Die Enthüllungen der Fancy Bears

Der Sportsfreund Eine Hackergruppe entlarvt Sportler als Doper und stellt vertrauliche Dokumente ins Netz. Eine Retourkutsche für die Ausschlüsse von russischen Sportlern bei Olympia?
Ausgabe 39/2016
Für Asthmasprays etwa bekommen Athleten Ausnahmegenehmigungen – geleakt wurden nun Betroffene wie Rafael Nadal oder Serena Williams
Für Asthmasprays etwa bekommen Athleten Ausnahmegenehmigungen – geleakt wurden nun Betroffene wie Rafael Nadal oder Serena Williams

Foto: medicimage/imago

Die Tochter meines Mitbewohners ist zweieinhalb und läuft ständig mit einem Teddy unter dem Arm herum. Oft hüpft sie dann auf und ab und will „Mischka“ sehen: russische Zeichentrickfilme mit einem Bären, die ihr russischstämmiger Vater ihr zeigt. Was soll ich sagen, sie mag eben Bären, sind ja auch schick.

Nicht ganz so schick verhalten sich die „Fancy Bears“, auch wenn sie so heißen. Diese Hackergruppe entlarvt zurzeit Sportler als Doper. Zumindest behauptet sie das. Seit Wochen stellt sie vertrauliche Dokumente ins Netz, die sie von der Welt-Antidoping-Agentur erbeutet hat. Es geht um Ausnahmegenehmigungen für Athleten, die offiziell Dopingmittel nehmen dürfen – aus therapeutischen Gründen, etwa weil sie Asthma haben. Betroffen sind Tennis-Stars wie Rafael Nadal und Serena Williams, aber auch deutsche Sportler wie Diskuswerfer Robert Harting oder Tischtennisspieler Timo Boll.

„Wir stehen für Fair Play und sauberen Sport“, schreiben die Fancy Bears auf ihrer Webseite. „Wir werden euch zeigen, wie olympische Medaillen gewonnen werden.“ Bisher haben sich die Profihacker auf westliche Ministerien und Institutionen spezialisiert, angeblich gibt es Verbindungen zum russischen Geheimdienst, einige nennen sie sogar Staatshacker. Man muss aber kein Verschwörungstheoretiker sein, um das Ganze als Retourkutsche für die Ausschlüsse von russischen Sportlern bei Olympia und den Paralympics in Rio zu sehen. Wladimir Putin lehnt das Vorgehen der Hacker offiziell ab, nennt ihre Aktionen aber „interessant für die Öffentlichkeit und die Sportwelt“.

Die Empörung nach jeder neuen Enthüllung hält sich in Grenzen. Denn die Sportler haben ja nichts Verbotenes getan. Sie hatten die Erlaubnis, indizierte Medikamente zu nehmen. Das Ganze wirkt ein bisschen wie die Plattform Football Leaks, die Verträge von Profifußballern veröffentlicht, die im Wesentlichen nur verraten, was eh jeder weiß: dass bei Transfers ziemlich viele dubiose Leute ziemlich viel verdienen.

Dass Sportler viele Medikamente schlucken, sollte jedem klar sein. Schmerzmittel, Entzündungshemmer und Vitaminpräparate gehören dabei noch zu den harmloseren und legalen Mitteln. Doch mittlerweile scheint es zum System zu werden, dass sich Sportler mit einem einfachen Attest vom Hausarzt Dopingmittel auf Rezept holen. Da horchen andere Athleten natürlich in sich hinein, ob sie nicht auch Asthma verspüren. Radfahrer, hat mir mal jemand erzählt, schnupfen schon im Jugendbereich alle Nasensprays.

Aber was will man machen? Wer wirklich Asthma hat, kann ohne Medikamente keinen Profisport betreiben. Soll man diese Menschen ausschließen? Oder gibt man das Zeug einfach frei? Doping für alle?

Das ist der Haken bei all den Hacker-Enthüllungen, neben ihrer unklaren Herkunft und der Motivation dahinter: Sie verraten nichts, was wir nicht schon über den Profisport wissen oder ahnen. Sportler dopen, es fließt viel Geld hintenrum. Man kann sich nur entscheiden, die Augen davor zu verschließen oder den Sport nicht mehr zu verfolgen. Aber es sieht schon schick aus, deshalb gucken wir weiter zu.

Manchmal schaue ich die Kleine mit ihrem Teddy an und frage mich: Was ist, wenn sie mit ihrem Bewegungsdrang Sportlerin werden will? Und Schnupfenspray nimmt, obwohl die Nase frei ist? Ich will nicht daran denken. Komm, meine Kleine, lass uns noch ein paar Märchen schauen, mit Mischka, dem Bären.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

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