Ernährungsexpertin: „Es gibt nicht genug gesunde und nachhaltige Lebensmittel“
Interview Wäre der Planet gerettet, wenn sich alle klimafreundlich ernähren würden? Gesa Maschkowski erklärt, warum gar nicht alle auf ökologisches Essen umsteigen können – und was sich auf dem Lebensmittelmarkt dafür ändern müsste
Mit dem „absoluten Irrsinn“ der Lebensmittelbranche kennt sich Gesa Maschkowski aus
Foto: Ayse Tasci für der Freitag
Der ökologische Fußabdruck eines Steak-Fans liegt bei 1,82 Tonnen CO₂ pro Jahr, der eines Vegetariers bei weniger als einer Tonne. Wäre der Planet gerettet, wenn sich alle klimafreundlich ernähren? Gesa Maschkowski sagt: Dafür reicht das Angebot nicht aus. Sie hat Ideen, wie sich das System ändern muss.
der Freitag: Frau Maschkowski, wir produzieren auf dieser Erde genug Essen, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren – theoretisch. Also müssen wir die Nahrungsmittel global einfach umverteilen, und allen geht’s gut?
Gesa Maschkowski: Spannende These, die aber zwei Punkte vernachlässigt. Erstens: Die Lebensmittel, die wir heute produzieren, haben nicht die Qualität, um die Menschheit gesund zu ernähren. Zweitens: Wissens
roduzieren, haben nicht die Qualität, um die Menschheit gesund zu ernähren. Zweitens: Wissenschaftliche Studien zeigen, dass wir durch unsere Nahrungsmittelproduktion die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde weit überschreiten.Ja. Mit über 17 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalenten entfällt ein Drittel des weltweit ausgestoßenen Treibhausgases auf die Produktion unseres Essens.Da muss man jetzt mit den Begriffen vorsichtig sein. Die Zahlen, die Sie da nennen, beziehen sich nicht nur auf die reine landwirtschaftliche Produktion, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette: inklusive Verarbeitung, Verpackung, Transport, Lagerung et cetera. Wenn wir das alles berücksichtigen, ja, dann kommt man auf 25 bis 30 Prozent der weltweiten Emissionen. Es gibt eine sehr interessante Studie, die an der Universität Sevilla durchgeführt wurde. Sie zeigt, dass sich der gesamte Energieverbrauch der Lebensmittelerzeugung in Spanien zwischen 1960 und 2010 verzehnfacht hat.Vielleicht produziert Spanien heute auch zehnmal mehr Lebensmittel als 1960?Nein. Der Energieeinsatz im Ernährungssystem hat sich vervielfältigt. Die Produktion von einem Kilo künstlichem Stickstoffdünger braucht schon zwei Liter Erdöl.Ist die deutsche Ernährungsindustrie ökologischer?Meines Wissens gibt es eine solche Studie wie die in Spanien hier nicht. Ähnliche Zahlen gibt es aber für Dänemark, mit dem wir uns vergleichen können. Dort hat man 2014 herausgefunden: Um eine Nahrungskalorie auf den Teller zu kriegen, werden vier fossile Kalorien verbraucht. Gleichzeitig sinkt im Schnitt die Zahl der Hungertoten weltweit.Aber die Essensqualität sinkt auch. 1960 gehörte Spanien laut WHO zu jenen Ländern mit der höchsten Lebenserwartung. Heute gehört es zu den Ländern mit der höchsten Übergewichtsrate bei Kindern.Beim Vorgespräch haben Sie in etwa gesagt: Wenn alle gleichzeitig anfangen würden, sich klimafreundlich zu ernähren, wären morgen alle tot.Ne. Ich habe gesagt, „dann würden wir ziemlich hungrig durch die Gegend laufen“. Nehmen wir mal die „Planetary Health Diet“: Damit könnten wir zehn Milliarden Menschen gesund und nachhaltig ernähren. Die