Es ist der Abend vor der Räumung. Rund um die „Köpi“ hat die Polizei am Nachmittag eine „rote Zone“ errichtet, die nur Anwohner und Journalisten betreten dürfen. Es gibt ein Demonstrationsverbot: Soll ja alles glattgehen morgen. Rein ins Sperrgebiet, wo laute Punk-Musik aus den offenen Fenstern des Gebäudes schallt. „Haut die Bullen platt wie Stullen“, tönt es aus den Lautsprechern, dann spielt plötzlich einer Posaune, dann wird ein Feuerwerk von dem verrammelten Gelände aus in die Luft geschossen. Die linke Szene ist sauer, will kämpfen – um eines ihrer letzten alternativen Wohnprojekte in der Stadt. Ob ich mal anklopfe bei denen? „Würde ich Ihnen nicht empfehlen“, sagt ein Polizist, „
Auf zum letzten Gefecht
Berlin Die Polizei räumt den Bauwagenplatz des legendären Wohnprojekts „Köpi“. Eine Reportage darüber, wie die Stadt ihre letzten Freiräume verliert
22;wenn, dann nur auf eigene Gefahr.“ Die Autonomen da drin seien gewalttätig und ich mit meinem Mantel nicht gerade „szenetypisch“ gekleidet: „Wir können da für nichts garantieren.“Also erst mal rauf und runter über die leer gefegte Köpenicker Straße, vorbei an der vier Meter hohen Barrikade, die der harte Kern der Köpi-Unterstützer als Schutzwall vor der Polizei errichtet hat. Dann ein Anruf beim Anwalt des Projektes: Hauen die mir eine rein, wenn ich da klopfe? „Quatsch!“, antwortet der Jurist Moritz Heusinger, „da haut Sie niemand.“ Die Polizei verbreite gerne Schauermärchen über seine Mandanten, huhu, als seien alle aus der Hausbesetzerszene automatisch brutale Gewalttäter. Just in dem Moment fliegt ein Böller über die Balustrade, laute Explosion, dann ein kurzer Piepton auf dem Ohr. Sofort kommt ein halbes Dutzend Polizisten angelaufen: „Ist ja wie Silvester hier“, sagt einer von ihnen, „brauchen Sie einen Krankenwagen?“ Bitte was? Das war ja keine Splitterbombe! Was ich brauche, sind ein paar Stunden Schlaf. Die Demos gegen die Räumung der Köpi beginnen morgen früh um fünf Uhr. Ich beende das Telefongespräch mit Heusinger und gehe zurück zum Checkpoint der Polizei. Auf dem Weg dorthin laufe ich am rechten Fotografen Stephan Böhlke vorbei, der gierig jeden Böller knipst, der über die Mauer geworfen wird. Das ehemalige NPD-Mitglied verpasst keine Chance, die linke Szene schlecht aussehen zu lassen. Auf Twitter wurde schon gewarnt, dass er sich hier rumtreibt.Ein Jachthafen sollte hierhinDas Köpi-Haus in der Köpenicker Straße wirkt wie ein gallisches Dorf im sich immer weiter gentrifizierenden Zentrum Berlins. Das Haus wurde 1990 besetzt und bald zum Rückzugsort für Revoluzzer aller Art. Inklusive Kino für Indie-Filme, einer Kletterwand, Konzertsaal, hauseigener Fahrradwerkstatt – und einem Wagenplatz im Garten, wo circa 30 Menschen in Caravans ein Zuhause gefunden hatten. Seit 2007 wurde das Gelände zwischen verschiedenen Eigentümern hin und her geschoben, hinter denen sich die Sanus AG des Immobilieninvestors Siegfried Nehls verbarg. Der soll einst angekündigt haben, auf dem Gelände einen Jachthafen errichten zu wollen. Da mokierte sich die linke Szene, haha, das Grundstück liegt doch gar nicht am Wasser! Aussagen wie diese würden zeigen, dass Nehls die Verkörperung des gierigen Spekulanten sei: Er interessiere sich nicht für die Orte, die er kauft, sondern wolle nur Kasse machen.Unternehmen aus seinem Firmengeflecht sollen Millionen an Steuerschulden haben. Das Köpi-Gelände