In der ARD läuft derzeit wieder die Tour de France und mir wurde das Fahrrad geklaut. Ich bin Schönwetterfahrer, deswegen fiel es mir erst im Sommer auf, als ich es bei den ersten Sonnenstrahlen aus dem Hof holen wollte und das Rad samt Schloss weg war. Die Sommerzeit ist nicht nur Hochsaison für Radrennfahrer, sondern auch für Fahrraddiebe.
Glücklicherweise gibt es eine Werkstatt bei mir um die Ecke, die günstig Räder verkauft. Dort fand ich ein altes Peugeot. Der Laden gehört einem exzentrischen Schrauber, der alte Räder wieder aufmotzt. Der beste Diebstahlschutz, sagte er mir, sind grelle Felgen, man erkennt es einfach zu schnell wieder. Er nebelte mir die Felgen also mit Neon-Spray ein und riet mir, wegen der giftigen Dämpfe den Laden zu verlassen, während er rauchend drinnen blieb. Um mir die Trockenzeit zu vertreiben, holte er noch ein altes Rennrad von der Wand und drückte es mir in die Hand. Ich könne ja mal eine Runde drehen. Mit diesem Rad sei er 1989 bei der Tour de France mitgefahren, erzählte er mir stolz. Eine Maßanfertigung, die damals 15.000 Mark kostete.
Nein, Radprofi war er nie, er hatte sich eingekauft bei einem holländischen Rennstall. Bei dem hatte er einen Fahrer eine Etappe lang vertreten, das falle keinem auf, wenn man sich unauffällig im Mittelfeld halte. Betrügen ist bei der Tour offenbar noch leichter, als ich dachte. Das Rad beschleunigte mit einer Mühelosigkeit, die mir unbegreiflich erscheinen ließ, dass man auf so einem Ding überhaupt noch dopen muss. Doping ist ja ohnehin ein großes Thema im Radsport. Nicht, dass in der
Leichtathletik, beim Schwimmen oder Fußball keine Medikamente im Spiel wären. Aber kein anderer Sport gilt als derart verseucht mit verbotenen Substanzen, weswegen die ARD sechs Jahre lang keine Tour de France mehr übertragen hat.
Dabei gehörte Doping schon immer dazu. In den 20er Jahren zeigten die Fahrer noch stolz ihre Cocktails aus Strychnin, Koffein, Kokain und Alkohol, erst seit den 60er Jahren gab es offizielle Verbote, die aber nicht nur Jan Ullrich und Lance Armstrong ignorierten. Das empört uns Zuschauer, wir wollen, dass ehrliche Leistung belohnt wird. Gleichzeitig lebt der Mythos der Tour davon, dass die Fahrer an die Grenzen des menschlichen Körpers stoßen und sie überwinden, quasi für uns Zuschauer mit.
Was die Jagd nach Grenzerfahrungen heißt, erfuhr ich bei meiner Rückkehr in den Laden. Die Farbe war noch nicht trocken und mit seinem alten Rad in der Hand geriet der Schrauber ins Schwärmen. Er erzählte, wie ihn die Polizei einmal anhielt, weil er im Windschatten eines LKWs mit 90 Stundenkilometern unterwegs war, auf der Autobahn. Auf dem Weg zur Ausfahrt schlug er dem Polizeiwagen auf den Kofferraum, schneller, schneller. Er zeigte mir alte Fotos von sich an der Wand, seine Oberschenkel waren dreimal so dick wie die dünnen Arme. Ich fand es verstörend und faszinierend zugleich.
Wahrscheinlich überträgt die ARD deshalb wieder die Tour. Weil wir Zuschauer Extreme sehen und die Fahrer sie spüren wollen, da ist jedes Mittel recht. Doping erkennt man nur nicht so schnell wie grelle Felgen. Ich verließ den Laden mit meinem alten Peugeot und radelte gemächlich nach Hause. Es sah nach Regen aus und ich wollte nicht nass werden. Ich bin wie gesagt Schönwetterfahrer und kenne meine körperlichen Grenzen. Für alles andere kann man sich die Tour in der ARD anschauen.
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