Netflix Die fünfte Staffel von „The Crown“ befasst sich mit einem besonders desaströsen Jahrzehnt des britischen Königshauses. Das mag ein Grund sein, weshalb Netflix in der Debatte über die Fiktionalität der Serie erstmals nachgibt
Zwar wurde bislang noch jede Staffel von The Crown auch von einer Welle der Empörung begleitet, jedoch noch nie so stark wie in diesem Jahr. So stieß sich der ehemalige britische Premierminister John Major schon Wochen vor dem Start der fünften Staffel an einer Storyline: Diese zeigte ihn bei einem Vier-Augen-Gespräch mit dem damaligen Prinzen Charles über eine mögliche frühzeitige Ablösung der Queen. Die britische Schauspielerin Judi Dench, seit 1988 „Dame Commander of the Order of the British Empire“ und zudem eine gute Bekannte von Charles III. und seiner Gemahlin Camilla Parker-Bowles, befand jüngst in einem offenen Brief, den die Times veröffentlichte: „Je näher das Drama an unsere Gegenwart herankommt, desto ber
herankommt, desto bereitwilliger scheint es die Grenzen zwischen historischer Genauigkeit und plumper Sensationslust zu verwischen.“Vormals verhallte Rufe nach einem auf Fiktionalität verweisenden Disclaimer zu Beginn jeder Folge erklangen wieder, doch dieses Mal gab Netflix tatsächlich etwas nach: Den auf Youtube veröffentlichten Trailern ist nun eine Beschreibung beigelegt, wonach diese „von wahren Ereignissen inspirierte“ Serie die „fiktive Geschichte“ von Queen Elizabeth II. erzähle. Auf dass niemand diese Produktion, die sich so oft um die persönlichen Befindlichkeiten der Windsors vor dem Hintergrund gewichtiger historischer Begebenheiten dreht, für eine wahrheitsgetreue Geschichtsstunde hält. Insgesamt scheinen zwei Monate nach dem Tod von Elizabeth II. die Befürchtungen um eine Besudelung der britischen Monarchie etwas größer – zumal die aktuelle Staffel von The Crown sich den 1990ern und damit einem für die Windsors besonders desaströsen Jahrzehnt befasst.Abdanken oder weitermachenMit entsprechenden Vorboten eröffnet die erste Episode: Ein kurzer Rückgriff auf die Schiffstaufe der königlichen Jacht Britannia im Jahr 1953 durch die kürzlich gekrönte Königin (hier gibt sich Claire Foy wieder kurz die Ehre) gleitet über ins Jahr 1991 und macht das Publikum mittels Nahaufnahmen mit einer gealterten, etwas gebrechlicheren Queen (Imelda Staunton) beim Arztbesuch vertraut. Trotz Irritation über ihren verlangsamten Stoffwechsel freut sich Elizabeth auf einen Sommer auf der Britannia, die sie ganz wie sich selbst als verlässliche Konstante des Vereinigten Königreichs betrachtet. Doch bald tut ihr Gemahl Philip (Jonathan Pryce) erhebliche Motorschäden auf, deren Reparatur äußerst aufwendig und kostspielig wäre – von einer Außerdienststellung der Jacht will Elizabeth aber nichts wissen.Unterdessen trägt Thronfolger Charles (Dominic West) in jeder Szene die wachsende Unzufriedenheit mit seinem Status vor sich her: Zu einem „nutzlosen Ornament“ fühle er sich verdammt, lässt er jeden wissen, der es hören will, und begnügt sich nicht damit, einfach nur auf die Abdankung seiner Mutter zu warten. So suggeriert diese erste Folge, Charles habe einen Artikel in der Sunday Times lanciert, der der Queen das „Königin-Victoria-Syndrom“, einer Monarchin, die ihren Sohn missachtet, unterstellt. Der Artikel enthält zudem den Verweis auf eine Volksumfrage, wonach sich die Hälfte der Briten ihre Abdankung wünscht. Das offenbar völlig fiktive Treffen mit Premier John Major (Jonny Lee Miller) garniert dieses Porträt eines ungeduldigen Thronerben, für den Showrunner Peter Morgan, einst ein ausgewiesener Anti-Monarchist, aber einige Sympathie aufzubringen scheint. So ist Charles im Verlauf der fünften Staffel als Einziger von den Windsors willens, die Rolle der britischen Monarchie zu überdenken, und noch dazu bestrebt, sie zu verschlanken und zu modernisieren.Die Fürsprache für Charles’ Eignung als König wird in der fünften Folge, die nach dessen Taskforce zur Rettung der Monarchie benannt (The Way Ahead) ist, besonders augenfällig und gleitet im Abspann zum etwas irritierenden Lob auf dessen wohltätige Verdienste ab.Eingebetteter MedieninhaltObgleich Peter Morgan in all seinen kritischen Äußerungen zur Monarchie stets seine Bewunderung für Queen Elizabeth untergebracht hat, scheint diese Staffel durchdrungen vom Befund einer ab den 90er Jahren einsetzenden