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Plädoyer für ein Transgender-Mainstreaming Gender-Mainstreaming hat das Ziel, die Benachteiligung von Menschen aufgrund von Geschlecht zu vermindern oder gar abzuschaffen. Das ist gut und ...

Gender-Mainstreaming hat das Ziel, die Benachteiligung von Menschen aufgrund von Geschlecht zu vermindern oder gar abzuschaffen. Das ist gut und schön und führt auf der sehr konkreten Ebene sicher zu einigen Erfolgen. Auf der übergreifenden Ebene aber muss es scheitern. Das wesentliche Hindernis für das Gelingen des Gender-Mainstreaming ist sein Prinzip: Die unbedingte Unterscheidung von Männern und Frauen und damit automatisch das grundsätzliche Gleichmachen "der" Frauen insgesamt beziehungsweise "der" Männer insgesamt.

In der Freitag-Debatte um Gender-Mainstreaming (s. Freitag 43/05) haben die Mitarbeiterinnen des Berliner GenderKompetenzZentrums Jutta Kühl und Petra Ahrens zwar behauptet, genau das zu vermeiden, sie verkennen aber, dass dieses Gleichmachen der Geist des Gender-Mainstreamings ist. Er hat seine Wurzeln in den politischen Forderungen der Frauenbewegung, die der Benachteiligung von Frauen im institutionellen Bereich entgegenwirken will. Zweifellos: "Gleichstellungspolitik" ist wichtig, weil wir nach wie vor häufig einer automatischen "Ungleichstellungspolitik" unterliegen! Wer aber die Differenzierung und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht abschaffen und Gleichberechtigung und gleiche Chancen aller erreichen will, muss sich von der grundsätzlichen "Diskriminierung", das heißt von der Unterscheidung auf der Basis "der" Geschlechter verabschieden!

Die unbedingte Geschlechter-Unterscheidung fordert die Ausprägung von Männlichkeit bei der einen und von Weiblichkeit bei der anderen Hälfte der Gesellschaft, ein Identifizierungs- und Lernprozess, der Denken und Verhalten prägt und - in viel größerem Ausmaß - über Anforderungen, Chancen und Möglichkeiten im gesellschaftlichen, politischen, beruflichen Leben bestimmt. Die Unterscheidung behindert die Menschen und zwängt sie in eine enge Logik, auch diejenigen, die anscheinend bruchlos Teil des Mainstreams sind, weil sich alle - gewollt und ungewollt, bewusst und unbewusst - daran orientieren. Entsprechend geraten alle, wenn auch in sehr unterschiedlicher Intensität und Sichtbarkeit, damit in Konflikt.

Ein wirklich wirksames Konzept müsste die Grundlage von - zum Beispiel arbeitspolitischen - Maßnahmen prüfen, und es müsste fragen, welche Konsequenzen diese für die Unterscheidung, das heißt Diskriminierung von Menschen nach den Kriterien von Geschlecht haben. Wo Maßnahmen aufgrund der Unterscheidung "der" Geschlechter erfolgen, müsste es nach den Konsequenzen dieser Vergeschlechtlichung fragen. Dieses Konzept würde nicht dem vorgefertigten Blick von Gender folgen, es würde ihn eher verfolgen. Es wäre ein Transgender-Mainstreaming.

Hier lautet die Frage: Womit wird vergeschlechtlicht und wie? Der Vorteil für die Praxis, die gegenwärtig ohne "die" zwei Geschlechter überhaupt nicht denkbar ist, wäre der, dass sich die Aufmerksamkeit auf die Zuordnung zu Weiblichem und Männlichem zwar richten kann, aber nicht muss.

Der Blick jenseits der Geschlechter(zuordnungen) ist trans-gender-mainstream. Nehmen wir ein Beispiel: Eine Gender-Mainstreaming-Checkliste des Familienministeriums schlägt vor, die ausgewogene Präsenz "der" Geschlechter durch die Berücksichtigung der Lebensschilderungen von Männern und Frauen zu erreichen. Hier fehlt etwas: weitere Gruppen müssten berücksichtigt werden und die Lebensschilderungen dürfen nicht als "weibliche" und "männliche" Lebenssituationen interpretiert werden! Ausgewogenheit heißt, verschiedene Situationen zu berücksichtigen, nicht, sie Gruppen zuzuordnen und Identitäten zu verfestigen!

Während Gender-Mainstreaming prüft, welche Auswirkungen bestimmte Maßnahmen auf Frauen/Männer haben, würde Transgender-Mainstreaming sie darauf hin überprüfen, wie sie Frauen und Männer "herstellen". Transgender-Mainstreaming würde Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Kriterium analysieren, ob sie auf einer Geschlechterlogik aufbauen, beziehungsweise ob und wie sie diese fortsetzen.

Ein anderes Beispiel: Beim Thema Stiefkind-Adoption und Eingetragene Partnerschaft war in der lesbischen Diskussion häufig von "Co-Mutterschaft" die Rede. Die Vergeschlechtlichung der Mit-Elternschaft macht aus einer scheinbar objektiven Situation zugleich eine Konstruktion von Mutterschaft als Weiblichkeit oder umgekehrt. Die gegenwärtig überwiegende Zuständigkeit von Frauen für Kinder wird damit fortgesetzt und fortgeschrieben.


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