Aelrun Goette zu beschreiben, heißt vielleicht auf ihr Lachen zu hören, das manchmal abrupt eine Unterhaltung unterbrechen und in eine andere Richtung lenken kann. Ihr Lachen, ein kurzes, kehliges, herzliches, verschenkt sie zuweilen, wenn sie etwas amüsant findet oder wenn sie von sich erzählt und Klarheit ausschließen will. Sie berechnet keine Wirkung, das macht die Begegnung mit ihr sehr angenehm. Aelrun Goette ist eine große, attraktive Frau, mit klaren Gesten, einer warmen Stimme und einer großen Offenheit ihren Gesprächspartnern gegenüber. Man wird, hört man sie aus ihrem Leben erzählen, an einen Satz von Franz Fühmann erinnert, in dem er von den entscheidenden Wegstücken des Lebens spricht, die eine Biographie darstellen und die Punkte einer Wandlung oder Nichtwandlung sein können. Eine biographische Linie als geometrische Linie zu begreifen, sei sinnlos, denn Gradlinigkeit bedeute immer auch, Möglichkeiten einer Richtungsänderung nicht zu beanspruchen. Aelrun Goette sagt von sich: "Meine Lebenswege waren nie gerade, die waren immer so", und macht mit einer ausufernden Geste eine Zickzackbewegung.
Mitte der sechziger Jahre wird sie in Ost-Berlin geboren. Nach der Schule, die Aelrun Goette mit dem Abschluss der zehnten Klasse verlassen muss, "weil man mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass ich keine reife sozialistische Persönlichkeit bin", macht sie eine Lehre als Krankenschwester für Neurologie und Psychiatrie im Krankenhaus Herzberge. Diese Zeit erinnert sie als ideologischen Freiraum. "Ich musste zu keiner FDJ-Demo. Wenn so etwas stattfand, haben die Kollegen mir immer Dienst gegeben." Sie empfindet den Umgang mit den Patienten als Bereicherung und ist dankbar für die Erfahrung. "Ich habe nach und nach Demut gelernt. Natürlich ist man nicht demütig mit 16, aber mit der Zeit wird man es, wenn man sieht, wie Menschen gedemütigt werden, weil über sie gelacht wird und an deren Stelle man selbst den Schmerz erfährt und auszuhalten lernt." Parallel dazu arbeitet sie als Model und später am Theater, führt Regie und entwirft Bühnen- und Kostümbilder. Warum ist sie nicht dort geblieben? "Theater war nach 1989 nicht mehr interessant. In der DDR Theater zu machen, hieß etwas anderes. Es war eine Nische, eine Möglichkeit des Widerstands. Ich war begeistert von diesem Laboratorium und von dieser Atmosphäre. Theater war ein Ort der Begegnung, des politischen Nein-Sagens und des Suchens. Das hat mich interessiert. Und das war mit der Wende vorbei." Nach vier Semestern Philosophie an der Humboldt-Universität und einem kurzen Engagement als Darstellerin in der Fernsehserie Gute Zeiten, schlechte Zeiten wechselt sie an die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam und studiert Regie. "Ich habe angefangen, dokumentarisch zu arbeiten, weil ich Themen finden wollte, die - wie soll ich sagen - beunruhigen. Und interessanterweise ist es mir auch nie schwer gefallen, diese zu finden."
Zu dem Prozess nach Frankfurt/Oder, in dem gegen die junge Mutter Daniela J. verhandelt wird, die im Sommer 1999 ihre beiden kleinen Söhne in einer Wohnung verdursten ließ, fährt sie nicht mit dem Vorhaben, daraus einen Film zu machen. Erst vor Ort begreift sie die Brisanz der Geschichte, in der sich soviel Tragik mit Resignation und Wut vermengt. "Du siehst diese vielen Menschen, die da hingehen wie zu einem Popkonzert, die sich hübsch machen und dann da in den Gerichtssaal gehen, und du siehst diese Hatz, diese Wut, diesen Schaum vorm Mund der Bevölkerung der Mutter gegenüber, die nun geopfert werden soll. Die Gewalt spielte sich ja auf allen Ebenen ab und da hatte ich das Gefühl, darüber muss ich etwas machen." Der Film, der aus der Auseinandersetzung mit diesem Fall entsteht, heißt Die Kinder sind tot, er wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Bundesfilmpreis.
