Europa ist in der Dauerkrise. Der scheinbar verschärfte Sprachgebrauch der Politik ist in Wirklichkeit eine ständige Wiederholung der immer gleichen Äußerungen: Es wird uns allen an den Kragen gehen, wenn wir nicht sofort etwas ändern! Aber wer ändert etwas an der Situation, in der sich die Europäische Union derzeit befindet? Während die linke Seite der Parlamente zunehmend in Selbstmitleid aufgrund der immer weiter schwindenden Wählerinnen und Wähler versinkt, schafft es die politische Rechte eine wachsende Wählerschaft mithilfe der Wirkung von Affekten auf ihre politische Seite zu bringen. „Ein Gespenst geht um in Europa“ - aber anders als zu Zeiten Friedrich Engels und Karl Marx´ ist es nicht der Kommunismus, der als Sorgenfalte im Gesicht der bürgerlichen Mitte erscheint, sondern ein rechtskonservativer Populismus, der Staaten wie Ungarn an den Rand der Demokratie zwingt - und zugleich viele hunderttausende Menschen für völlig unterschiedliche Ziele auf die Straße bringt. Es ist die Zukunftsungewissheit einer ganzen Generation, die derzeit auf den Straßen der europäischen Städte verhandelt wird.
Wer gewinnt die Jugend?
Aber auch auf den Straßen lassen sich zwei grundverschiedene Perspektiven herausarbeiten: Während auf der einen Seite ein unbändiger Wille nach Identität junge Menschen in völkisch-nationale Hände treibt, ist es eine aufbegehrende Schülerschaft, die sich aus den Händen klimafeindlicher Positionen befreien möchte. Beiden jungen - und gleichsam neoliberal gewachsenen - Generationen, die quasi parallel in ein und derselben Gesellschaft leben, ist die jeweils eigene Zukunft wichtig: Wohin mit mir in einer Gesellschaft globaler Prozesse, Probleme, Herausforderungen und Chancen? In welcher Welt - Schrägstrich: Gesellschaft - möchte ich leben? Wo bin ich zuhause? Und wen wünsche ich mir in meiner Nachbarschaft?
Viele Antworten auf diese Fragen kommen aus einer bürgerlichen Posaune der Überheblichkeit. Als hätte die „alte“ Generation nichts aus der sagenumwobenen Politikverdrossenheit junger Menschen gelernt, missachtet sie deren Signale auf den Straßen ebenso wie die Anzeichen ihrer Radikalisierung nach Rechts. Stattdessen wird darauf vertraut, man habe zumindest „Profis“ (Christian Lindner) in der Hinterhand, die sich jenen Zukunftsfragen zu stellen wissen. Andere vertrauen nicht einmal mehr dem Expertenwissen, sondern verfallen gleich einer postfaktischen Borniertheit, deren Auswüchse jenseits des Atlantiks ein schauderhaftes Beispiel zur Verfügung stellen. Die Zukunftsungewissheit der zunehmend wütenden jungen Europäerinnen und Europäer wird mit einer rhetorisch sicheren und dennoch inhaltlich wackeligen Zukunftsgewissheit der Parlamentsmitglieder beantwortet. So manche Jugendliche sieht die Parlamente (und vor allem das Europäische) als eine Art Raumschiff, dass kurz davor ist einfach abzuheben und einen kränkelnden Planeten mitsamt aller Bewohnerinnen und Bewohnern einfach zurücklässt.
Europawahlen entscheiden die Zukunft
Wenn im Mai die Europawahlen anstehen, dann geht es um nichts anderes als die Anerkennung der Teilhabe einer jungen Generation. Die rechtsnationalen Kräfte haben diese mächtige Stärke längst erkannt und sind damit der parlamentarischen wie auch der außerparlamentarischen Linken wie so häufig weit voraus. Die Identitäre Bewegung ist ein Netzwerk, dass längst die YouTube-Kanäle und Facebook-Blasen verlassen hat und auf Stimmenfang für die jeweiligen europafeindlichen Parteien in Deutschland, Österreich und Italien geht. Daran ändern auch politische Eintagsfliegen wie die „Aufstehen“-Bewegung oder neue proeuropäische Formationen wie die Bewegung DIEM25 um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis nur wenig. Annegret Kramp-Karrenbauer, Manfred Weber und Markus Söder haben in einem Gastbeitrag in der FAZ (15.02.2019) proklamiert, man müsse „Europa richtig machen“. Die Sozialdemokratie antwortet „Europa ist die Antwort“. Doch bevor wir eine Antwort erhalten oder jemand aus leichtgläubiger Überheblichkeit gar zu wissen glaubt, wie es richtig zu gehen habe, muss Europa die richtigen Fragen stellen und vor allem müssen die Fragen der vornehmlich jungen Menschen endlich zugelassen und ernst genommen werden. Denn wenn die Millionen Menschen, die zu unterschiedlichen Themen derzeit auf die Straße gehen (Brexit, Urheberrechtsreform, Klima), in den Entscheidungen der Parlamente nicht berücksichtigt werden, dann ist dies keine konsensbildende Offerte der bürgerlichen Parteien an die Skeptikerinnen und Skeptiker jener Demonstrationen, sondern ein Affront gegenüber einer wissenden Wählerschaft, die laut und deutlich die Stimme erhebt. Wir können nur hoffen, dass die Wut der Straße nicht in ablehnenden Trotz an an der Wahlurne umschlägt. Denn dies würde ein Ende des Europas bedeuten wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten lieben gelernt haben.
