Wir brauchen keinen Bono ...

Eventkritik ...wir haben eine elfengleiche Leslie Feist und viele andere Indie-Musiker, die sich im Kampf gegen HIV engagieren. Zum Beispiel mit einem großartigen Konzert in New York

Es gibt ja seit Kurzem diese fiese Schweinegrippe, von der manche alte Männer und junge Frauen im US-amerikanischen Fernsehen derzeit gerne behaupten, sie sei vergleichbar mit AIDS, strukturell, so abstammungstechnisch irgendwie jedenfalls, you know? Und dass man deswegen am besten die Grenzen zu Mexiko dicht machen und alle, die das Land doch betreten dürfen, durch Desinfizierwannen jagen sollte, so wie man früher auch alle Einwanderer auf Herz und Nieren durchgecheckt habe, just to be on the safe side. Man will sich ja nichts einfangen, in diesem großartigen Land, in dem manchmal alles so hübsch einfach sein könnte, ließe man nur die machen, die meinen zu können.

Nun weiß man, dass seit Anfang des Jahres die schlimmsten aller Besserwisser vom Dienst außer Dienst sind und vor allem weiß man: Dass sich das HI-Virus nicht von Desinfizierwannen aufhalten lässt, sondern allenfalls durch Kondome. Damit diese nur scheinbare Binse weiter gestreut wird, hat ein gewisser John Carlin vor 20 Jahren die Organisation Red Hot gegründet: "Mit 20 Projekten haben wir seither rund 10 Millionen Dollar gesammelt", verkündete Carlin am vergangenen Sonntag stolz den 6.000 Gästen der Geburtstagssause seiner Firma. Als kleines musikalisches Rahmenprogramm seiner Feier in der bescheidenen Hütte Radio City Music Hall in New York City hatte sich Carlin die Indierockband The National bestellt. Und Feist. Und Bon Iver. Und den Ex-Talking Head David Byrne.

Ganz nebenbei bewarben die Musiker dabei den schon im Februar erschienenen spektakulären Sampler "Dark was the night", dem 20. Projekt von Red Hot. Dass Sampler und Geburtstagsfeier so spektakulär gerieten, lag vor allem in der völligen Abwesenheit von Bono. Weder steuerte der U2-Sänger einen Song bei, noch taucht er als Produzent der Platte auf noch störte er die Geburtstagsfeier mit einer Videobotschaft und seiner blauen Brille. Man muss schon an die Anfänge der Red Hot-Geschichte zurückgehen, um doch noch auf den Namen des Live-8-Organisators zu stoßen.

Für die Doppel-CD und den guten Zweck dahinter haben die beiden Produzenten Aaron und Bryce Dessner einige ihrer Freunde und Kollegen gebeten, exklusive Songs einzuspielen. Und ist es nicht schöner, zeitgemäßer und auch musikalisch um Längen spannender, wenn man The Decemberists, Chan Marshall a.k.a Cat Power, Jose Gonzalez oder Benjamin Gibbard von Death Cab For Cutie zu seinen Freunden zählen kann statt Paul McCartney, Mariah Carey und Bryan Adams?

Ist es nicht angenehmer, wenn einige dieser Freunde – siehe oben – auch Zeit haben, ihre Songs unprätentiös, will heißen: ohne großen Buden- und Politikerzauber, ihren Fans zu präsentieren wie in der Radio City Music Hall? Das zu tun, wofür man sie mag und schätzt, nämlich im besten Sinne chartuntaugliche Musik zu machen und das sehr gut?

Ja, ja, ja, das ist es. Keine Sekunde lang gab es am Sonntagabend Grund, sich nach Bono, Bob Geldof und ihren gigantomanischen Events zu sehnen. Kein Cent der mit 50 Dollar vergleichsweise günstigen Tickets, dem man hintergeweint hätte. Kein Politikergesicht, das man vermisst hätte. Stattdessen die herzzerreißende Stimme von Justin Vernon, Kopf und Sänger von Bon Iver, die elfengleiche Leslie Feist, der National-Brummbär Matt Berninger. Oder der menschliche Springball Sharon Jones, der den weißen Indiekids am Ende des Abends mal eben schnell zeigte, dass Betroffenheit und gesenkte Köpfe nur eine Variante des Kampfes gegen AIDS und HIV sind, Soul und Lebensfreude die andere.

Sind Indierocker und -popper, sind Musiker, die nicht auf Du und Du sind mit den Mächtigen, am Ende die glaubwürdigeren Advokaten dieses Kampfes? Vielleicht, ja. Aber ihre Reichweite ist klein, die Zahl ihrer verkauften Alben, im Vergleich zu den Live-8-Künstlern, gering. Nicht zuletzt sind ihre Fans eher diejenigen, "die sich für 10 Euro ein szenegerechtes Outfit kaufen können", wie der Sänger der Berliner Band Tomte einmal bei einem Konzert sagte. Aber es sind eben auch die, die noch Sex haben und sich mit dem Computer auskennen – einem der stärksten Mittel, um Bewusstsein zu schaffen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden