Iglesias als Spaniens Erlöser?

Podemos In Europa feiern rechtspopulistische Parteien noch nie dagewesene Umfrageergebnisse. Auch in Spanien wird am Zweiparteienmodell gerüttelt - allerdings von links unten

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Pablo Iglesias
Pablo Iglesias

Foto: Gerard Julien

'Si, se puede!', rufen Demonstrierende von Madrid bis Málaga. Man kann diesen Schlachtruf mit Ja, es ist möglich! oder Ja, wir schaffen das! Übersetzen, Spaniens Empörte haben ihn von Obamas Yes, we can abgekupfert. Einen Hoffnungsträger wünschen sie sich in Spanien. Einen, wie Obama, bevor er Präsident wurde und alle Erwartungen an der Realität zerschellten.

Wen haben sie bekommen? Pablo Iglesias. Ein unscheinbarer Mann Mitte dreißig. Der Politologe und Fernsehmoderator trägt Bart und Pferdeschwanz. Charisma ist nicht das erste, was einem einfällt, wenn man ihn sieht. Zugegeben, er ist jünger als die meisten seiner Kollegen und Kolleginnen, mit seinen schlichten Hemden und einem unaufgeregten Duktus zeigt er sich jedoch bereits ausgesprochen tauglich für die große politische Bühne. Der Ring im rechten Ohr ist längst verschwunden. Und Spanien hat Angst vor ihm. Denn Pablo Iglesias weiß mit den Medien umzugehen. 'Coleta', Pferdeschwanz nennen seine Anhänger*innen ihn liebevoll, was die gegnerischen Kräften eher hämisch raunen – und mit einem gewissen Unbehagen.

Coleta ist keiner wie Obama. Man kann ihn weder zum Erlöser für eine marginalisierte Gruppe stilisieren, noch reicht sein Geschick im Umgang mit der Öffentlichkeit an das des US-amerikanischen Vorbildes heran. Iglesias Gegner fürchten vielmehr seine Ähnlichkeiten mit Chávez, einem Antagonisten der Präsidenten der Vereinigten Staaten, der sein Venezuela einem Diktator nicht unähnlich bis zu seinem Tod so zurichtete, dass es auch nach zwei Jahren unter der sozialistischen Führung seines Nachfolgers Maduro weder innen- noch außenpolitisch auf die Beine kommt.

Was alle, Obama, Chávez und Iglesias gemeinsam haben: Sie können ihr empörtes Volk mit ausgezeichneter Rhetorik für sich begeistern. Und das ist neben einer nicht ganz neutralen Presse gleichzeitig einer der Gründe, warum die Leute in Spanien sich vor Iglesias fürchten. Mit einer gehörigen Portion Durchhaltevermögen, üppiger Medienkompetenz und mit einer Prise Penetranz hält er Tag für Tag im Fernsehen, für die Zeitungen und über Twitter den Kopf hin für die nicht endenden Vorwürfe gegen ihn und seine Partei PODEMOS („Wir können“).

Im Januar 2014 wurde PODEMOS gegründet, mit dem Ziel, an den vier Monate später stattfindenden Europawahlen anzutreten. Dort gelang der Partei von Iglesias, der von Anfang an einer der führenden Köpfe der Bewegung war, ein erster Erfolg mit beinahe acht Prozent und damit viertstärkste spanische Kraft im Europaparlament. Im November desselben Jahres, weniger als ein Jahr nach Parteigründung, sprechen die Umfragen eine noch deutlichere Sprache: 27,7 Prozent. PODEMOS hat dank dieses beängstigend schnellen Höhenflugs als erste Partei in den knapp vierzig Jahren seit dem Ende von Francos Klerikalfaschismus beiden Volksparteien (Sozialdemokraten 26%, Partido Popular 21%) den Rang abgelaufen. Glücklicherweise können die Parteien um Geert Wilders und Marine LePen keinen ganz so schnellen Erfolg verzeichnen. Allerdings fehlt es in vielen europäischen Parlamenten, nicht zuletzt in Deutschland an einer zahlenmäßig ernstzunehmenden und beständigen Alternative, die weiter links steht als die traditionellen sozialdemokratischen Parteien.