Lebensmittel, die dort empfohlen werden, gibt es in den Mengen aber gar nicht in unseren Supermarktregalen. Dafür müssen wir erst mal die Produktion von Gemüse bis 2050 weltweit um 75 Prozent steigern, Obst um 50 Prozent, Hülsenfrüchte um 75 Prozent – und Nüsse um 150 Prozent. Kurz: Es geht darum, mehr pflanzliche Lebensmittel nachhaltig zu produzieren und das, was sinnvoll ist, direkt vor Ort herzustellen.Also zurück zur Autarkie? Wo habe ich denn von Autarkie gesprochen? Es geht um das richtige Maß beim globalen Lebensmittelhandel – nicht darum, in Bonn plötzlich Sanddorn anzubauen. Unnötige Lieferwege verhindern?Genau. In den Niederlanden gibt es eine Organisation, RUAF, die sich mit der Förderung urbaner Landwirtschaft beschäftigt. Die hat berechnet: Wenn wir nur 20 Prozent unserer Lebensmittel lokal erzeugen, kann eine 300.000-Einwohner-Stadt 16 Millionen Transportkilometer einsparen.Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland liegt bei 88 Prozent. Gerade mal zwölf Prozent der Nahrung wird importiert.Bei Obst und Gemüse ist das anders: Davon sollen wir doppelt so viel essen, wir produzieren aber nur 36 Prozent des Gemüses und 20 Prozent des Obstes selbst – der Rest ist Import. Placeholder infobox-1Dürfen wir noch Fleisch essen?Wir haben Modellierungen dafür, was sich ändern muss, damit unsere Ernährung den planetaren Grenzen entspricht. Weltweit müssen wir 50 Prozent weniger Fleisch essen, in Europa sogar 75 Prozent. Aber es geht vor allem darum, kein Fleisch aus industrieller Tierhaltung mehr zu essen. Vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau gibt es eine fantastische Modellierung. Die haben sich gefragt: Wie können wir die Agrarflächen optimal nutzen, die wir haben? Die Antwort lautet: Tiere machen dort Sinn, wo man Flächen nutzen kann, die sich nicht für den Acker- oder Gemüsebau eignen – das ist in Deutschland immerhin ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche. Aber da wird viel weniger Fleisch zum Verzehr anfallen, als wir es gewohnt sind.Was ist mit importiertem Kaffee? Puh, jetzt sind wir sehr auf der Mikroebene. Also: Deutschland wird sich nach den Modellierungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung nicht zu 100 Prozent autark ernähren können. Wir sind auf Lebensmittelhandel angewiesen – darunter fällt auch Ihre Tasse Kaffee. Mir geht es darum, dass der Handel zwei Extreme ausgleichen soll: Überfluss und Mangel. Es ist absoluter Irrsinn, Tomaten, die mit spanischem Grundwasser gewässert wurden, über die Alpen zu fahren. Oder dass bei uns ägyptische Kartoffeln verkauft werden, die in der Wüste mit unwiederbringlichem Grundwasser hergestellt wurden. Beides könnten wir in Deutschland produzieren.Warum machen wir das nicht? Weil der Import billiger ist. Die Lebensmittelpreise bilden die ökologischen Folgekosten nicht ab. Umweltbelastung ist immer noch kostenfrei. Die Folgen tragen wir alle.Dadurch werden wir auch abhängig vom globalen Markt.Ja, Handel ist zum Selbstzweck geworden. Wir bräuchten in jeder Kommune und jeder Region eine Potenzialanalyse, wie die Stadt Nürnberg sie gemacht hat: Wie viel Land bleibt der Lebensmittelproduktion vorbehalten und wie viel dürfen wir überhaupt noch zubauen? Wie können wir die Strukturen so stärken, dass regional das produziert wird, was hier gut wächst? Es gibt eine spannende Masterarbeit von der