Erlaubt ist, was misslingt?

Sozialdemokratie Der Parteitag der SPD entblättert ihr enormes Selbstzerstörungspotential. Wenn die Partei sich retten will, muss sie runter vom schwarz-roten Pfad
Seid wachsam, Genossen! SPD-Chef Martin Schulz bereitete am Wochenende seine Partei auf Groko-Gespräche vor
Seid wachsam, Genossen! SPD-Chef Martin Schulz bereitete am Wochenende seine Partei auf Groko-Gespräche vor

John McDougall (Getty Images)

Kennen Sie den Thriller Fight Club? Dort spielt Edward Norton einen Langweiler, dessen Leben durch seinen coolen, anarchistischen Freund namens Tyler Durden aus den Fugen gerät und mehr und mehr in den Wahnsinn abdriftet. Er verliert seinen Job und verbringt fortan die Nächte damit, sich zu prügeln. Am Ende stellt sich heraus, dass er an multipler Persönlichkeitsstörung leidet und dieser Freund nur eine Imagination seiner selbst war; der exzentrische Typ, der ihn in den Abgrund gerissen hatte, war er selber. Destruktion pur, ein toller Film!

Selbstzerstörung gibt es aber nicht nur im Kino. Wir beobachten sie zurzeit auch in der deutschen Parteienlandschaft und, das hat ihr Parteitag gezeigt, ganz besonders bei der SPD. Es ist schwer mit anzusehen, wie dort die älteste Partei Deutschlands den Weg ins Verderben gewählt hat. In dem Beschluss des Parteitages, der von der Führung vorgelegt und mit großer Mehrheit angenommen wurde, heißt es: „Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob eine Bundesregierung zustande kommt oder am Ende Neuwahlen stattfinden werden. Deswegen fühlen wir uns verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann.“

Sie könnten es besser wissen, immerhin liegen große Teile der europäischen Sozialdemokratie am Boden. Einen Begriff dafür gibt es auch: „Pasokisierung“ nennen Parteienforscher dieses Phänomen; angelehnt an die Panellinio Sosialistiko Kinima (PASOK), die sozialdemokratische Partei in Griechenland, die in den letzten Jahren von über 40% auf knapp 6% absackte. Die Sozialisten in Frankreich müssen aus finanzieller Not sogar ihren Parteisitz verkaufen, so geschwächt ist ihre Parti socialiste. Die Genossen in Berlin sind sich ihres Willy-Brandt-Hauses anscheinend noch ziemlich sicher, zu sicher. Sonst würden sie kaum über eine mögliche Koalition sondieren, die ihren Erneuerungsprozess verunmöglichen und sie dem politischen Sterbebett näher und näher bringen wird.

Der sozialdemokratische Schulterschluss mit der Union trägt niemals wirklich eine rote Handschrift. „Erfolge“ der SPD in der Großen Koalition - Mindestlohn, etwas bessere Renten, mehr BAföG etc. - waren immer nur rote Kleckse auf ziemlich schwarzer Leinwand. Wieso sollte es mit der Bürgerversicherung, dem Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit, der Solidarrente und ein paar mehr Investitionen in Bildung und Wohnraum anders sein? Max Frisch wusste: „Erlaubt ist, was gelingt.“ Das schwarz-rote Projekt ist misslungen - zumindest aus dem Blickwinkel der SPD.

Bismarck und Hitler überstanden, aber an Merkel zugrunde gehen?

Der Schritt in Richtung Union ist der nächste Nagel in den sozialdemokratischen Sarg. Das mag für überzeugte Sozialdemokraten wie Hohn und Spott klingen. Diese Partei hat Bismarck und Hitler überstanden. Aber an Merkel soll sie zugrunde gehen? Manchmal hilft da ein Blick auf wissenschaftliche Zusammenhänge: Repressionen können nämlich eine lebenserhaltende Dynamik für ein Kollektiv entfalten. In der Sozialpsychologie spricht man hier von Gruppenkohäsion. Der Zusammenhalt wird umso größer, je stärker die Gruppe von außen in ihrem Bestand gefährdet ist. Deswegen konnte die Sozialdemokratie alle Schrecken der Vergangenheit durchstehen.

Ihre aktuelle Krise ist aber keine externe. Sie ist keine Folge äußerer Bedrohungen, sondern einzig und allen das Ergebnis des eigenen Versagens. Nicht die Union hat die SPD marginalisiert, sondern deren Unfähigkeit, ernsthafte Verbesserungen für breite Kreise ihrer Klientel durchzusetzen. Die Menschen in Dortmund-Nordstadt oder Duisburg-Marxloh hätten sozialdemokratische Politik wirklich nötig. Im Landtagswahlkampf im Mai setzten die Genossen in Düsseldorf jedoch auf den Wohlfühl-Faktor, anstatt die greifbaren Probleme an Rhein und Ruhr zu thematisieren. „NRWir“ stand auf ihren Plakaten. Geht’s noch? Das war bestenfalls ein halbwegs cleveres Wortspiel, mehr dann aber auch nicht.

Der Absturz in Nordrhein-Westfalen ging der Katastrophe im Bund (20,5%!) voraus. Noch am Abend der verlorenen Bundestagswahl sagte Martin Schulz: "Ich habe der SPD-Parteiführung heute Abend empfohlen, dass die SPD in die Opposition geht.“ Keine drei Monate später, auf dem Parteitag, klingt das schon ganz anders. Schulz sagt, er wolle „unvoreingenommen“ in die Gespräche mit der Union gehen. Dabei hätte er jedes Recht auf Voreingenommenheit. Die Zähmung des Laissez-faire-Kapitalismus ist ein genuin sozialdemokratisches Projekt, das mit den Schwarz-Blauen nicht zu machen ist.

In dem Moment, als die SPD nicht mehr als Alternative zum Neoliberalismus wahrgenommen wurde, begann ihr Abstieg. Im Schröder-Blair Papier aus dem Jahr 1999 schreiben die beiden Regierungschef, die Sozialdemokratie habe „neue Zustimmung auch gewonnen, weil sie nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für wirtschaftliche Dynamisierung und für die Freisetzung von Kreativität und Innovation steht.“ Das war nicht nur falsch, sondern auch der Anfang vom Ende europäischer Arbeiterparteien. Wollen die Genossen in Deutschland ihren Niedergang aufhalten? Dann dürfen sie nicht mit der Union koalieren, nicht einmal sondieren. Denn jede Annäherung erhöht die Erwartungen und den Druck. Oder wollen sie sich selbst zerstören? Dann ist ihr jetziger Weg genau der richtige. „Erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun“, sagt Tyler Durden in Fight Club. Klingt auch irgendwie verlockend.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Grünes Wissen“, „Social Media“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlichte er längere Reportagen u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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