Blabla und hähä

Der Sportsfreund Es gibt kein Fußballturnier ohne die Besserwisserei der Ehemaligen. Und doch sehnen wir uns nach Expertise. Nicht nur im Fußball
Ausgabe 27/2016
Das 25. Team dieser EM: die Experten (hier: Holger Stanislawski und Oliver Kahn)
Das 25. Team dieser EM: die Experten (hier: Holger Stanislawski und Oliver Kahn)

Foto: Boris Streubel/Bogarts/Getty Images

Diese Fußballeuropameisterschaft ist noch nicht ganz vorbei, aber ich habe schon meine persönlichen Stars des Turniers gefunden. Ich meine nicht die tapferen Waliser oder mutigen Isländer, die mit ihrem guten Abschneiden alle überrascht haben. Nein, mich begeisterte das 25. Team dieser EM: die Experten.

Viele schöne EM-Kontroversen haben sie erst angestoßen: Mehmet Scholl kritisiert dieses, Michael Ballack bemängelt jenes, Oliver Kahn – „Hähähä“ – lacht sich eins. Ich glaube, noch kein Fußballturnier ist so umfassend eingeordnet worden. Nicht nur ARD und ZDF leisten sich Experten, auch n-tv, N24, Sat1 und Eurosport holen Rat von Sachverständigen ein. Dazu kommen ungezählte Exfußballer und Extrainer, die Zeitungen als Kolumnisten zur Seite stehen. Es gibt mittlerweile vermutlich mehr Experten als Spieler.

Die Aktiven kicken halt nur 90 oder 120 Minuten, womit füllt man den restlichen Sendeplatz? Um es mit den Worten meiner vierjährigen Nichte zu sagen: „Die reden ja nur, blablabla, wann spielen die endlich Fußball?“ Das haben die längst hinter sich, meine Kleine! Die gut gebuchten Ehemaligen.

Viele Zuschauer fragen sich, ob Erkenntnisse wie „Ein Tor würde dem Spiel guttun“ wirklich 1,6 Millionen Euro Jahresgage wert sind? So viel kassieren Scholl und Kahn angeblich aus Gebührengeldern. Natürlich sind sie das wert! Echtes Expertentum hat seinen Preis! Und das sage ich nicht nur, weil der Freitag mich in einem ähnlichen Rahmen entlohnt. (Wenn auch nur, weil Jens Nowotny und Berti Vogts für diese Kolumne abgesagt haben, aus irgendwelchen privaten Gründen.)

Expertentum ist kein Ausbildungsberuf im klassischen Sinne, es lässt sich nicht auf Bachelor studieren. Man muss halt irgendwie mehr Ahnung haben als andere. Das reklamieren in Deutschland zwar auch 80 Millionen Bundestrainer vor den Fernsehapparten für sich. Aber ein echter Experte übt Kritik nicht nur – er muss sie auch aushalten. Denn bei den Akteuren auf dem Rasen sind Kommentare aus dem Off in etwa so beliebt wie die Oma, die unterm Dach lebt und beim Hinabhinken gut gemeinte Ratschläge erteilt.

Und doch sehnen wir uns in dieser scheinbar immer unübersichtlicher werdenden Welt nach Expertise. Es gibt Fitnessgurus, Erziehungsratgeber, Sex-Perten, Karrierecoachs, Terrorexperten, die nie Terroristen waren, sowie Fachausschüsse für Beautygeheimnisse. „How to“ ist einer der meistgegoogelten Begriffe weltweit.

Aber ich finde, wir bräuchten mehr Experten in unserem echten, ganz realen Leben. Ehemalige, die uns mit ihrem Wissen unterstützen. Giacomo Casanova könnte uns nach einem Date erklären, warum das von vorneherein nix werden konnte, während Bob der Baumeister erläutert, warum die Einsturzursache schon in der Planungsphase des Ganzen zu suchen ist. Die Experten könnten einem Publikum aus unseren Freunden und Familien einen Vortrag über unsere Fehlleistungen halten – den wir selbst aber nicht mitbekommen, wir stünden ja auf dem Spielfeld.

Wie wehrt man sich dagegen, dass andere alles besser wissen? Einen Roman über den Tod eines Kritikers schreiben wie Martin Walser? Berti Vogts hat einmal gesagt: „Und wenn ich übers Wasser liefe, würden meine Kritiker sagen: ,Nicht mal schwimmen kann der.‘“ Der einzige Trost: Irgendwann einmal sind wir auch Ehemalige. Und dürfen den Aktiven erklären, wie es wirklich geht. Dass wir es selbst nicht besser konnten, weiß dann schon keiner mehr.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

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