Endlich mal ein Tor schießen

Der Sportsfreund Eine Verlierergeschichte mit echten Helden, die viel warten müssen: Zu Besuch beim „11 Millimeter“-Fußballfilmfestival in Berlin
Ausgabe 13/2015

Wenn es mir richtig schlecht geht, dann schaue ich Sport-Dokus. Dokumentationen über Sport, das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Sport wird ja schon so oft genug gefilmt, er liefert seine eigenen Geschichten, hat seine eigene Dramatik, in jedem Wettkampf, Verlierer werden zu Helden und umgekehrt. Was im echten Leben Jahre dauert, geschieht hier in Sekunden. Sport ist menschliche Leidenschaft unter dem Brennglas. Was gibt es über Verlieren und Gewinnen hinaus noch zu erzählen? Und doch berühren mich Sport-Dokus, je kitschiger, desto besser.

Am vergangenen Wochenende war wieder das „11 Millimeter“-Fußballfilmfestival in Berlin. Dort gibt es viel Banales zu sehen, Heldenverehrung wie den Eröffnungsfilm Messi über den argentinischen Weltklassefußballer. Ich habe mir Next Goal Wins angeschaut, eine Verlierergeschichte, aber mit echten Helden. Die Nationalmannschaft von Amerikanisch-Samoa ist Weltrekordhalter, im negativen Sinne. Ein 0:31 gegen Australien hat die Fußballer von der Pazifikinsel 2001 in die Geschichtsbücher gebracht, noch nie haben sie ein Spiel gewonnen, obwohl die Gegner Tuvalu oder Vanuatu ebenfalls am Ende der Weltrangliste rangieren. Alles, wovon die Samoaner träumen, ist, endlich einmal ein Tor zu schießen, ein moralischer Sieg, wie beim Straßenfußball. Mit dem Holländer Thomas Rongen heuert ein echter Profitrainer an, der flucht, als die Spieler im Training stolpern und ihm die Bälle an den Kopf fliegen.

Ich habe Sport immer geliebt, aber noch mehr interessieren mich die Geschichten dahinter. Was treibt diese Menschen an, sich immer weiter zu quälen? Niemand versteht das Geschichtenerzählen besser als die Amerikaner, nicht nur in Hollywood. Die Basketball-Liga NBA wurde in den 80er Jahren weltweit populär, dank der Rivalität der Weltklassespieler Larry Bird und Magic Johnson. Weiß gegen Schwarz, Arbeiter gegen Showman, wie dieses Duell vermarktet wurde, erzählt die US-Doku A Courtship of Rivals. Dennoch wurden die ungleichen Gegenspieler Freunde. Am Ende weint der hartgesottene Bird vor der Kamera, als er erzählt, wie er erfuhr, dass Johnson an HIV erkrankt war. Wer da nicht mitweint, der glaubt, beim Sport geht es nur um Sieg oder Niederlage.

Sport soll Menschen ja viel Gutes lehren: Disziplin, Teamfähigkeit, FairPlay. Aber es sind vor allem die Verlierer, die uns in ihren Niederlagen zeigen, was echte Größe ist: Haltung und Hingabe. Der Basketballer Shawn Bradley zum Beispiel war immer der falsche Typ auf den Hochglanzpostern. Seine Gegenspieler wollten sich verewigen, indem sie den Ball spektakulär über den ungelenken 2,30-Meter-Riesen in den Korb stopften. Die Doku Posterized erzählt, wie Bradley nach all der Demütigung Lehrer und Missionar für unterprivilegierte Kinder wird. Aber ich wollte ja über Next Goal Wins erzählen. Amerikanisch-Samoa wird von Tsunamis heimgesucht, die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Leute haben echt andere Sorgen als Fußball. Abwehrchef Jaiyah Saelua zum Beispiel ist im falschen Körper geboren, der erste transsexuelle Nationalspieler weltweit, aber er liebt das Spiel. „Ich bin kein Mann, keine Frau, ich bin Fußballer“, sagt Saelua. Der ehrgeizige Trainer Rongen lernt die Schönheit der Pazifikinsel kennen, die Freude der Menschen.

Dann kommt ein WM-Qualifikationsspiel gegen Tonga, der gegnerische Torwart greift zweimal böse daneben, die Samoaner gewinnen 2:1 und sinken überwältigt zusammen. Torwart Nicky Salapu, schon beim 0:31 gegen Australien dabei, kann seinen Kindern nun erzählen, dass er ein Spiel gewonnen hat. Zur Weltmeisterschaft schafft es Amerikanisch-Samoa trotz des historischen ersten Siegs natürlich nicht. Es ist eine Doku, kein Märchen. Sie zeigt, dass es im Leben nicht nur um Gewinnen oder Verlieren geht.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

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Geschrieben von

Dominik Bardow

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