Uni Bonn. Die hat untersucht, wie resilient das Ernährungssystem im Großraum Köln/Bonn ist. Da reden wir immerhin von 3,5 Millionen Menschen. Die Antwort: Wenn die globalen Lieferketten zusammenbrechen, sehen wir hier alt aus.Ist das Modell der Solidarischen Landwirtschaft eine Lösung?Für Menschen, die gerne viele frische Lebensmittel verarbeiten, ist das eine gute Lösung. Ich habe selbst vor zehn Jahren eine SoLaWi in Bonn mitgegründet, aber wir haben immer noch keinen eigenen Hof. Das Problem: zu hohe Bodenpreise, weil damit spekuliert wird. Dabei ist ein Biohof sehr effizient. Der „Buschberghof“ in Hamburg, ein Pionier in der Solidarischen Landwirtschaft, versorgt mit einem Hektar Land ungefähr vier Personen, das sind 2.500 Quadratmeter pro Person. Nach einer Studie des Umweltbundesamtes verbraucht jeder Deutsche derzeit um die 4.300 Quadratmeter Acker- und Grünland. Wie kann die Umstellung auf nachhaltiges Essen klappen?Finnland ist ein Positivbeispiel. In den 1960er- und 1970er-Jahren hatten sie dort weltweit die höchste Herz-Kreislauf-Todesrate unter jungen Männern. Und warum? Weil zu viele tierische Produkte gegessen wurden. Der Public-Health-Experte Pekka Puska vermutete damals, dass die Cholesterinwerte zu hoch waren. Er ist davon ausgegangen, dass das Ernährungsverhalten tief in der Kultur eines Volkes verankert ist, in der Wirtschaft, in den Medien. Deswegen sah er keinen Sinn darin, auf Aufklärung zu setzen. Das finnische Gesundheitsinstitut startete unter seiner Leitung einen Mehrebenenansatz, um in jedem Ort die Ernährungskultur zum Positiven zu verändern. Auf staatlicher Ebene haben sie angefangen, die Subventionen auf den Obstanbau umzulenken. Die Industrie wurde aufgefordert, fettreduzierte Produkte zu entwickeln. In den Medien gab es „Entertainment-Education“: Promis änderten öffentlich ihr Ernährungsverhalten, gingen durch Tiefen und Höhen, aber am Ende lebten sie gesünder.Klingt nach Propaganda. Die Finnen haben das „Health in All Policies“ genannt. Und sie waren damit erfolgreich: In 30 Jahren haben sie es geschafft, die Herz-Kreislauf-Todesrate in der am stärksten betroffenen Region um 85 Prozent zu senken. Der Obst- und Gemüsekonsum hatte sich im selben Zeitraum verdoppelt.Gibt es in Deutschland ähnliche Ansätze?Ja, es gibt gute Beispiele. Nürnberg hat inzwischen 75 Prozent Bio auf den Kita-Tellern. Das sind die Keimzellen, die mehr werden müssen! Wenn eine Kommune die Nachfrage nach Bioprodukten steigert, dann entstehen regionale Wertschöpfungsketten. Dann stellt man zum Beispiel fest, man braucht Kartoffelschälmaschinen, um die regionalen Biokartoffeln in Großküchen zu verarbeiten. Oder es wird deutlich, dass es keinen Schlachthof mehr gibt, um Biogeflügel zu schlachten. Wenn wir es versäumen, die Regionalversorgung zu stärken, wird es Ende der 2030er Jahre keine Bäcker und keine Metzger mehr geben: Das hat der Bundesverband der Regionalbewegung kürzlich deutlich gemacht. Wir brauchen aber die gegenteilige Entwicklung: regionale Verarbeiter und Zentren, wo Waren angeliefert, verarbeitet und qualitätsgeprüft werden.Sonst ...?Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann ruinieren wir nach dem Stand der Wissenschaft unsere Lebensgrundlagen – nämlich den Boden, das Wasser, das Klima und die biologische Vielfalt, die uns ernährt. Das wäre doch ziemlich unintelligent.