, sondern entpuppt sich schließlich als kühn agierender Retter in der Not – der überdies mit seiner „Paranoia“ recht behalten sollte.Wer die Comedy-Show Key & Peele (2010 – 2015) kennt, dürfte von Peeles Herangehensweise in Get Out nicht so überrascht gewesen sein. In einer Vielzahl von Sketchen erschuf der 1979 in New York City geborene Peele gemeinsam mit seinem Schauspielkollegen Keegan-Michael Key für die für Comedy Central produzierte Show skurrile Figuren und imitierte bekannte Persönlichkeiten in rasch eskalierenden Alltags- wie Ausnahmesituationen. Gleichzeitig setzten sich die beiden sehr kritisch und präzise mit gesellschaftlichen Normen, Rassismen und Stereotypen auseinander, wobei ihre Art von Comedy sich durch einen besonders düsteren Einschlag auszeichnete. Die Sketche kippten häufig unvorhersehbar (und überaus witzig) vom Leichten und Absurden ins Groteske bis Grauenerregende.Key & Peele war zudem gespickt mit popkulturellen Referenzen und Anspielungen auf Filmgeschichte und -genres. Aus all dem sprach Peeles Seherfahrung als passionierter, dem Horror besonders zugeneigter Film-Nerd. In zahlreichen Interviews stellte Peele seine Leidenschaft für das Genre und besonders seine Bezüge zur Geschichte des Rassismus heraus, unter anderem in der empfehlenswerten Doku Horror Noire: A History of Black Horror (2019), die sich eingehend der Rolle von Schwarzen im US-Horrorfilm widmet.In Horror Noire geht es auch um die prägnante Szene von Get Out, in der Held Chris nach einer Hypnose in den „versunkenen Bereich“ fällt. Die Situation ähnelt einem leeren Kino, in dem Chris die Geschehnisse seines Lebens aus großer Distanz heraus zwar wahrnehmen kann, aber seiner Handlungsmacht gänzlich beraubt ist. Einerseits liegt darin eine Allegorie auf das schwarze Kinopublikum, das sich lange auf der Leinwand nur am Rand wiederfinden konnte. Andererseits fungiert der „versunkene Bereich“ auch als Verweis auf die Vielzahl von Menschen in der US-Gesellschaft, die sich im kapitalistischen System als ohnmächtig empfinden.Eingebetteter MedieninhaltOhnmächtiger ZuschauerPeeles zweiter Film Wir (2019) machte denn mit einem Doppelgänger-Motiv die in den physischen wie psychischen Untergrund verdrängten Elemente einer auf Erfolg und Fortschritt getrimmten Gesellschaft zum Thema. Schon hier wich Peele etwas von der frappierenden Zugespitztheit seines Debüts Get Out ab ins Abstrakte. Nichtsdestotrotz lässt er auch in Nope von seinem Fokus auf die Ausrangierten und in den Hintergrund Gedrängten nicht ab – er richtet ihn stattdessen präziser und kühner auf die Ausbeutungsmechanismen der Film- und Fernsehindustrie.Nope eröffnet mit einem Vorspann, der einen Schatz der Filmgeschichte zeigt: die 1877 entstandene und zum Bewegtbild montierte Fotoreihe The Horse in Motion. Der Name des Fotografen – Eadweard Muybridge – ist bis heute bekannt, der des schwarzen Jockeys auf dem Pferd jedoch nicht. Auf ihn als ihren Ahnen beziehen sich in Nope die Haywoods, die in langer Familientradition eine Ranch betreiben, auf der Pferde für den Einsatz in Filmen dressiert werden. Seit einem halben Jahr muss sich der wortkarge OJ (Daniel Kaluuya) allein um die Ranch kümmern, nachdem sein Vater Otis (Keith David) auf bizarre Weise ums Leben kam: Bei einem Blick gen Himmel wurde sein rechtes Auge von einer herabfallenden Cent-Münze durchbohrt. OJs Schwester Emerald (Keke Palmer) ist ihm keine große Hilfe – anstatt sich um die Ranch zu kümmern, jagt sie ihren eigenen Träumen in der Unterhaltungsindustrie nach. Die beiden sind bald gezwungen, einige Pferde an Ricky Park (Stephen Yeun) zu verkaufen, der einen Wildwest-Vergnügungspark betreibt und noch vom Ruhm seiner Kindheit als TV-Star zehrt. OJ wird eines Nachts Zeuge seltsamer Dinge am Himmel – erst später entdecken sie eine Wolke am Horizont, die sich wochenlang nicht zu bewegen oder zu verändern scheint ...Die einzelnen Plot-Elemente von Nope muten zunächst abstrus an. Tatsächlich ahnt man nach dem ersten Akt noch lange nicht, ob und wie sie sich wohl zusammenfügen werden. Doch die fortwährend eingestreute Rückblende zum Set der Familiensitcom Gordy’s Home, in der Ricky als Kind mitwirkte, stellt sich schließlich als Schlüsselelement heraus. Nach und nach wird das Ausmaß des Massakers enthüllt, das ein durchdrehender Schimpanse am Set auslöste und Ricky als Einziger überlebte. Die Szenen sind dabei umso wirkungsvoller in dem, was sie nicht zeigen, sondern nur grauenvoll erahnen lassen. Ricky, ein Kinderstar, der es nie zu einer Erwachsenen-Karriere brachte, deklariert seither sein eigenes Trauma zum Spektakel, ohne dessen Tragik anzuerkennen. Stattdessen kassiert er Eintritt für ein Privatmuseum, in dem er makabre Memorabilia versammelt hat. Denselben Drang zur kommerziellen Ausbeutung wendet er schließlich auch auf das Phänomen am Himmel an. Nur dass dessen Unbeherrschbarkeit die des Schimpansen Gordy um ein Vielfaches noch übersteig t... OJ und Emerald kommen dem Geheimnis des seltsamen und bedrohlichen Phänomens am Himmel nur nach und nach auf die Spur. Sie erfahren dabei, was die Faszination am Staunenswerten unmittelbar mit dem Filmgeschäft verbindet: die Augen, die sich aufs Spektakel richten, wenden sich gleichzeitig ab von den Gestalten hinter den Kulissen und damit auch von der Ausbeutung, die jedes Spektakel doch erst ermöglicht.Jordan Peeles Nope nun will beides verbinden, das Blockbuster-Spektakel, das visuell überwältigt, und den Blick, der sich auf die Schattenseiten des Spektakulären, die Exploitation und Marginalisierung im Unterhaltungsgeschäft richtet. Damit bleibt er dem treu, was die britische Schriftstellerin Zadie Smith 2017 in einem Essay zu Get Out so klar auf den Punkt brachte: „Es ist ein Film, der seinen eigenen Kommentar enthält.“Placeholder infobox-1