Amateure ohne Mindestlohn

Der Sportsfreund Selbst bei Hobbysportlern ist es mit der Romantik nicht mehr weit her. Mit dem Mindestlohn hätte man sie vor Ausbeutung schützen können. Diese Chance ist nun vertan
Ausgabe 09/2015
Marco Reus verdient jetzt angeblich acht Millionen Euro im Jahr
Marco Reus verdient jetzt angeblich acht Millionen Euro im Jahr

Foto: Action Pictures/Imago

Heute Nacht habe ich etwas Komisches geträumt. Das Telefon klingelte, meine Redaktion war dran. „Sie schreiben doch über Sport?“ – „Ja”, antwortete ich. „Und würden Sie sagen, dass dabei der Spaß am Sport für Sie im Vordergrund steht?“ – „Doch, schon, meistens.“ – „Und würden Sie sagen, dass Ihre Texte die Leserschaft unterhalten und informieren, also dem Gemeinwohl dienen?“ – „Na, ich hoffe doch!“ –„Wir sind froh zu hören, dass Sie das auch so sehen. Dann haben Sie sicher Verständnis dafür, dass wir Sie künftig unter Mindestlohn bezahlen.“ Ich protestierte: „Aber ich habe erheblichen Aufwand, trainiere täglich für meine Kolumne, übe das ABC, habe Interviewtermine und die Fahrerei zu Spielen und dazu das Duschen danach, wenn ich wieder mal völlig durchgeschwitzt bin.“ – „Erzählen Sie das der Frau Arbeitsministerin.“ Dann tute es in der Leitung und ich wachte auf.

Alles nur ein Traum, beruhigte ich mich. Und las schnell noch einmal im Politik- beziehungsweise im Wirtschaftsteil nach. Und staunte: Tatsächlich gilt der neue Mindestlohn von 8,50 Euro für Sportler schon nicht mehr. „In diesen Fällen steht nicht die finanzielle Gegenleistung, sondern der Spaß an der Sache im Vordergrund“, hat unser aller Arbeitsministerin Andrea Nahles erklärt. „Deshalb können wir hier nicht von einem klassischen Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sprechen.“ Ehrenamtliche brauchen demnach kein Existenzminimum, solange das Gemeinwohl und nicht der Broterwerb im Vordergrund steht.

Das freut natürlich die 90.000 Vereine in Deutschland, die geklagt hatten, der Mindestlohn ruiniere sie. Jetzt können Bundesligisten Talente aus der zweiten Mannschaft weiter mit ein paar Hundert Euro im Monat abspeisen, so wie Dritt- oder Viertligisten ihre täglich trainierenden Fußballer.

Aber Moment mal, dachte ich da. Der Marco Reus hat doch neulich seinen Vertrag bei Borussia Dortmund verlängert. Weil er so an seinem Heimatverein hänge. Und weil die Borussia so verständnisvoll darüber hinwegsah, dass der Nationalspieler seinen Sportwagen gern auch mal ohne Führerschein kutschiert. Da steht doch auch der Spaß im Vordergrund, am Fußball und am Fahren! Oder, wie es Dortmunds Trainer Jürgen Klopp grinsend in seinen Autowerbesports formuliert: „Enjoy!“ Reus verdient jetzt angeblich acht Millionen Euro im Jahr. Okay, zuletzt hat Dortmund gegen den Abstieg gespielt. Da steht der Spaß vielleicht nicht mehr so im Vordergrund. Dabei war ich so bewegt, dass Reus bei seinem Lieblingsverein bleibt. Das hatte etwas von echter Liebe, und von Amateurromantik.

Allerdings ist es bei den wahren Amateuren mit der Romantik nicht mehr weit her. Die trainieren, spielen und fahren bis in die untersten Ligen, sind oft über 30 Stunden die Woche im Einsatz. Darunter leiden Gesundheit, Privatleben – und der Zweitjob. Und den brauchen sie, wenn sie für all den Aufwand nun nicht mal mehr 255 Euro Mindestlohn bekommen.

Ich finde es als Fan in Ordnung, wenn ehrgeizige Vereinspräsidenten und Trainer nach oben wollen, von der fünften in die sechste Liga, und ihre Amateurjungs täglich zum Training zitieren. Die Spieler wollen das ja auch. Gerade deshalb sollte man sie vor Ausbeutung schützen. Wer so viel Zeit investiert, sollte auch etwas zurückbekommen. Oder weniger Aufwand haben.

Der Mindestlohn wäre eine Chance gewesen, die Spirale zurückzudrehen. Und klarer zu trennen: zwischen Profis wie Reus und Hobbysportlern, die nach Feierabend trainieren, bei denen wirklich der Spaß und echte Liebe im Vordergrund stehen. Aber jetzt ist die Mindestlohnausnahme in der Welt. Was daraus noch wird: keine Ahnung. Ich kann meinen Lesern nur wünschen, dass bei ihren Jobs nicht der Spaß im Vordergrund steht – und dass die Gemeinschaft so wenig wie möglich, am besten nichts, davon hat.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

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