hat er zum Spottpreis von einer Million Euro erworben. Als die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge ihm 21 Millionen dafür anbot, reichte ihm das nicht. Anscheinend will er mit noch mehr Gewinn weiterverkaufen. Und da stören die Autonomen nur. Doch während deren Hausprojekt längst in der Legalität angekommen ist und Mietverträge hat, die noch bis 2037 laufen, war die Wagenburg im Garten ein „besetzter“ Ort. Und damit zum Abschuss freigegeben. Im Juni dieses Jahres erging vor dem Landgericht Berlin ein Räumungsurteil. Mit einem Eilantrag dagegen scheiterte Moritz Heusinger. Seitdem bereitete sich die autonome Szene auf den „Tag X“ vor, den 15. Oktober, an dem die Polizei der Gerichtsvollzieherin um zehn Uhr morgens „Amtshilfe“ leisten sollte. Heißt: den Zutritt zum Wagenplatz ermöglichen und die Besetzer vom Hof treiben. Nicht weniger als 2.000 Einsatzkräfte aus sieben Bundesländern sind an diesem Tag in der Hauptstadt im Einsatz.Frühmorgens, kurz vor sieben, sitzt Lars Bretthauer vor einem Backshop um die Ecke von der Köpi. Strickmütze, darunter strubbelige blonde Haare, zum Frühstück trinkt er Cola und raucht selbst gedrehte Zigaretten. Wie ein Autonomer wirkt Bretthauer nicht gerade, eher wie ein Sympathisant der Szene. Vielleicht auch besser so: Jeder, der heute nach schwarzem Block aussieht, wird rund ums Sperrgebiet mit Taschenkontrollen aufgehalten.Bretthauer, der im Komitee für Menschenrechte und Demokratie aktiv ist, sieht die Bundesrepublik auf dem Weg in einen „digitalen Autoritarismus“ – darüber schreibt er auch gerade seine Doktorarbeit. Er hebt seinen Arm und zeigt mit seinem Finger in alle Himmelsrichtungen: „Hier werden heute von allen die Handydaten abgefangen“, sagt der 44-Jährige, „die Bullen rufen die dann ab.“ Die Mobilfunkdaten würden dann mit denen eines normalen Tages in der Gegend abgeglichen und zack wüssten die Behörden, welche Linksradikalen heute am Start waren. Zum ersten Mal sei das bei der Demo „Dresden Nazifrei“ im Jahr 2011 passiert: Dort seien 40.000 Handynummern pauschal gespeichert worden.Er dreht sich um und blickt auf die schwer bewaffneten Polizisten, die den Eingang zur „roten Zone“ bewachen. „Mit dieser neuen Sperrzonenpolitik kann man nicht mehr richtig demonstrieren“, sagt Bretthauer, „ich werde auch heute mal wieder in meinem Versammlungsrecht beschränkt.“ Als Polizeikonzept existieren solche „roten Zonen“ seit dem G8-Gipfel in Genua. Damals, 2001, wurde der gesamte Innenstadtbereich der italienischen Hafenstadt abgeriegelt, um den Gipfelteilnehmern Ruhe vor Demos zu gönnen. Auch in Deutschland wird diese Strategie seither immer wieder angewendet; zuletzt in Berlin im März bei der Räumung der linken Szenekneipe „Meuterei“ im Stadtteil Kreuzberg. „Und deswegen musst du mich heute vorm Backshop interviewen und nicht direkt vor der Köpi“, sagt Bretthauer und lacht ein bisschen verzweifelt.Presseausweis raus, weg von der lauten Kundgebung neben der Bäckerei, wieder rein ins Sperrgebiet. Die letzten Stunden des Wagenplatzes sind angebrochen. Vor diesem steht die Sprecherin der Berliner Polizei. Gerade will Anja Dierschke erklären, was sie vom heutigen Einsatz erwartet, da wird sie unterbrochen: „Verpisst euch, ihr dreckigen Bullenschweine, ihr kommt hier nicht rein, von der Köpi kriegt ihr nix!