Die Rebellion der Verlierer

Landtagswahl Wir schreiben das Jahr 2016. Eine faschistoide Partei zieht als zweitstärkste Kraft in das Parlament ein. Die Empörung ist groß. Doch verantwortlich sein möchte niemand.

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Über 20% derjenigen, die am Sonntag wählen gegangen sind, gaben ihrer Stimme der sogenannten „Alternative für Deutschland“. Eine Partei, dessen Kandidaten und Mitglieder zum Teil tief in rechtsextreme Kreise verwickelt sind und ein klar antihumanistisches und nationalistisches Weltbild propagieren.


Man könnte es sich einfach machen. Den Aufstieg als Rebellion der Wutbürger denunzieren. Wird schon alles wieder, wenn die Menschen erstmal merken, wem die neoliberale Politik der Partei nützt. Man kann den Aufstieg der Partei auch ausnutzen wie ein Horst Seehofer und die CSU, indem man einfach die rechte Polemik kopiert, um die eigene Macht gegenüber einer zuvor unantastbaren Kanzlerin auszuweiten. Man kann auch hilflos die Hände gen Himmel werfen und die beängstigende Entwicklung mit einem Verweis auf die Legalität und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland abtun. Geht ja schließlich alles mit rechten Dingen zu.


Oder man kann genauer hinschauen, Ursachenforschung betreiben und Lösungsstrategien entwickeln. Dass dies fast niemand tut, liegt an der Radikalität der Antworten und damit der Unvereinbarkeit nachhaltiger Lösungsstrategien mit unserem jetzigen gesellschaftspolitischen System.


Der Sozialphilosoph Max Horkheimer schrieb einst „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“ So versuche der Faschismus demnach als Reaktion auf die Krise des Kapitalismus, diesen mit totalitären, despotischen Mitteln aufrechtzuerhalten. Horkheimer schrieb dies 1939. Was folgte ist bekannt. Umso erschreckender erscheint daher die kritisch-distanzierte Betrachtung der Gegenwart.


So ist der Aufstieg des Nationalismus kein rein-deutsches Phänomen, sondern ein kapitalistisches. In nahezu allen sogenannten „Industriestaaten“ ist ein Aufbegehren rechter Parteien, dessen Forderungen sich zunehmender Beliebtheit erfreuen, zu beobachten. Die Sehnsucht nach dem starken Führer oder der Führerin wächst. Während wir in den letzten Jahrzehnten einen noch nie zuvor gekannten technologischen Fortschritt erlebten, spüren wir nun die Konsequenzen dieses reduzierten Fortschrittsverständnisses.

Spätestens seitdem Zusammenbruch der Sowjetunion wird uns die Alternativlosigkeit verkauft. Der Neoliberalismus sei hier um zu bleiben. Und irgendwo auf dem Weg, eingelullt im goldenen Käfig des modernen Wohlfahrtsstaates, vergaßen wir die Kämpfe der Generationen vor uns und die Endlichkeit gesellschaftspolitischer Systeme. So verkündete das sogenannte Ende der Geschichte gleichzeitig den Niedergang der Demokratie. Denn was einst als partizipativer Prozess verstanden wurde, galt nun als gegeben. Und wir, wir hörten auf mitzumachen.


Erst die kritische Betrachtung sozioökonomischer Entwicklungen der letzten Jahrzehnte unter dem Banner des Neoliberalismus ermöglicht ein tiefergehendes Verständnis der jetzigen Rebellion. Die zunehmende soziale Ungleichheit, der Abbau der Sozialsysteme und die Zunahme damit verbundener Abstiegsängste als Konsequenz einer entsolidarisierten und gefühlstechnisch entmachteten Gesellschaft. All das kombiniert mit der Allgegenwärtigkeit geopolitischer Konflikte in unserer hochmedialisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ergeben eine explosive Mischung. Lange haben wir uns zurückgezogen und „die da oben“ machen lassen. Im Kampf jeder gegen jeden , angesichts der zunehmenden Prekarisierung der Arbeitswelt, war für Politik kein Platz mehr.


Nun stehen wir auf dem Scherbenhaufen dieses verhängnisvollen Rückzugs und fühlen uns verraten. Die Konservativen haben diese Politik verinnerlicht, der Neoliberalismus wurde ihre neue Religion. Die Sozialdemokratie versagte eine Alternative auf die Beine zu stellen und machte so schließlich mit, um noch irgendwie dabei zu sein. Und die Linke, zunächst als vermeintliche Verlierer der Geschichte verdammt, hat es bis heute nicht geschafft den globalen Siegeszug des Neoliberalismus aufzuhalten.


Das Vertrauen in die etablierten, politischen Akteure fehlt. Eine wahrlich demokratische, partizipative, politische Kultur ebenfalls. Nur die Kombination dieser beiden Faktoren, kann den anhaltenden Rechtsruck erklären. Auf rhetorischer Ebene können die Rechten das System und ihre Akteure anprangern und mit einfachen Lösungen komplexer Probleme die Herzen einer politisch ohnmächtigen Gesellschaft erobern. Gleichzeitig gelingt ihnen dies nur so gut, weil es keinen ernstzunehmenden Gegner gibt, der die Kritik am status quo mit dem Aufbau gesellschaftspolitischer Gegenmacht verbindet.
Die historischen Folgen einer solchen Ausgangssituation sind bekannt. Trotzdem scheint es auf allen Seiten des Parteienspektrums nur zwei Reaktionen zu geben: Achselzucken oder selbst nach rechts rücken, um Wähler abzufangen.


Man erinnere sich an den Aufstand der Anständigen zurück. Damals appellierte Gerhard Schröder zu mehr Solidarität und Engagement gegen Rechtsextremismus an die Bevölkerung. Gleichzeitig schuf er mit der Agenda 2010 das Fundament für das Wiedererstarken faschistoider Tendenzen in Deutschland. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.

Und doch es ist gerade die Geschichte, welche uns Eines lehrt:

Sie ist nie vorbei. Man kann sich ihr nicht entziehen. Gleichzeitig bedeutet demokratische Partizipation weitaus mehr als die Beteiligung an Wahlen. Als die Nazis damals die Macht ergriffen, hielten die etablierten Parteien am Legalitätsprinzip fest. Wenn sie es dieses Mal tun, ist ein erneutes Achselzucken zu befürchten. Aus der Geschichte lernen, heißt die Notwendigkeit außerparlamentarischen Widerstands und demokratischer Eigenverantwortung erkennen.


Es gibt genügend Beispiele wie dieser aussehen kann. Die Grundlage muss jedoch eine Politik des selbstbestimmten Handelns sein, denn keine Petition dieser Welt wird eine Petry, Le Pen oder Trump davon abhalten die Macht zu ergreifen und keine Wahl des kleineren Übels die gesellschaftlichen Probleme lösen. Wir brauchen keinen Aufstand der Anständigen. Wir brauchen einen Aufstand der Mündigen, welche durch Ungehorsam den Demagogen die Macht entreißen und die Demokratie als lebendigen, permanenten Prozess wieder ins Zentrum des gesamtgesellschaftlichen Diskurses tragen.

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