Europas Krise? Europas Jugend!

Europawahl Es ist die Zukunftsungewissheit einer ganzen Generation, die auf den Straßen der europäischen Städte verhandelt wird. Wer den jungen Menschen zuhört, gewinnt die Wahl

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Schülerproteste in Berlin am 29. März
Schülerproteste in Berlin am 29. März

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Europa ist in der Dauerkrise. Der scheinbar verschärfte Sprachgebrauch der Politik ist in Wirklichkeit eine ständige Wiederholung der immer gleichen Äußerungen: Es wird uns allen an den Kragen gehen, wenn wir nicht sofort etwas ändern! Aber wer ändert etwas an der Situation, in der sich die Europäische Union derzeit befindet? Während die linke Seite der Parlamente zunehmend in Selbstmitleid aufgrund der immer weiter schwindenden Wählerinnen und Wähler versinkt, schafft es die politische Rechte eine wachsende Wählerschaft mithilfe der Wirkung von Affekten auf ihre politische Seite zu bringen. „Ein Gespenst geht um in Europa“ - aber anders als zu Zeiten Friedrich Engels und Karl Marx´ ist es nicht der Kommunismus, der als Sorgenfalte im Gesicht der bürgerlichen Mitte erscheint, sondern ein rechtskonservativer Populismus, der Staaten wie Ungarn an den Rand der Demokratie zwingt - und zugleich viele hunderttausende Menschen für völlig unterschiedliche Ziele auf die Straße bringt. Es ist die Zukunftsungewissheit einer ganzen Generation, die derzeit auf den Straßen der europäischen Städte verhandelt wird.

Wer gewinnt die Jugend?

Aber auch auf den Straßen lassen sich zwei grundverschiedene Perspektiven herausarbeiten: Während auf der einen Seite ein unbändiger Wille nach Identität junge Menschen in völkisch-nationale Hände treibt, ist es eine aufbegehrende Schülerschaft, die sich aus den Händen klimafeindlicher Positionen befreien möchte. Beiden jungen - und gleichsam neoliberal gewachsenen - Generationen, die quasi parallel in ein und derselben Gesellschaft leben, ist die jeweils eigene Zukunft wichtig: Wohin mit mir in einer Gesellschaft globaler Prozesse, Probleme, Herausforderungen und Chancen? In welcher Welt - Schrägstrich: Gesellschaft - möchte ich leben? Wo bin ich zuhause? Und wen wünsche ich mir in meiner Nachbarschaft?

Viele Antworten auf diese Fragen kommen aus einer bürgerlichen Posaune der Überheblichkeit. Als hätte die „alte“ Generation nichts aus der sagenumwobenen Politikverdrossenheit junger Menschen gelernt, missachtet sie deren Signale auf den Straßen ebenso wie die Anzeichen ihrer Radikalisierung nach Rechts. Stattdessen wird darauf vertraut, man habe zumindest „Profis“ (Christian Lindner) in der Hinterhand, die sich jenen Zukunftsfragen zu stellen wissen. Andere vertrauen nicht einmal mehr dem Expertenwissen, sondern verfallen gleich einer postfaktischen Borniertheit, deren Auswüchse jenseits des Atlantiks ein schauderhaftes Beispiel zur Verfügung stellen. Die Zukunftsungewissheit der zunehmend wütenden jungen Europäerinnen und Europäer wird mit einer rhetorisch sicheren und dennoch inhaltlich wackeligen Zukunftsgewissheit der Parlamentsmitglieder beantwortet. So manche Jugendliche sieht die Parlamente (und vor allem das Europäische) als eine Art Raumschiff, dass kurz davor ist einfach abzuheben und einen kränkelnden Planeten mitsamt aller Bewohnerinnen und Bewohnern einfach zurücklässt.

Europawahlen entscheiden die Zukunft

Wenn im Mai die Europawahlen anstehen, dann geht es um nichts anderes als die Anerkennung der Teilhabe einer jungen Generation. Die rechtsnationalen Kräfte haben diese mächtige Stärke längst erkannt und sind damit der parlamentarischen wie auch der außerparlamentarischen Linken wie so häufig weit voraus. Die Identitäre Bewegung ist ein Netzwerk, dass längst die YouTube-Kanäle und Facebook-Blasen verlassen hat und auf Stimmenfang für die jeweiligen europafeindlichen Parteien in Deutschland, Österreich und Italien geht. Daran ändern auch politische Eintagsfliegen wie die „Aufstehen“-Bewegung oder neue proeuropäische Formationen wie die Bewegung DIEM25 um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis nur wenig. Annegret Kramp-Karrenbauer, Manfred Weber und Markus Söder haben in einem Gastbeitrag in der FAZ (15.02.2019) proklamiert, man müsse „Europa richtig machen“. Die Sozialdemokratie antwortet „Europa ist die Antwort“. Doch bevor wir eine Antwort erhalten oder jemand aus leichtgläubiger Überheblichkeit gar zu wissen glaubt, wie es richtig zu gehen habe, muss Europa die richtigen Fragen stellen und vor allem müssen die Fragen der vornehmlich jungen Menschen endlich zugelassen und ernst genommen werden. Denn wenn die Millionen Menschen, die zu unterschiedlichen Themen derzeit auf die Straße gehen (Brexit, Urheberrechtsreform, Klima), in den Entscheidungen der Parlamente nicht berücksichtigt werden, dann ist dies keine konsensbildende Offerte der bürgerlichen Parteien an die Skeptikerinnen und Skeptiker jener Demonstrationen, sondern ein Affront gegenüber einer wissenden Wählerschaft, die laut und deutlich die Stimme erhebt. Wir können nur hoffen, dass die Wut der Straße nicht in ablehnenden Trotz an an der Wahlurne umschlägt. Denn dies würde ein Ende des Europas bedeuten wie wir es in den vergangenen Jahrzehnten lieben gelernt haben.

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