Das Thema Schuld und Verantwortung ist Aelrun Goette nicht fremd. 1997 dreht sie den Film Ohne Bewährung - Psychogramm einer Mörderin und porträtiert darin Jeanette S., die mit 15 Jahren ein 13-jähriges Mädchen zu Tode gequält hat. Wie Daniela J. ist Jeanette S. eine Mörderin und zugleich ein Opfer. Beide Filme zeigen die beginnende Identitätssuche junger Frauen, die belastet sind mit der Wahrheit ihrer Täterschaft. Die Filme sprechen keine der beiden von ihrer Schuld frei, aber sie sprengen Wahrnehmungsmuster, weil sie zeigen, was sich hinter einer wie auch immer benennbaren Normalität verbergen kann. Durch die Art, wie Aelrun Goette die Geschichten erzählt, ermöglicht sie dem Zuschauer, den Begriff von Schuld zu hinterfragen. Jeder Schuld, so kann man sagen, geht eine Unschuld voraus, jede Täterschaft enthält immer auch ihr Gegenteil. Man vergisst die Sequenz in Ohne Bewährung nicht mehr, in der sich die kindlich und zart wirkende Jeanette leise und zögernd an den Satz herankämpft. "Ich werde immer ein Mörder sein."
Unter ihre Diplomarbeit an der HFF hat Aelrun Goette den Satz gesetzt: "Es ist Zeit, wieder zornig zu werden", und an ihr ist zu beobachten, wie jemand zornig werden kann, ohne dabei in Rage zu geraten. Die Wut offenbart sich bei ihr durch die Sprache, und wahrscheinlich ist Freundlichkeit ihre schärfste Waffe. Zorn ist ein Merkmal ihrer Filme, in denen sich neben großer Sensibilität ein hartnäckiger Widerstand gegen die Klarheit von Begriffen offenbart, der dem Zuschauer ein Nachdenken über die Fragwürdigkeit eindeutiger Wertungen abringt. Erziehen, sagt sie, liege ihr fern, Erklärungen will sie nicht liefern. "Ich möchte die Wertung dem Zuschauer überlassen. Ich glaube daran, dass der Zuschauer sich selbst ein Bild machen kann. Obwohl ich eine klare Haltung habe, gebe ich keine Antworten. Das tue ich bewusst nicht." Nach einer Aufführung ihres Films Die Kinder sind tot muss sie auf eine Frau reagieren, die sich mit dem Vorwurf an Aelrun Goette wendet, der Film greife zu kurz und würde an der Tatsache verdurstender Kinder inmitten vermeintlich existierender Nachbarschaftsverhältnisse nichts ändern können. Die Frau appelliert an die Verantwortung der Regisseurin und provoziert mit der Aussage, dass es nicht ausreiche, einen Film zu drehen und sich danach wieder anderen Dingen zuzuwenden. Aelrun Goette kennt diese Reaktion auf den Film, das Bedürfnis, sich durch die Projektion auf die Regisseurin Luft zu machen, Verantwortung abzuschieben. Sie hat sich angewöhnt, auf solche Fragen mit einer Gegenfrage zu antworten. "Aber wie sieht denn die Realität aus?", sagt sie und benennt die Fakten, die sie immer noch wütend machen. Sie erzählt von der Vorverurteilung Daniela J.s durch die Medien und von einer Richterin, die sich in ihren Augen vorgenommen hatte, Daniela so hoch wie möglich zu bestrafen. Sie spricht von einer unprofessionellen Betreuung durch die Gefängnispsychologin in Luckau, die erst durch den Film, also vier Jahre nach der Tat, einen Zugang zu der jungen Frau gefunden hat. Zuvor erschien ihr das Verbrechen zu monströs. Aelrun Goette lehnt es ab, ihren Film zu rechtfertigen, sie argumentiert