“, brüllt jemand von dem abgeschotteten Gelände aus durch ein Megafon. Dierschke verliert kurz die Fasson, muss schmunzeln, „na ja, ich erwarte auf jeden Fall polizeifeindliche Sprechchöre“.Und nun? ObdachlosEs scheint, als ob der Staat jede Angst vor der autonomen Szene verloren hat. Die Räumung der Mainzer Straße im Jahr 1990 führte noch zu einer Straßenschlacht um die 13 besetzten Häuser in Friedrichshain, die rot-grüne Koalition in Berlin wurde daraufhin gesprengt. Dreißig Jahre später wählen die jungen Leute entweder FDP oder trommeln dafür, auf die „Wissenschaft“ zu hören, um die Klimakatastrophe in den Griff zu kriegen. Da wirken ein paar gesichtstätowierte Autonome in der Köpi, die schreien, dass sie „unregierbar“ seien, wie aus der Zeit gefallene Dinosaurier: Die kriegt die Obrigkeit schon unter Kontrolle.Um zwanzig nach zehn rollen Panzerfahrzeuge der Polizei an und rammen die Barrikade. Beamte flexen die Wellblech-Oberfläche des Schutzwalls weg. Sie schaffen auch eine Bühne her, auf die Einsatzkräfte klettern, um von dort aus den Stacheldraht kaputtzuschneiden, den die Köpi-Besetzer oben am Zaun angebracht haben. Es ist ein voyeuristisches Fest, bei dem sich die Presseleute versammeln, um möglichst martialische Bilder vor die Linse zu kriegen – während sie inständig hoffen, dabei keinen Pflasterstein auf den Kopf zu bekommen. „Da oben hängt noch einer“, sagt einer der Journalisten zu seinem Kameramann und zeigt auf einen Besetzer, der sich auf einen Baum gerettet hat, „halt da mal drauf!“ Ich fühle mich ein wenig schlecht, Teil dieses Zirkus zu sein. Immerhin verlieren hier gerade 30 Leute ihren Wohnraum. „Ich gehe definitiv davon aus, dass einige in der Obdachlosigkeit landen“, hatte der Anwalt Heusinger mir erzählt, „ich weiß von mindestes fünf Leuten, die noch keine neue Bleibe gefunden haben.“ Wenn es schlecht läuft, landen die heute Abend unter der Brücke am Ostbahnhof. Aber die Bilder sind so gut! Um circa 11.30 Uhr ist die Köpi gefallen und die ersten Besetzer werden abgeführt. Eine lacht dreckig und zeigt wie zum Hohn das Peace-Zeichen in die auf sie gerichteten Kameras. In ein paar Jahrzehnten, wenn es in Berlin aussieht wie in London, werden Leute wie sie im Zentrum der Stadt nicht mehr zu Hause sein. Wir anderen sitzen dann in unseren auf Hochglanz polierten Vierteln und freuen uns, wenn sich einer der „Ausgeflippten“ mal in unsere Gegend verirrt: Trifft man ja nicht mehr so oft, diese Leute, die den Staat hassen.Um kurz vor neun Uhr abends setzt sich die „Tag-X-Demo“ vom Zickenplatz aus in Bewegung. „Jede Vertreibung hat einen Preis“, ruft einer durchs Mikro, „und heute ist Zahltag!“ Die autonome Szene will sich rächen. Auf dem Gehweg sind die Pflastersteine aus dem Boden gelöst und fliegen durch die Luft, Schaufensterscheiben klirren, Hundertschaften rennen los. Am Kottbusser Tor treffe ich Lars Bretthauer wieder, laufe mit ihm an einem brennenden Auto vorbei, überall Rauch, es riecht nach verbranntem Gummi. Wir setzen uns auf eine Bank, er trinkt wieder Cola, diesmal mit Wodka gemixt. Dann lädt er mich ein, mit in eine linke Kneipe zu kommen, in der er gleich auflegt. Dort angekommen spielt er Rio Reisers Hausbesetzerhymne: „Ihr kriegt uns hier nicht raus. Das – ist – unser Haus ...“ Gegen halb zwei morgens sagt er, drüben im „Goldenen Hahn“ mache die Polizei Stress, er wolle dahin, um die Leute zu „supporten“. Er trinkt noch einen Pfeffi und stiefelt los in die Kreuzberger Nacht.