Serie „In With the Devil“: Schmetterlinge und Falken

Streaming Die Serie „In With the Devil“ beruht auf einem wahren Fall. Ein Mädchenmörder muss zum Geständnis bewegt werden
Ausgabe 30/2022

Die Beschreibung des Schmetterlingseffekts scheint inzwischen derart abgegriffen, dass der Prolog zur Miniserie In with the Devil (AppleTV+) zunächst etwas profan anmutet: Aus dem Off bricht der Protagonist Jimmy Keene (Taron Egerton) die Annahme der Chaostheorie auf den Befund herunter, dass voneinander völlig unabhängige Dinge unerwartet miteinander verbunden seien. Zu seinen Worten sieht man ein junges Mädchen abends auf einem Feldweg irgendwo in Ohio nach Hause radeln, wo sie niemals ankommen wird. Jimmy wird sie niemals persönlich kennenlernen, aber ihr Schicksal wird sich trotzdem mit seinem verbinden.

In sechs Folgen erzählt In with the Devil die Geschichte des Exsträflings Jimmy Keene nach, frei nach dessen gleichnamigem autobiografischem Roman. Kurz nach dem vorausdeutenden Anfang ist Jimmy – von Taron Egerton zunächst als charmant und muskulös daherkommender Frauenheld verkörpert – bei seiner Festnahme 1996 in Chicago zu sehen. Drogenhandel im großen Stil und unerlaubter Waffenbesitz werden ihm vorgeworfen und nicht einmal die Kontakte seines Vaters „Big Jim“ (Ray Liotta in einer seiner letzten Rollen), eines Expolizisten, können ihn vor einer hohen Strafe bewahren: Er wird zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Monate später erhält Jimmy unerwartet die Chance auf eine frühe Entlassung: Die FBI-Agentin Lauren McCauley (Sepideh Moafi) bietet ihm an, seine Haftstrafe zu verkürzen, wenn er sich undercover in das für schwere Gewalttäter erbaute Hochsicherheitsgefängnis Springfield begibt. Dort soll er dem Serienmörder Larry Hall (Paul Walter Hauser) entlocken, wo dieser die Leichen seiner weiblichen Opfer begraben hat. Sein Vater warnt ihn vor dem Deal, aber Jimmy willigt schließlich ein.

Atmosphärische Dichte – und ein paar Makel

Entwickelt wurde In with the Devil von Dennis Lehane, der mit seinen Romanen Mystic River, Shutter Island und Gone, Baby, Gone die Vorlagen für einige äußerst sehenswerte Mystery-Thriller der Nullerjahre geliefert hat. Darüber hinaus arbeitete Lehane in den Drehbuchteams für die HBO-Serien The Wire und Boardwalk Empire mit. In with the Devil spiegelt Lehanes Fokus auf die Rätsel menschlicher Abgründe wider: Düstere Vorausdeutungen, undurchsichtig scheinende Figuren sowie tief begrabene Erinnerungen durchziehen die Serie. Ein von der Glasgower Post-Rock-Band Mogwai komponierter, äußerst hörenswerter Score verstärkt diese Dunkelheit; Humor hingegen, selbst schwarzen, sucht man vergebens.

Denn zeitgleich zu Jimmys Deal rollt In with the Devil den Weg zur Festnahme Larry Halls auf: Polizeidetektiv Brian Miller (Greg Kinnear) untersucht 1994 die Ermordung der 13-jährigen Jessica Roach, die im Prolog zu sehen war. Die Spur führt ihn zwei Jahre später in den benachbarten Bundesstaat Indiana zu Larry Hall, der der örtlichen Polizei als harmloser Sonderling bekannt ist. Trotz des Widerstands vor Ort lässt Miller nicht locker und verhört Larry bald selbst. Paul Walter Hauser, der 2019 in Clint Eastwoods Der Fall Richard Jewell eine unvergesslich berührende Performance hingelegt hat, brilliert hier mit einer Darbietung, die wiederholt vom scheinbar Unbedarft-Sanften völlig unvermittelt ins Unberechenbare und Kalte kippt.

Eingebetteter Medieninhalt

Als Jimmy und Larry im Hochsicherheitsgefängnis Springfield aufeinandertreffen, tun sich bald unangenehme Parallelen zwischen ihnen auf: In Larrys hasserfülltem Blick auf Frauen erkennt Jimmy seine eigenen problematischen Verhaltensweisen wieder. Dicht aufeinanderfolgende Flashbacks zeigen traumatische Episoden aus der Kindheit beider Männer, die sie im Gespräch miteinander zunächst galant umgehen, bevor sie sich zögerlich der Wahrheit stellen – und Larry schließlich auspackt, was es mit den Holzfalken auf sich hat, die er im Werkraum schnitzt.

Trotz seiner atmosphärischen Dichte weist In with the Devil auch ein paar Makel auf, die sich in teils lieblos abgehandelten Nebensträngen, einem nicht immer aufgelösten Spannungsaufbau und der ein oder anderen unnötigen Figur offenbaren. Ein klarerer erzählerischer Fokus und eine Verteilung des Plots auf mehr Folgen hätten diese Probleme lösen können. Nichtsdestotrotz bleibt der Weg der Erzählung vom scheinbar Profanen ins Substanzielle sehenswert – und die Entwicklung vom Schmetterlingsflattern zum Flügelschlag der Falken überzeugt als zwingend.

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