Von Leipzig nach Leverkusen

Der Sportsfreund Warum nervt es, wenn man auf die Tabelle der Bundesliga schaut und dort Klubs vorn stehen, die später mit Fußball angefangen haben als man selbst?
Ausgabe 05/2015
Beim Fußball geht es nicht um Leben und Tod – es ist viel ernster: Bill Shankly
Beim Fußball geht es nicht um Leben und Tod – es ist viel ernster: Bill Shankly

Foto: Keystone/Getty Images

Ich könnte jetzt anfangen mit Bill Shankly, einem Trainer des FC Liverpool, der einmal sagte, beim Fußball gehe es nicht um Leben und Tod – es sei viel ernster. Doch das setze ich schon als bekannt voraus. Vielleicht sollte ich aber noch kurz erwähnen, wer ich bin. Gestatten: Dominik Bardow, Sportjournalist und, ja, auch Fan. Ich bin eigentlich Fan jeder Sportart, Hauptsache, ich darf zuschauen. Das klingt faul, aber nur echte Fans wissen, dass sie Sport als Zuschauer viel intensiver genießen und durchleiden als die Sportler selbst, die einfach zu sehr mit ihrem Sport beschäftigt sind.

Dass ich gleichzeitig über Sport berichte und innerlich mitfiebere, macht es nicht einfacher. Ein Fan darf beim Zuschauen schreien, ein Journalist muss schreiben – und den richtigen Ton treffen. Dabei diskutiere ich gern und leidenschaftlich mit anderen Fans. Auch mich nervt es, wenn ich auf die Tabelle der Bundesliga schaue und dort plötzlich Klubs vorne stehen, die später mit Fußball angefangen haben als ich, die irgendein Sponsor oder Unternehmen dort platziert hat wie ein neues Produkt im Regal.

Als ob Tradition, Spielregeln und Fairness keine Rolle mehr spielen. Sobald jemand Geld auf dem Tisch legt, darf er mitspielen. Wenn irgendwann nur noch VW Wolfsburg gegen Red Bull Leipzig spielt oder SAP Hoffenheim gegen Bayer Leverkusen, will ich das nicht mehr sehen.

Neulich saß ich mit einem Freund zusammen, und als er wieder einmal die guten alten Traditionsvereine lobte und auf die Plastikklubs schimpfte, widersprach ich. Vielleicht dachte ich nur wieder wie ein Journalist, der beide Seiten sehen muss. Vielleicht kotzte mich auch einfach diese Scheinheiligkeit an.

Mein Freund ist Fan des FC Schalke, große Tradition seit 1904. Ich fragte ihn, warum in Gelsenkirchen eigentlich Schalke 04 der größte Verein ist und nicht, sagen wir zum Beispiel, der SV Gelsenkirchen. Die Antwort ist bei allen alten Vereinen die gleiche: Weil diese Mannschaften vor rund hundert Jahren angefangen haben, ganz gut Fußball zu spielen – und weil dann ein Sponsor dazukam, der Geld gab und die Regeln missachtete.

Bis in die 60er Jahre mussten Fußballer in Deutschland Amateure bleiben, sie durften kaum Geld mit Sport verdienen. Umgangen wurde diese Regel, seit es sie gab. Spieler bekamen Scheinarbeitsverträge vom Sponsor, wie bei meinem Lieblingsverein, Eintracht Frankfurt. Die Frankfurter Fußballer werden bis heute „Schlappekicker“ genannt, weil die halbe Mannschaft damals offiziell in einer Hausschuhfabrik arbeitete. In Wirklichkeit haben die Spieler trainiert, während andere arbeiten mussten. Oder Geldscheine wurden vor Anpfiff direkt in die Stiefel gesteckt, wie es bei Schalke erzählt wird.

Bis heute wandert Geld aus der Wirtschaft durch dunkle Kanäle zu Vereinen und Spielern. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass sich dafür niemand mehr im Rhein-Herne-Kanal ertränkt, so wie es Schalkes Schatzmeister damals tat, als alles herauskam. Ja, sagte mein Freund, aber in Wolfsburg und Leipzig gehe es nur darum, Autos und Dosengetränke zu bewerben. Gleichzeitig besingt er im Schalker Stadion die Corporate Identity des Bergarbeitervereins, aus einer Zeit, als Zechen noch Sponsoren waren.

Ich will ja niemandem seine geliebten Feindbilder nehmen. Aber diese Argumente: „Wir sind länger hier als die, die gehören nicht dazu.“ Oder: „Nur weil die Geld haben oder international verflochten sind, sollen wir die akzeptieren und wegen denen unsere Gewohnheiten ändern?“ Das erinnert mich an die Zeit, als der Sponsor von Eintracht Frankfurt, ein Jude, 1938 seine Hausschuhfabrik aufgeben musste.

Ein unfairer Vergleich, ich weiß. Es ist ja nur Sport. Und wie gesagt, es geht beim Fußball natürlich nicht um Leben und Tod. Aber es ist schon ernst, verdammt ernst.

Dominik Bardow schreibt in seiner Kolumne für den Freitag regelmäßig über sportives Privatvergnügen

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Dominik Bardow

Autor des Freitag

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden