Deutschlands „Abschiebe-Boss“: Wer ist Joachim Stamp?
Porträt Joachim Stamp hat sich seinen eigenen Job gebacken. Jetzt soll der Mann von der FDP für die Bundesregierung Migrationsabkommen mit anderen Staaten schließen. Kann ihm das gelingen?
Man kann die Beziehung von Joachim Stamp zu Integrationsfragen mit drei Rollen beschreiben, die er über die Jahre ausgefüllt hat. Fangen wir mit der ersten an: dem Job-Erfinder. Im Herbst 2021 liefen die Koalitionsgespräche der Ampel. Stamp war nicht nur Vize-Ministerpräsident von NRW, sondern auch dessen Integrationsminister. Als solcher setzte er sich in den Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP mit einer Idee durch: Es bräuchte einen „Sonderbevollmächtigten für Migration“. So was gab es auf Bundesebene nicht. Dass er solch eine Stelle eines Tages selbst übernehmen würde? Das sei ihm natürlich nie, nie, nie in den Sinn gekommen, beteuerte der FDP-Mann später. Aber wie das Leben so spielt!
Im Mai 2022 wurden seine
beteuerte der FDP-Mann später. Aber wie das Leben so spielt!Im Mai 2022 wurden seine Liberalen in NRW (mit ihm als Spitzenkandidaten) abgesägt und landeten mit 5,9 Prozent in der Opposition. Für andere wäre erst mal Feierabend gewesen. Aber nicht so beim alten „Monte“, wie er mit Zweitnamen heißt. Im Februar darauf wechselte er von Düsseldorf nach Berlin, übernahm den Job als Sonderbevollmächtiger der Bundesregierung für Migrationsabkommen, angesiedelt bei Innen- und Heimatministerin Nancy Faeser (SPD). Ein Job, wie er ihn Monate zuvor selbst erfunden hatte! Hat sich der Politologe an seine Proseminare an der Uni Bonn erinnert? Politikstudenten lernen in den ersten Semestern, dass Regierungsparteien meist abschmieren und auch Bundespolitik bei Landtagswahlen eine große Rolle spielt.Seine Freunde gingen zu den JusosTatsächlich war seine FDP in Nordrhein-Westfalen erst nach dem Start der Ampel im Bund abgesackt, weil viele Wähler unzufrieden waren mit der Performance von Christian Lindner und Co. Hatte Stamp, damals noch fest im Sattel an Rhein und Ruhr, das kommen sehen und sich vorsorglich einen Frühstücksdirektoren-Posten in Berlin geschaffen? Mit dem Unterschied, dass er angesichts steigender Flüchtlingszahlen und überforderter Kommunen nun doch richtig ranklotzen muss?! Auf jeden Fall ist Stamp, 52, jetzt „Deutschlands Abschiebe-Boss“, so nennt ihn die Bild.Er selbst bringt sein Ziel auf die Formel: „Irreguläre Migration reduzieren, reguläre Migration ermöglichen.“ Wie er das machen will? Zum Beispiel, indem Georgien und Moldau als „sichere Herkunftsländer“ ins Asylgesetz aufgenommen werden. Das würde bedeuten, dass Anträge aus diesen Ländern als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden.Um die Grünen von seinem Vorschlag zu überzeugen, will Stamp den zwei Ländern legale Einreisemöglichkeiten geben. Natürlich, damit ihre Bürger hier arbeiten; Stamp ist ja nicht ohne Grund seit seinem 17. Lebensjahr in der FDP, wo er Mitte der 1980er eintrat, während sich viele Freunde den Jusos anschlossen. Besonders jene Moldawen und Georgier, die „als illegale Pflegekräfte in Südeuropa ausgebeutet werden“, seien hier willkommen, sagt er.Nicht so willkommen wollte er 2018 einen islamistischen Gefährder heißen. Und damit zu seiner zweiten Rolle: dem Selbstjustiziar. Am 13. Juli wurde Sami A. nach Tunesien abgeschoben. Weil er zuletzt in Bochum gelebt hatte, war das der Beritt von Stamp. Blöd: Am Vortag der Abschiebung hatte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass Sami A. auf keinen Fall ausgewiesen werden dürfe, weil ihm, dem ehemaligen Leibwächter von Osama bin Laden, zu Hause Folter drohe. In der Tat: Im August 2018 legte seine Anwältin ein zwölfseitiges Schreiben vor, in dem sie beschrieb, was ihrem Mandanten in tunesischer Haft widerfahren war: zwei Tage lang fast kein Essen und Trinken, stundenlanges Fesseln und Schläge, die ihn am Einschlafen hindern sollten. Wieso hatte Stamp die Abschiebung nicht gestoppt?Der Befehl kam von ganz obenAls er schon im tunesischen Knast saß, schrieb Sami A. der Bild: „Ich habe der Polizei gesagt: Das geht so nicht, ein Gericht hat meine Abschiebung untersagt! Aber sie haben gesagt, dass das von ganz oben kommt und ich nichts dagegen tun könne.“ Doch Stamp hatte wieder Glück: Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen war den Behörden erst zugestellt worden, als Sami. A. schon im Flieger saß. Später bereute Stamp sein Verhalten und murmelte was von „falsch gehandelt“. Kann einem ja auch keiner erzählen, dass er von dem einen Tag zuvor ausgesprochenen Abschiebeverbot nichts gewusst hat. Der Verdacht liegt nahe: Stamp wollte einfach einen tunesischen Islamisten loswerden, da war der Rechtsstaat nicht so wichtig. Auch in der neuen Rolle als Sonderbevollmächtiger hat er viel mit Nordafrika zu tun.Stamp will die Maghreb- und Subsahara-Staaten dazu kriegen, jene Landsleute wieder aufzunehmen, deren Asylanträge in Deutschland abgelehnt wurden. Wie er das zu schaffen gedenkt? Indem er ihnen „eine bestimmte Anzahl an Visa“ anbietet. Denn: „Stacheldraht und Zäune alleine“ (man beachte das Wort „alleine“) würden nicht ausreichen, „um illegale Migration zu stoppen“. Es brauche auch „Abkommen mit den Herkunftsländern“. Das ist eine fast unlösbare Aufgabe, weil viele Menschen in Afrika auf die Geldtransfers ihrer Angehörigen in der deutschen Diaspora angewiesen sind. An einer „Partnerschaft“, die so aussieht, dass viele dieser Leute zurück müssen, sind afrikanische Staaten nicht interessiert. Schon vor sieben Jahren war der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) durch Marokko, Algerien und Tunesien gereist, um dasselbe zu erreichen.Nun zu Stamps dritter Rolle: dem mitfühlenden Europäer. 2014 fuhr der Liberale nach Plovdiv in Bulgarien, um sich ein Bild von den Lebensumständen der dort lebenden Roma zu machen: Schlamm, Löcher in den Hauswänden, Müll, kriminelle Clans. In das Buch der Selbsthilfegruppe Roma 1995 schrieb er von der europäischen Verantwortung, „dass alle Menschen frei und in Würde leben können“. Damals war gerade EU-Wahlkampf.
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