Die Insel ist so groß wie die ehemalige DDR und hat so viele Einwohner wie Bielefeld, aber im Mannschaftssport ist sie eine Macht. Im Handball sind die Isländer schon seit Jahren bei wichtigen Turnieren vorn dabei, jetzt haben sie sich auch noch im Basketball und im Fußball erstmals für Europameisterschaften qualifiziert. Die Fußballer haben dabei sogar zweimal die Niederlande geschlagen und in der Qualifikation hinter sich gelassen. Und die Basketballer hätten beim EM-Auftakt in Berlin fast die Deutschen um Dirk Nowitzki besiegt. Ich war in der Halle und schwer beeindruckt.
Denn mit Basketball hatten die Isländer bisher nicht wirklich viel am Hut. Vor dem Spiel hatte ihr bester Spieler Jón Arnór Stefánsson erzählt, dass er sich als Kind immer aufs Schneeschippen gefreut habe. Denn sobald die Straße frei war, konnten sie Basketball spielen, und er schoss die Schneeflocken vom Korb. Stefánssons Bruder Ólafur war übrigens der beste Handballer Islands. Viele Isländer betreiben in jungen Jahren mehrere Sportarten gleichzeitig, das Land ist insgesamt sehr sportlich. Einen Grund dafür hat mir ein Freund verraten, der auf Island war und sich mit vielen Sportlern unterhalten hat: Den Menschen dort ist einfach unheimlich langweilig. Es ist kalt am Polarkreis, und bei fünf Sonnenstunden an einem Wintertag muss man sich ja irgendwie beschäftigen. Die meisten Isländer haben daher auch mehrere Jobs. Mit dem verdienten Geld können sie wiederum Hallen bauen, damit sie bei Licht und Wärme trainieren können und nicht Schnee schippen müssen. Ob es stimmt, weiß ich nicht.
Aber wir hören solche Geschichten trotzdem gern. Nordeuropäische Länder sind gut in Hallensportarten, weil es kalt ist und sie Geld für Hallen haben. Afrikaner laufen gut, weil sie im Durchschnitt weniger Geld haben und viel zu Fuß unterwegs sind. Das ist Globalisierung im Weltsport, jedes Land stellt die Athleten her, für die es die besten Voraussetzungen hat. Hätte Deutschland also noch bessere Sportler, wenn wir alle gelangweilter oder ärmer wären? Wir, das Publikum, lieben einfache Antworten auf die Fragen: Warum sind die so gut? Zur Langstreckenlegende Haile Gebrselassie wurde immer wieder die Geschichte erzählt, sein linker Arm hänge beim Laufen deshalb so krumm herab, weil er damit in Äthiopien auf dem zehn Kilometer langen Schulweg seine Bücher hielt.
Oder anders gesagt: armer Afrikaner, also schneller Läufer. Das Problem mit diesen Klischees ist, dass sie diskriminierend sind und oft nicht einmal stimmen. Von dem kolumbianischen Radprofi Nairo Quintana wird erzählt, dass seine Familie so arm war, dass er mit einem 20 Kilo schweren Fahrrad die Anden hinauf zur Schule strampeln musste, daher sei seine Ausdauer in den Bergen so stark. Dass Quintana später genervt widersprach, seine Familie sei so arm gar nicht gewesen, wollte keiner mehr hören, die Geschichte war einfach zu gut. Dabei sind die laxen Dopingkontrollen in Kolumbien eine plausiblere Erklärung für seine auffälligen Blutwerte. Auch in Äthiopien und Kenia geraten immer mehr Läufer unter Dopingverdacht. Das klingt dann nicht so schön wie die Legenden von Höhenluft und Schulweg.
Natürlich spielen solche Geschichten auch eine Rolle für die Leistung. Aber es gibt eben meist nicht nur eine Ursache für Erfolg im Sport. Und wenn doch, dann ist es oft einfach nur sehr hartes Training. Ob in Island oder anderswo.
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