Die Verdrossenen und die Empörten

Bundestagswahl Die Wahl zeigt, dass wir den Begriff der Politikverdrossenheit neu definieren müssen. Die Ratlosen wählen schwarz. Die Überzeugten links. Das birgt ungenutztes Potential.

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Frau Merkel hat bei dieser Wahl ein Spitzenergebnis eingefahren. Dazu muss man ihr gratulieren, das verlangt die Etikette. Doch für sie haben Wahlkampf und Politik nichts mit Überzeugungen, Emotionen und Kampfesgeist zu tun. Sie ist das neue Sinnbild der Identitätslosigkeit ehemaliger Fundamentalisten. Die CDU ist leer. Ausgequetscht. Wer denkt, dies wäre der Tod einer Partei, die sich auf christliche Werte beruft, irrt. Denn die Christdemokraten sind nicht aufgrund ihres Wertebewusstseins oder ihrer Ideologie so stark wie lange nicht mehr, sondern weil sie anpassungsfähig sind. In der Psychologie spricht man von der „Chamäleon – Strategie“. Man versucht dadurch den größten Ärger im Berufs- und Privatleben zu vermeiden. Das haut nicht nur als kleiner Angestellter oft gut hin, sondern auch – vielleicht gerade - in den politischen Spitzenämtern dieses Landes.

Das politische Deutschland ist im Jahr 2013 so geistlos wie nie. Der Begriff der Politikverdrossenheit muss neu definiert werden, denn längst versammeln sich die Verdrossenen nicht mehr allein unter den Nichtwählern. Der aufgeklärt-pessimistische Wähler stimmt für die Schwarzen, um Ideenreichtum und Mut als spekulatives Teufelszeug zu verdammen. Das kann man auch als negative Einstellung gegenüber den Herrschenden werten, denn politisches Desinteresse äußert sich durch ein Votum für die Ratlosen. Carl Spitteler, Schweizer Dichter und Romanautor, weiß, dass Unentschlossenheit auch eine Form von Feigheit ist: Nämlich Willensfeigheit. Die „Zauder Königin“ schafft es so gut wie keine andere, Skeptiker für sich zu gewinnen. Doch um politisch nicht nur erfolgreich, sondern auch überzeugend zu sein, braucht man mehr: Ideologie, Emotionen, Empathie, Mut und ähnliches. Das gelingt zurzeit nur der zukünftigen Opposition. Peer Steinbrück besitzt diese Eigenschaften.

Jetzt ist es an der Zeit diese Anlagen zu nutzen und den politischen Autismus, in dem sich Sozialdemokratie und Grüne befinden, zu beenden. Gegen Autismus gibt es kein Medikament. Aber man kann die Begleitsymptome, wie Angst oder Aggressivität behandeln. Diese gilt es zu überwinden. Es hat sich gezeigt, dass es eine Mehrheit für linke Politik gibt. Die Schere zwischen den beiden Lagern muss sich schließen. Das ist inhaltlich sowieso schon lange ihr Ziel. Sie sind keine Konkurrenten. Eine Koalition von Rot-Rot-Grün ist ein politisches Freundschaftsspiel. Es geht nicht ums Gewinnen, Ausstechen und Siegen. Es geht um das Bündnis. Damit kann man den anderen, die sich schon als Sieger feiern, die Laune verderben. Aber hier fehlt sogar ehemaligen Anhängern der Studentenbewegung der Mut. Joschka Fischer kritisiert den Linkskurs seiner Partei. Das ist bedauernswert. Der Kabarettist Marc Uwe Klingt würde ihn vermutlich als Blumenkind bezeichnen und singen: „Doch die Blumenkinder, wer konnt das ahnen, gingen den Weg aller Bananen. Heute grün, morgen gelb und übermorgen schwarz.“ Heute muss man dafür noch nicht mal mehr das politische Lager wechseln. Die Empörung über die Verhältnisse erlischt als erfolgreicher Unternehmensberater anscheinend sehr schnell. Diese Aufgabe übernimmt dann die Linke. Der Dank ist der Ausschluss aus dem politischen Etablissement. Nur ändern tut man damit nichts.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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