Ermüdung und Ernüchterung über die Monarchin. Imelda Staunton gibt sie als verletzliche, häufig mit Tränen kämpfende, aber zugleich noch schmallippiger und unnahbarer auftretende Elizabeth. Ihre brüchige Contenance ist noch dazu eingebettet in einen aufschlussreichen leitmotivischen Diskurs über den Umgang mit Ruinen: Erst wird mit John Major und dann mit New-Labour-Star Tony Blair (Bertie Carvel) über die Finanzierung einer Renovierung der Britannia verhandelt, von der sich die Queen zum Schluss aber endgültig trennen muss. Die sechste Folge Ipatjew-Haus widmet sich dann dem Kennenlernen zwischen Elizabeth und Boris Jelzin. Bei dessen Besuch in London macht Elizabeth ihrem Unmut darüber Luft, dass dieser besagtes Ipatjew-Haus, Ort der Inhaftierung und Ermordung der Zarenfamilie, mit der die Windsors verwandt sind, in den 70ern habe abreißen lassen. Die Teilverantwortung, die eventuell ihr Großvater, König George V., am Tod der Zarenfamilie trägt, weist sie im Verlauf der sehr sehenswerten Folge zurück. Jelzin verspricht der indignierten Königin immerhin die Ausgrabung und standesgemäße Beisetzung der sterblichen Überreste der Romanows.Der Verfall der Pariser Villa, in der ihr Onkel, der abgedankte König Edward VIII., bis zu seinem Tod gelebt hatte, lässt Elizabeth hingegen eher gleichgültig. In der Folge Mou Mou lässt der aufstrebende ägyptische Unternehmer Mohamed Al-Fayed (Salim Daw als Vater von Dianas späterem Partner Dodi Al-Fayed) dieses Gebäude renovieren und Villa Windsor taufen in der Hoffnung, von Elizabeth als britischer Gentleman anerkannt zu werden. Vergebens: Die Queen lässt sich nicht einmal zu einem Besuch herab. Allenfalls geht sie auf das Angebot ein, ein paar Erbstücke und eventuell kompromittierende Korrespondenz aus der Villa abholen zu lassen. Elizabeths Interesse am Erhalt von Monumenten, so suggerieren diese Episoden, ist von einer feinen Selektierung geprägt, die jeder tieferen Reflexion über die Verfehlungen ihrer Dynastie trotzt.Der Nabel der RoyalsSeit jeher ist The Crown vornehmlich mit der meist karg erscheinenden Gefühlswelt der Windsors beschäftigt, aber in keiner Staffel traten Betrachtungen zum Zeitgeist und zu gesellschaftlichen Entwicklungen so sehr in den Hintergrund wie in dieser. Die wenigen bedeutsamen politischen Ereignisse, die hier thematisiert werden – etwa der Zerfall der Sowjetunion oder die 1997 erfolgte Übergabe der Staatshoheit über Hongkong an China –, dienen lediglich der Veranschaulichung des royalen Schmerzes über den eigenen Einflussverlust.Ansonsten arbeitet sich diese Staffel vor allem an der königlichen Nabelschau rund um das Medieninteresse an Diana (Elizabeth Debicki) ab. Der Entstehung von Andrew Mortons enthüllender Biografie 1992 ist eine ganze Folge gewidmet, dem offenherzigen Interview mit Martin Bashir (Prasanna Puwanarajah) für die BBC gleich zwei. Die Porträtierung von Diana als warmherziger, charmanter und einsamer Seele, die immer bereitwilliger Geheimnisse offenbart, sich damit aber noch weiter in die Isolation manövriert, ist keineswegs uninteressant. Nichtsdestotrotz kommt die Frage auf, ob die 90er Jahre für Großbritannien tatsächlich nur vom medialen Irrsinn um die Royals geprägt waren – zumal die grandiose vorangegangene Staffel über Margaret Thatchers Wirken sich intensiver mit dem gesellschaftlichen Klima im Schatten eines aggressiven Neoliberalismus auseinandergesetzt hatte.Trotz unterhaltsamer Episoden weist diese Staffel von The Crown somit das auf, was sie sich zum Inhalt und Leitmotiv gemacht hat: Ermüdungserscheinungen und eine gewisse Einfallslosigkeit meint man dem Skript anzumerken, das seine Figuren häufig unelegant Hintergrundinformationen abspulen lässt, statt sie zu veranschaulichen. Der Plot wiederum ist auf eine damals wohl virulente Ernüchterung über die Queen fokussiert, ohne diese mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu verknüpfen. Dass ihre Regentschaft weitere drei Jahrzehnte andauern sollte, scheint unvorstellbar, wenn man dieser Darstellung ihres Zustands in den 90ern glaubt. Aber für solch eine Bewertung fehlt vielleicht einfach noch der Abstand zu ihrem Ableben – ebenso wie Peter Morgan die nötige Distanz zu fehlen scheint, um die gesellschaftlichen Dimensionen dieses Jahrzehnts so richtig zu fassen.
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