Alles Verräter!

Rot gegen Rot Grass wirft Lafontaine Verrat an der SPD vor. Er macht inhaltlich einen Fehler und beweist, dass ihm bei politischen Themen das abstrakte Denken kaum noch gelingt

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Die guten alten Zeiten
Die guten alten Zeiten

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Günter Grass liebt es anzuecken. Das macht seinen Charme und seine Attitude aus. Er spricht aus, was sich andere nicht trauen. Das kann man Charakteristik oder Übermut im Alter nennen. Friedensnobelpreis für Schröder! Das forderte er 2005. Sicherlich sahen das damals wie heute die Angehörigen der tausenden toten Soldaten der Kriege im Kosovo und in Afghanistan anders. Aber die hat man nicht gefragt.

Die Beziehung zwischen Altkanzler Schröder und dem Schriftsteller Günter Grass ist von Loyalität geprägt. Auf Schröder kann niemand verzichten“,hat der damalige Wahlkämpfer von Willy Brandt mal im Interview mit der ZEIT gesagt. Weit gefehlt. Auch Dichter können irren. Grass, der selber einen Nobelpreis besitzt, weiß ganz genau wer seine Freunde sind. Und die Feinde der Freunde werden ebenfalls zu den eignen Feinden. Völlig klar, dass sich Oskar Lafontaine im Visier des 85. Jährigen befindet. Dann wird selbst der legitimste Vorgang in einem demokratischen System, der Wechsel der Partei, zu einem Verrat. Immerhin verkaufen sich so Sprüche ja auch wahnsinnig gut. Das beweist, dass alte Sprichwörter manchmal zutreffen: Der König liebt den Verrat, nicht den Verräter.

Man hätte dem Saarländer nur zu Gelassenheit raten können. Bloß nicht persönlich werden! Es gelang ihm nicht. „Grass bekommt viele Dinge nicht mehr mit“, ließ er sich entlocken. Dabei war seine eigentliche Argumentation unsäglich präzise. Wo ist der Verrat, wenn man den Verratenden die Hand reicht? Die Linke ist im parlamentarischen System ein klarer Außenseiter. Keiner will mit ihr reden, niemand koalieren. Das riecht nach Verrat. Auch wenn Lafontaine für eine Linke steht, die sich naturgemäß von der Sozialdemokratie absetzten will, ist das nicht unaufrichtig sondern demokratisch. Egal wie man dazu steht. Nota bene: Grass hat seine Prinzipien. Doch wem Loyalität wichtiger ist als Demokratie, der steht auf historisch verdorrtem Land. Da kann ihm auch Schröder nicht mehr helfen.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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