Heddesheim gegen das Schicksal

Netzgeschichten Lokalblogs erfüllen Peter Sloterdijks Forderungen und nehmen den Kampf gegen die elektronische Globalisierung auf. Die Verlage dagegen sperren lieber die Leser aus

Peter Sloterdijk hatte es geahnt: Das Lokale sei aufgerufen, der Schicksalsmacht der elektronischen Globalisierung die Stirn zu bieten, schrieb der Philosoph 2005 in seiner Schrift Im Weltinnern des Kapitals. Fünf Jahre später tritt das Lokale tatsächlich seinen Siegeszug an, allerdings ausgerechnet im Globalisierungsmedium Internet.

Während Großzeitungen an Auflage verlieren, Löhne kürzen und Mitarbeiter entlassen, blühen Lokalblogs auf und stellen sogar ein. Gerade verkündete der Macher des Senkrechtstarters Heddesheimblog, fünf weitere Lokal­blogs aufzubauen und drei bis vier Mitarbeiter einzustellen, mit einem Gehalt von 3.000 Euro monatlich. Der Blog aus der 11.500-Einwohner-Gemeinde bei Mannheim ist eine der vielen kleinen Erfolgsgeschichten im Netz: Im Mai 2009 begann der Lokaljournalist Hardy Prothmann zu bloggen, im September hatte heddesheimblog.de laut eigenen Angaben bereits 640.000 Seitenzugriffe – mehr als etwa die Regionalzeitung Potsdamer Neueste Nachrichten im selben Monat.

Angetreten war Prothmann mit dem Motto „Bratwürste gehören auf den Grill, nicht in den Journalismus“. Damit kritisiert er vor allem die Lokalberichterstattung der Zeitungen, die nur Termin- und Gefälligkeitsberichte lieferten, sprich: „Bratwurstjournalismus“.

Damit befindet er sich in bester Gesellschaft: Lokalblogs wie hohenlohe-ungefiltert.de oder Lokalsportportale wie fussball-passau.de ernten Tausende von Klicks mit Inhalten, die Lokalzeitungen nicht mehr oder nur ungenügend abdecken.

Auch der Mikroblog-Dienst Twitter hat die Zeichen der Zeit erkannt: Mit dem neuen Angebot „Local Trends“ können Nutzer das Gezwitscher künftig nach Land und Städten filtern. Lokalnachrichten im Sekundentakt also. Allerdings ist das Angebot noch auf 15 Städte in den USA beschränkt und vorerst kann es nur rund ein Prozent der Twitter-User nutzen.

Die Verlage haben dagegen das Lokale als Melkkuh ausgemacht. Nach dem Axel-Springer-Verlag will nun auch die WAZ-Gruppe I-Phone-Apps herausbringen, hauptsächlich für Lokalnachrichten. Gegen Geld natürlich.

Der Schweizer Verleger Urs Gossweiler kritisiert: „Wenn wir jetzt Bezahlcontent einführen, dann schwächen wir die Kanäle Internet und Mobile und verlieren Werbeerlöse. Ich begreife nicht, dass sich Verleger so viele Gedanken darüber machen, wie sie Aufmerksamkeit und Kunden verlieren können.“ Die Lokal­blogs wird es freuen.

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Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

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