Bellende Hunde beißen nicht

NSU - Prozess Das OLG München hat die Presseplätze im Losverfahren vergeben. Die Gewinner glauben nun, Sieger in einem demokratischen Prozess zu sein. Schade nur, dass sie irren

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Auslosung der Sitzplätze für das NSU-Verfahren am 29. April in München
Auslosung der Sitzplätze für das NSU-Verfahren am 29. April in München

Foto: Alexander Hassenstein/ AFP/ Getty Images

Die akkreditierten Medien dürfen sich freuen: Sie dürfen am kommenden Montag die Gerichtsverhandlung gegen den nationalsozialistischen Untergrund von einem Presseplatz aus beobachten. Doch nun ist journalistische Moral gefragt, denn renommierte deutsche Blätter wie die Welt, die TAZ oder die Frankfurter Allgemeine Zeitung haben den kürzeren gezogen und dürfen nicht vor Ort sein. Auch wenn das per se Schwachsinn ist, sollten solche Fragen eher hintergründlich behandelt werden. Immerhin geht es um die Aufarbeitung schrecklicher Ereignisse. Und in Wirklichkeit ist die Abwesenheit manches deutschen Mediums im Kern auch nicht das Problem des Akkreditierungsverfahrens.

Die zentrale Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wieso hat man den ausländischen Pressevertretern nicht von vorne herein mehr Chancen eingeräumt, jenes Verfahren zu verfolgen, das die Ermordung von acht türkischen und einem griechischen Kleinunternehmer anklagt? Man glaubt einen großzügigen Schritt auf die Medienvertreter und -Vertreterinnen im Ausland gemacht zu haben, als man ihnen bei 15 Plätzen die Aussicht auf Teilnahme anbot. Hingegen umfasst die Gruppe auf deutsch publizierender Medien 35 Presseplätze. Doch abgesehen von dieser ungerechten Zuweisung, ist das Verfahren auch handwerklich schlecht. Felix Werdermann, Politikredakteur dieser Zeitschrift, hat Recht, wenn er schreibt, dass weder das vom Bundesverfassungsgericht kritisierte Windhundprinzip noch das Losverfahren der Sache gerecht werden. Weiter heißt es, dass die Reichweite des einzelnen Mediums die entscheidende Rolle spielen müsse. Dieser Aspekt wurde bei der Verlosung der Plätze leider völlig außer Acht gelassen.

Wenn also die Medien die bellenden Wachhunde einer Demokratie sind, dann hätte man hier auf Ephraim Kishon hören müssen und diese Form der Journalisten - Akkreditierung ablehnen dürfen. Doch Hunde, die bellen, beißen nicht.

Stattdessen fahren wir Deutschen mal wieder gut damit, uns im Fall der Zwickauer Zelle zu viktimisieren und anzunehmen, wir hätten ein größeres Recht zur Teilnahme als ausländische Berichterstatter. Edmund Stoiber hat mal gesagt, es müsse Schluss damit sein, „die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2007 auf eine moralische Anklagebank zu setzen.“ Mal davon abgesehen, dass ich den Satz auch damals nicht hätte unterschreiben können, ist er heute fast ein Paradoxon. Denn es geht schließlich um einen politischen Prozess. Nicht wegen der politischen Motivation der Täter, sondern aufgrund des katastrophalen Versagens der deutschen Justiz. Das macht uns zu Mitschuldigen, die eher auf die Anklage- als auf die Zuschauerbank gehören.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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