Kommentare 4
Danke für den Beitrag.... Hier noch eine Stimme aus dem Blaetterwald:
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2019/april/greta-gegen-akk-die-republik-in-bewegung
"Denn dies würde ein Ende des Europas bedeuten wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten lieben gelernt haben."
Haben wir das? Welches soll das denn sein?
Ist es das Europa, was ungewählt, antidemokreatisch alles über einen Kamm schert? Ist es das, was Macron dazu bewegt, das zu tun was er tut, nämlich Skifahren während die Bürger dafür diskreditiert werden, dass man ihnen nicht zuhört, dass sie sich Gehör verschaffen müssen, dass sie auf die Straße gehen müssen, weil sie von diesem Europa eben nicht repräsentiert werden? Ist nicht Macron das Paradebeispiel für den Hardcore Maastrichter, der die europäischen Kapitalinteressen vertritt, aber die Bürger nur tritt - mit nie dagewesener Gewalt?
Sie müssen uns schon aufschreiben, welches Europa wir angeblich "lieben gelernt haben". Ist es nicht eher so, dass wir es mit der Zeit zu recht hassen gelernt haben, weil es "uns", dem Allgemeingut und der sozialen Struktur willentlich schadet.
Sind Sie vielleicht blind auf dem einen Auge, das nicht sehen will, dass die EU-Politik gnadenlose Finanz- und Marktwirtschaft ist, die jede noch so rudimentäre menschlichen oder ethische Haltung dogmatisch negiert?
Ich nenne das was die EU macht inhumanen Kulturnihilismus. Und wenn nun die Menschen auf der Straße sind, dann fordern sie das Ende dieser Entwicklung und ganz sicher ein anderes Europa, eins, was von dieser Kommission der Banker nicht zu haben sein wird. Und daher ist Ihre These vom Zuhören oder gar der Zustimmung, dem Folgen der Protestierenden durch eine Partei , die deswegen angeblich gewinnen würde oder könne, weil sie genau das tut, ein naiver Idealismus oder eine müde Campagnenestrategie, um anzuwiegeln.
Nein, auf den Manifestationen allerorts wird vielmehr in Varianten die Systemfrage gestellt, denn all dass, was gefordert oder kritisiert wird sind folgen der Systemlogig, welche vorwiegend von dieser EU gepflegt und erzwungen wird. Das hat man mitlerweil verstanden - auch auf der Straße. Und da hilft weder elitistische Verachtung, wie in FR, noch opportunes Gekrieche und saure Heuchelei wie in DE.
Und damit Sie mich nicht falsch verstehen, es geht mir nicht um Nationalismus oder ähnlich ideologischen Unsinn. Es geht um ein demokratisches Europa, das wir nicht haben, denn sonst wäre niemand auf der Straße. Auf der Starße sind die, wenn sie mich fragen würden, die dieses Europa eben nicht lieben gelernt haben, weil sie von ihm ignoriert werden - udn zwar aus Prinzip.
Wer der Jugend zuhört, gewinnt die Wahl. Das mag schon stimmen, nur zuhören und Wahl gewinnen ändert garnichts. Die oben machen so weiter wie bisher und stören sich einen Dreck an ihren vorher abgelassenen Wahlversprechen. Auch wenn die Politiker es sogar ehrlich meinten, was sollen die denn tun? Sie sind in ihrem Beitrag selbst widersprüchlich und das gleich einen Satz später. Auch die Jugend geht für verschiedene Ziele, verschiedene Lebensentwürfe auf die Straße, auch das ist deren Recht. Frau Merkel und 7Co. bauchpinseln schnell mal die 15 bis 20 Jährigen Jugendlichen. Damit ist dem Kreischalarm schonmal die Spitze gebrochen. Es wird sich bald ausgekreischt haben, auch weil dieser Aktion jeglicher Sachverstand abgeht. Diese Jugendlichen haben 1/4 bis 1/5 ihrer Lebenserwartung in unübertreffbarer Komfortzone verbracht. Von der Wegwerfbabywindel, Kiga, Schule, Uni, Muttitaxi und alles, was um sie und uns herum nicht Natur ist, aber unter CO2 - Emission entstanden ist und eben nicht nur zum Eigennutz der alten Säcke, haben sie genutzt. Das gilt es für sie zu realisieren! Gut, zu Anfang wurde ihnen das "aufgedrückt", aber jetzt müssen sie erkennen und handeln und das heißt sehr sicher Verzicht. Die Welt für uns 2 Milliarden hier ist eine ganz andere als für den großen "Rest"!
Das Thema Klimaschutz ist nur eines, das geht weiter mit Urheberrecht, unsere Rechtsnormen und Vorstellungen z. B. davon, mit wem und wie wir zusammenleben oder als Nachbar leben wollen. Tiefergründiges Nachdenken setzt auch hier oder sollte mindestens dann einsetzen, wenn jemand mein geistiges Eigentum ungefragt und unentgeltlich nutzt, ich aber von davon leben muss oder in meinem Vorgarten ungefragt sein Zelt aufstellt u. a.
||| Denn dies würde ein Ende des Europas bedeuten wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten lieben gelernt haben. |||
Eigentlich habe ich dieses Europa neoliberaler Exzesse zunehmend fürchten gelernt.