Joboffensive im Popsektor

Eventkritik Die Leipziger Indie-Messe war von der Frage bestimmt: Ausverkauf oder Haltung wahren? Und was ist Indie eigentlich heute - eine Chiffre für die Suche nach Orientierung?

Freitag, kurz vor 17 Uhr, der Pressebetreuer einer riesigen Plattenfirma ruft an. Ob man Lust habe, am Sonntag Björn zu lauschen. Björn? Ja, Björn Dixgård, Sänger von Mando Diao, gebe ein Geheimkonzert in Berlin, aber man könne auf die Gästeliste, man müsse nur jetzt Ja sagen. Man sagt Nein und erklärt, dass man das Wochenende lieber auf der Musikmesse Pop Up in Leipzig verbringen werde. Verschämt knödelt es durch die Leitung: „Pop Up?“ Ach so, ja, davon habe er schon mal gehört, aber falls man auf die Gästeliste bei Björn, wie gesagt, man müsse nur Ja sagen, top secret.

Mando Diao waren mal Indie. Vor sieben Jahren kannte die schwedische Band nur, wer in Kontakt mit schwedischen Musikexperten stand. Dann liehen sie einer Mobilfunkfirma für deren Werbung einen Song und enterten über Nacht die Rotationen der Formatradios. Heute bespielen sie von Sponsoren getaufte Multifunktionsarenen und ziehen den Fans rund 40 Euro pro Ticket aus der Tasche – für einen Stehplatz. Ist das noch Indie? Oder schon sein Ausverkauf? Sein Tod?


„Ich verstehe diese Dramatisierung nicht“, sagt Dr. Kai-Uwe Hellmann, Soziologe an der TU Berlin, „ein Ausstieg aus dem sogenannten Ausverkauf ist doch möglich.“ Hellmann sitzt unter der imposanten Betonkuppel des Volkspalastes auf der Alten Messe. Zum ersten Mal fand die Pop Up vergangenes Wochenende hier statt. Der alte Veranstaltungsort, das Werk II, sei zu klein geworden, erklären die Organisatoren. Außerdem wolle man, einem klassischen Popmechanismus folgend, neue Räume besetzen. Fremdes Terrain ist der Volkspalast in der Tat. Normalerweise tanzen hier jedes Wochenende Tausende zu Scooter und Sven Väth. Berührungsängste, zumal mit großen Getränkefirmen, kennt man nicht. Die familiäre Enge des Werk II allerdings auch nicht. 3.200 Leute passen in den Palast.

Und so wirkt das Podium, auf dem Soziologe Hellmann und seine fünf klug ausgewählten Mitstreiter lümmeln, angenehm verloren in der Weite der Kuppel. So verloren wie die Diskutanten beim Thema des Podiums gelegentlich sind: „One for the money, two for the show – Namebranding im Musikgeschäft“. „Ich bin orientierungslos“, ruft urplötzlich und sehr erregt Thomas Mahmoud, der Ex-Sänger der Band Von Spar, in die Runde: „Hey, wir reden hier über langweilige Musik! Das Problem ist aber ein strukturelles.“ Auweia, Mahmoud scheint das große Ganze im Kopf zu haben: die Ausbeutung aller ehrbar Schaffenden durch teuflische Unternehmen. Kann das gut gehen? Es kann. Denn Mahmoud betrachtet das Problem nicht so abgeklärt wie der außenstehende Hellmann und nicht so affektiert, im gruseligen Marketing-Sprech vorgetragen wie Marcel Engh, der bei Sony- BMG für das Zusammenführen von Stars und Marken zuständig ist. Nein, Mahmouds juvenile Emphase paart sich mit Weitsicht, die ihn zwar bedauern lässt, dass „Musiker Projektionsflächen für Marketingkonzepte“ sind. Letztlich müsse aber jeder selbst entscheiden, „worauf er Bock hat“: Ausverkauf oder Haltung wahren.

Mahmouds Sitznachbar Frank Spilker hatte einst Bock und sich entschieden, mit seiner Band Die Sterne für die Jägermeister Rock Liga aufzulaufen. „Eine plumpe Veranstaltung“, gesteht er, mit der die belastete Schnapsmarke vom Ruf cooler Indiebands profitieren möchte. Aber die wirtschaftliche Entwicklung zwinge manche Bands eben zu solchen Kooperationen. Gut findet Spilker das freilich nicht und fordert, unter Applaus, Hilfe durch den Staat ein: „Der Indiebereich ist förderungswürdig!“

Rufe nach Staatsknete kommen in der Regel, wenn alles zu spät und der Patient kurz vorm Abnippeln ist. Schlenderte man über die Messe, musste man diese Diagnose mit Blick auf Indie allerdings teilweise revidieren: Der Patient lebt! Indie ist längst nicht mehr nur bierseliger Indierock, „das Nebenprojekt des Rock’n’Roll-Projekts“ (Frank Spilker), um den es so schade ohnehin nicht wäre. Indie ist auch, davon künden unter anderem die zahlreichen Modeblogs, kein Synonym mehr für eine inhaltlich heterogene, sich ausschließlich bei einer schwedischen Kette einkleidende Peer Group.

Selbstverwaltetes Riesenpraktikum

Indie ist vor allem eine Chiffre für eine kreative, innovative Arbeitsbeschaffungs- und Kleingelderwerbsmaßnahme für junge, gut ausgebildete Grafiker, Webdesigner, Tontechniker, Journalisten, ein paar Vertriebler und natürlich Musiker. Ein selbstverwaltetes Riesenpraktikum, das für Kost und Logis zahlt. Berlin, könnte man meinen, müsste demnach die Hauptstadt des Indie sein. Ist es aber nicht. Deutlich lesbare Spuren von Indie finden sich im ganzen Land, in Greifswald, Regensburg, Aue, Leipzig oder Münster. Dank der hohen Internetaffinität führen die Pfade auch ins nahe und ferne Ausland, was man den Katalogen der auf der Pop Up ausstellenden Plattenfirmen und Bookingagenturen eindrücklich entnehmen kann.

Indie, das wird in Gesprächen mit einigen der rund 100 Ausstellern klar, hat aber auch nicht mehr die Anziehungskraft wie noch vor zwei, drei Jahren. Kaum ein Stand in dem weitläufigen Rundgang um die Kuppel leidet während der Messe an Überfüllung, kaum ein Aussteller, der nicht leise vermutet, es seien dieses Jahr weniger Besucher und Aussteller gekommen. Ist die Wirtschaftskrise auch hierfür verantwortlich? Laut Veranstalter kamen genau so viele Besucher wie im vergangenen Jahr: 2.000. Kontrovers anmutende Panels wie jene zu Gender Mainstreaming oder der bösen GEMA blieben dennoch erschreckend harmlos. Ja, mitunter spülte einen der klebrig-süße Konsens einiger Diskutanten raus an die frische Luft.

Am Ende ist Indie also vor allem ein Begriff für etwas, das nach Orientierung sucht und sich dabei ziemlich schamlos an allen möglichen Töpfen labt, ohne an Gewicht zuzulegen. Energiegeladen sieht anders aus. Spät in der Nacht trifft man einige der Aussteller auf der Abschlussparty im einstigen Vorzeigeindieschuppen Leipzigs, dem Ilses Erika. Sie tanzen zu Techno.

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