mit der Wirkung, die sie erfahren hat. Sie erzählt von einer Kindergärtnerin, die durch den Film dazu angehalten wurde, einen an der Grenze zur Gewalt liegenden, aber gut kaschierten, Umgang mit Kindern aufzudecken. "Der Film rettet keine Kinderleben", sagt sie, "aber er schafft ein Bewusstsein dafür, sich als dem Teil der Welt zugehörig zu fühlen, der etwas machen kann." Für Aelrun Goette war die Bereitschaft der beiden jungen Frauen, durch die Filmarbeit etwas über sich erfahren zu wollen, eine Vorbedingung für den Dreh. Ohne diesen Willen zur Auseinandersetzung, hätte sie die Filme nicht gemacht. Ob sie einmal darüber nachgedacht habe, dass ihre Filme den beiden jungen inhaftierten Frauen geholfen haben könnten, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden? Sie zögert. "Den Menschen eine Sprache geben - für mich ist das eher andersherum. Ich will immer versuchen, die größtmögliche Nähe zu meinem Gegenüber herzustellen. Ihm auf Augenhöhe zu begegnen, das, glaube ich, ermöglicht den Menschen eine Sprache. Mein Gegenüber hat jegliches Recht." Mit beiden Frauen ging der Kontakt weit über die Filmarbeit hinaus. Jeanette wurde mehrere Jahre von Aelrun Goette als Vollzugsbetreuerin begleitet, zu Daniela pflegt sie bis heute regelmäßigen Briefkontakt.
Im Januar haben die Dreharbeiten zu ihrem ersten Spielfilm Schattenspiele begonnen, in dem Bibiana Beglau die Hauptrolle spielt. Der Film handelt von einer komplizierten Familiengeschichte, von Schuld, Missbrauch und alltäglicher familiärer Gewalt hinter der bürgerlichen Fassade. Aelrun Goette spricht von "diesen Schuld-und-Sühne-Geschichten", mit denen sie sich immer wieder konfrontiert. Fragt man sie, warum sie das tut, ist ihr Verweis auf die eigene Biographie weniger entscheidend, als die kleinen Beiläufigkeiten im Gespräch, die eine Antwort auf diese Frage erahnen lassen. Manchmal, so scheint es, legt sie mit der Offenheit und Klarheit ihrer Gedanken bewusst falsche Spuren, um ein Bild von sich zu erzeugen, das sie unter Kontrolle hat. Irgendwann, und fast nebenbei, wird sie sagen, dass sie den Figuren ihrer Filme immer von Herzen wünscht, sie mögen in der Lage sein, sich aus ihren Abhängigkeiten zu lösen, frei zu werden und zu gesunden. Vielleicht liegt die Begabung der Regisseurin Aelrun Goette genau in dieser inneren Notwendigkeit, dem eigenen Verstummen möglichst offensiv entgegenzutreten und vielleicht speist sich daraus die Wahrhaftigkeit ihrer Filme. Sie hält inne. "Das ist so eine grundsätzliche Frage: warum mache ich solche Filme. Ich kann das nicht beantworten. Also sage ich immer, ein Anhaltspunkt, den ich für mich selber habe, ist: ich weiß definitiv, wie sich die Welt aus der Ecke des Zimmers anfühlt. Und dadurch gibt es eine Schnittmenge zwischen mir und Menschen, die sich in so einer Ecke befinden. Die Menschen, denen ich begegne und über die ich Filme mache, egal ob fiktional oder dokumentarisch, sind alles starke Persönlichkeiten, keine reinen Opfer, und das ist vielleicht, was sich mit mir deckt."
Aelrun Goettes Film Die Kinder sind tot ist am 4. April um 22.15 Uhr auf ARTE zu sehen.
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