Unter Null

Linkspartei Die Stimmung beim Gedenktag an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist eisig. Schuld daran ist nicht nur Schneechaos, sondern auch der Streit in der Linkspartei

Es ist Rosas Tag, doch Daisy hat ihn im eisigen Griff. Das Schneetief wirbelt durch den Gedenktag an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Zu DDR-Zeiten kamen einst Zehntausende auf den Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde, um die 1919 ermordeten Kommunistenführer zu ehren. An diesem frühen Sonntagmorgen sind es etwa 200. Ältere Pärchen mit Fellmützen, Enkel mit Großeltern trotten an die Gedenkstätte der Sozialisten. Sie legen rote Nelken auf die frei geschippten Grabplatten. Neuschnee begräbt sie wieder. Aus Boxen schallt süßliche Geigenmusik, während der Schnee fällt und fällt.
„Kälter war es schon einmal, aber dass es schon einmal so viel Schnee gab, daran kann ich mich nicht erinnern“, sagt Gregor Gysi. Auch der Linken-Politiker hat dieses Jahr wieder einen Kranz niedergelegt. Schweigend, mit gesenktem Haupt, wie seine Parteikollegen Lothar Bisky, Petra Pau, Gesine Lötzsch und Dietmar Bartsch. Oskar Lafontaine fehlt. Doch er und der Streit der letzten Tage, um ihn, seine Zukunft in der Partei und sein Verhältnis zu Bartsch, sind allgegenwärtig, auch an diesem Gedenktag.

Frostige Stimmung, nicht nur der Kälte wegen

Nach der Trauerrunde um das Ehrenmal sagt Lothar Bisky in die Fernsehkameras: „Luxemburg und Liebknecht haben heftig miteinander gestritten, aber immer in der Sache.“ Mahnungen, die weniger dem Andenken als den Parteikollegen gewidmet sind. „Linke streiten sich, aber sie denunzieren einander nicht.“ Wohin das führe, habe man im Stalinismus gesehen, sagt er mit eisiger Miene.
Auch Dietmar Bartsch entkommt Lafontaines Geist nicht. Mit dem Handy am Ohr ist er auf dem Weg zu seinem Dienstmercedes. Ein älterer Mann bittet um ein Autogramm, reicht ihm ein Buch. „Ihr Vorsitzender ist auch drin“, sagt der Mann und blättert ein Foto von Lafontaine auf, das er in den Einband geklebt hat. Bartsch schweigt, unterschreibt und geht weiter.
Es ist ein seltsames Gedenken. Die Stimmung ist frostig, nicht nur der Kälte wegen. Es kommen weniger Menschen als im Vorjahr. Selbst die optimistisch schätzenden Veranstalter reden am Ende von 40 000 Besuchern, über den ganzen Tag verteilt. Im Vorjahr sprachen sie von 70 000. Und Gysi denkt laut darüber nach, die Andacht zu einer späteren Uhrzeit beginnen zu lassen. Um am Sonntagmorgen mehr Leute zu locken. Dabei könne man doch so viel von Liebknecht und Luxemburg lernen. „Sie haben aus Überzeugung, nicht aus Kommerz- oder Karrierestreben gehandelt“, sagt Gysi unter seiner Fellmütze. „Ich wünschte mir, mehr junge Menschen würden sich an ihrem Vorbild orientieren.“

Banner im Gegenwind

Doch junge Menschen finden sich kaum am Grabmal. Sie sammeln sich vier Kilometer westlich, zwischen den Bauten der Frankfurter Allee aus der Stalin-Ära, für die jährliche Demo. Dann marschieren sie los. Richtung Friedhof, rote Fahnen schwenkend, durch den braunen Schneematsch. 3000 Demonstranten sind es laut Polizei, 400 weniger als im Vorjahr. Es mag an Daisy liegen, doch auch hier weht ein Hauch von Tristesse. Nur wenige singen, mit Mühe halten die Banner dem eisigen Gegenwind stand.
Die Hoffnung, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise die Massen auf die Straßen treiben würde, hat sich bereits 2009 nicht erfüllt. Heute finden sich auf den Schildern und Transparenten nur vereinzelt Angriffe gegen Finanzspekulanten, dafür viele Evergreens wie „Es gibt keine Alternative zum Sozialismus.“ Es klingt beinahe trotzig.
Und während die Menge Richtung Friedhof zieht, versichert dort Gysi den Umstehenden: „Für mich ist dieser Tag im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden.“ Er hält kurz inne, dann fügt er an: „Aber das mag daran liegen, dass ich immer älter werde.“


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Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

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