Die konservative, regierende Partido Popular (PP) hat am vergangenen Donnerstag (11.12.2014) das Gesetz „zur Sicherheit der Bürger“ verabschiedet, das der Polizei ermöglicht, nach eigenem Ermessen und vor allem ohne gerichtliche Verfahren Geldbußen von bis zu 600.000 Euro zu verhängen, für die 'Ordnungswidrigkeiten', an einer Demonstration teilzunehmen oder auf sozialen Netzwerken dazu aufzurufen. Dass die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit laut spanischer Verfassung geschützt ist, interessiert den Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) offenbar wenig. Schließlich geht es um die Erhaltung Sicherheit. Ein Kampfbegriff, mit dem man beim bedrohten spanischen Volk (Krise, Flüchtlinge, Merkel, etc.) immer punkten kann. Fraglich ist, ob es sich um die Sicherheit des Volkes oder jene vor dem Volk handelt. Da sich dieses mit zahlreichen Demonstrationen gegen Rajoys radikale Sparpolitik und die ständig neuen Korruptionsfälle wehrt. „Si, se puede“ wird auf Spaniens Straßen jetzt wohl immer seltener zu hören sein, denn wenn Rajoys Regierungsstil sich nicht mehr von einem Orbán oder einem Erdoğan unterscheidet, heißt es eher: Ja, es ist möglich, dass dieses Land wieder auf eine Diktatur zusteuert.

Das neue Gesetz wird von Menschenrechtsorganisationen als „Knebelgesetz“ bezeichnet und ist eine späte Reaktion der Regierung auf das Movimiento M-15 (Bewegung des 15. Mai), das vor drei Jahren als Graswurzelbewegung weltweit für Schlagzeilen sorgte und wegen seiner Kritik an sozialen, wirtschaftlichen und politischen Missständen auch „Spanische Revolution“ genannt wurde. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass diese Bewegung nicht ganz so spontan und überparteilich in der Graswurzel der sozialen Netzwerke aufkam. Stattdessen waren die Demonstrationen gut inszeniert und organisiert, die Wut der spanischen Jugend wurde gekonnt kanalisiert. Mitunter von: Pablo Iglesias.

Die großen Medien werden nicht müde, Iglesias seine Vergangenheit als Regisseur eines angeblich sich spontan bahnbrechenden Movimiento M-15 vorzuwerfen. Nicht zuletzt diese nachtragenden Vorhaltungen schüren die Angst vor diesem Mann. Die Spanier und Spanierinnen sind zwar unzufrieden mit dem Stillstand, in dem die zwei großen Parteien seit mehreren Jahrzehnten aus Feigheit, Unfähigkeit oder Machtgier ausharren, doch PODEMOS zu wählen, bleibt für viele unvorstellbar, denn der coleta, der will doch die wichtigsten Wirtschaftszweige verstaatlichen, der will doch eine kommunistische Diktatur aufbauen.

Spanien hat scheinbar vergessen, wie die letzte spanische Diktatur zustande kam. Mit seinen konservativen Militärs zettelte der Faschist Franco Ende der 1930er Jahren einen Staatsreich an, folterte seine politischen Gegner und konnte nicht zuletzt dank der militärischen und politischen Unterstützung Mussolinis und Hitlers die Spanische Republik beenden. Vergessen scheinen heute die Helden des Anarchosyndikalismus. Vergessen die Ideale von Buenaventura Durruti und Francisco Ascaso, die mit ihren hierarchielos organisierten Gewerkschaften CNT und FAI (zugegeben mit fragwürdigen Mitteln) ein gerechteres, ein anarchisches Spanien schaffen wollten. Die Epizentren der Revolution waren damals die katalonischen Städte Zaragoza und Barcelona. Es ist geradezu zynisch, dass gerade Katalonien die einzige Region ist, in der die linksliberale Partei PODEMOS bisher nicht Fuß fassen kann. Hier dominiert nach wie vor die Republikanische Linke, die sich für die Abspaltung Kataloniens von Spanien einsetzt.

Trotz des Höhenflugs in den Umfragen bleibt also offen, ob das linke und straff organisierte PODEMOS bis zu den Wahlen im November 2015 durchhält und den etablierten Parteien einen historischen Denkzettel verpassen kann. Falls die Verzweiflung der Spanierinnen und Spanier über Korruption, Krise und Stillstand tatsächlich gegen die Angst vor Veränderung gewinnt, wird Iglesias wohl der jüngste Regierungschef der EU (Nur Georgiens Saakaschwili, der bisher vergeblich den EU-Beitritt seines Landes anstrebt, ist noch jünger). Hoffentlich wird Iglesias dann nicht zu dem Obama, der als erster schwarzer Präsident der USA die in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuschte.

Auch erschienen auf http://www.doktorpeng.de

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Geschrieben von

Doktor Albahaca

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