Ganz ehrlich, ich habe keinen Bock auf Rio. Olympische Spiele kann ich jetzt echt nicht gebrauchen. Ich bin noch völlig erledigt von der Fußball-Europameisterschaft, von langen Abenden und zähen Matches. Jetzt noch mal 16 Tage Sport-Großevent? Brauchen das die Zuschauer?
Olympia verliert allmählich an Fans und Bedeutung, die Einschaltquoten zumindest sinken seit Jahren kontinuierlich. Und Meldungen über Zika, soziales Elend und Baupfusch machen nicht gerade Lust auf unbeschwerte Spiele. Dabei habe ich durchaus ein Herz für Sport, gerne auch in abseitigen Disziplinen. Manche Sportarten sehe ich bei Olympia zum ersten Mal live und bleibe fasziniert am Fernseher hängen. Rugby ist zum Beispiel wieder dabei, das zu sehen, darauf hätte ich Lust. Aber wenn die Übertragungen ständig zwischen den Wettbewerben springen – gerade noch lief da wer, jetzt springt jemand, gleich wird geschwommen –, werde ich wahnsinnig.
Die meisten Sportler sind ja auch irgendwie austauschbar. Die gleiche Badekappe, die gleiche Fechtermaske, die gleichen Radlerhosen. Kaum einer sticht heraus. Die bekanntesten Golfer, Fußballer oder Basketballer sind ja gar nicht dabei, die haben so wenig Bock auf Rio wie ich. Das war schon bei der Fußball-EM zu sehen: Viele hochbezahlte Profis wirken nach einer langen Saison müde oder lustlos.
Am liebsten schaue ich deshalb die Eröffnungsfeier, auch an diesem Freitag wieder. Staunend stelle ich jedes Mal fest, wie viele Länder es gibt auf der Welt, 206 nehmen teil. Und während Deutschland mit 425 Athleten durch die Manege stolziert, hält bei Afghanistan, Laos oder Togo jeweils nur ein Sportler das Fähnchen seines Landes hoch. Und strahlt über das ganze Gesicht.
Die sogenannten Exoten begeistern mich auch in den Wettkämpfen. Sie kommen mit Abstand als Letzte ins Ziel, aber freuen sich einfach, dabei zu sein. Das Publikum feiert sie. So wie Schwimmer Eric „the Eel“ Moussambani aus Äquatorialguinea, der 2000 in Sydney auf 100 Metern Freistil fast ertrunken wäre. Oder Ruderer Hamadou Djibo Issaka aus Niger, dem der Stadionsprecher in London 2012 „Du schaffst das!“ zurief, als alle schon im Ziel waren. In Rio werden wieder viele Anfänger dabei sein. Wenn eine Läuferin wie Sarah Attar aus Saudi-Arabien 2012 als erste Frau ihr Land vertritt, dann geht es für mich nicht darum, welche Zeit sie erreicht. Höher, schneller, weiter ist mir egal. Dabei sein ist alles, darum ging es doch mal bei Olympia, um Spaß am Sport. Die Exoten machen weiter, selbst wenn ihnen alle davonrennen. Da geht mir als Zuschauer das Herz auf.
Klar werden selbst die Außenseiter vermarktet. Der Rodler Bruno Banani aus Tonga änderte dem Sponsor zuliebe seinen Namen. Aber echte Begeisterung an der Bewegung ist unbezahlbar und ansteckend, auch am Fernseher, tausende Kilometer entfernt.
Deshalb, liebes Olympisches Komitee, mein Appell: Ladet die ganzen Profis wieder aus, die sich nach Rio schleppen, für Geld oder Ruhm. Lasst wieder Amateure antreten! Die erbringen zwar nicht die besten Leistungen, aber sind mit Freude dabei. Das wäre auch ein schönes Zeichen gegen den Größenwahn, der viele demokratische Länder davon abhält, Olympia-Gastgeber zu werden. Nur mit Höher und Schneller geht es nicht weiter. Dann bekommen wir Zuschauer auch nach einer langen Sport-Saison wieder Energie und entdecken Olympia neu, gemeinsam mit den Anfängern in den Arenen. Mit dem Herzen dabei sein, das ist alles.
Kommentare 3
Die fortschreitende Kommerzialisierung des Sports in Verbindung mit allen daraus resultierenden Auswüchsen ist ein unumkehrbarer Prozess. Das hat schon Sloterdijk richtig analysiert! Insofern träumt Michael Groß nur einen unerfüllbaren Traum. Ansonsten sind die derzeitigen Olympischen Spiele:
Unsportlich! Dann lieber Pokémon Go!
Ob FIFA oder IOC, Geld regiert auch die Sport-Welt, juchhe!
Durchsichtige Politik des Aussitzens! Null Toleranz mit heuchlerischen Funktionären!
Die Heuchel-Sportler und die Heuchel-Sport-Funktionäre haben jeglichen moralischen Maßstab verloren. Dem Fass schlägt den Boden aus, dass sich die Funktionärselite auch noch als "härtest mögliche Aufklärer" gebärdet! Aber die Doping-Whistle-Blowerin Julia Stepanowa von den Olympischen Spielen ausschließen! Als Vorbilder höchstens noch für Drogenabhängige, Drogendealer und Mafiosi geeignet.
Entlarvend, dass sich die Politik nicht vehement distanziert! Bleibt nur, dass sich die anständigen Bürger angewidert abwenden! Boykottiert die olympischen Spiele und die nächsten Fußball-Weltmeisterschaften im Fernsehen! Und geht auf die Barrikaden, wenn das staatliche Fernsehen weiterhin diesen Schurken eure Gebühren-Millionen/Milliarden hinterherwirft! Boykottiert die Sponsoren, solange sie diese unwürdigen Spiele unterstützen! Und: spielt lieber Pokémon Go!
Verkehrte Welt?
http://youtu.be/QqoSPmtOYc8
Viel Spaß beim Anhören!
Und im übrigen: IOC- und FIFA- Top-Funktionäre erfüllen nicht einmal die selbst gestellten ethischen Anforderungen!
Wie kann es weitergehen? Z.B. durch Neuaufbau entsprechender alternativer Sportverbände, die sich wieder auf sportliche Ideale und olympische Traditionen besinnen! Das könnte auch heißen, dem Amateursport wieder breiteren Raum einzuräumen. Ein weites Feld für innovative, motivierte und idealisierte Sportler und Sportbegeisterte! Ob sich Politik, Medien, Sponsoren darauf einlassen? Skepsis ist angebracht.
Der grösste Hohn ist ja noch, daß der Großteil der sich dort abstrampelnden Athlet/inn/en, ganz real mit prekären Lebenssituationen umzugehen hat. Das gilt auch für deutsche Athlet/inn/en. Die werden dann sich selbst überlassen im Kampf ums Geld. Wer nicht dazu taugt, daß Ottonormalkartoffel sein Fähnlein im Stadion gewinnbringend in die Kamera schwingen kann oder sonstwie vermarktbar ist, wird gleich gar nicht erst mitgenommen, ob er nun Landesbester ist oder nur Dritter.
Das IOC (oder die FIFA) ist die Pornoindustrie des Sports.
Die übergroße Mehrheit der Zuschauer möchte halt nicht sehen, wie Lieschen Müller sich freut, dabei zu sein und sich bemüht, sondern will Rekorde, Rekorde, Rekorde. Das Fernsehpublikum könnte viel tun, indem es einfach nur ausschaltet, aber es tut es nicht. Brot und Spiele.