Freundin der Konzerne

UN-Abkommen Die Bundesregierung findet Menschenrechte nicht ganz so wichtig. Die EU ist da schon einen halben Schritt weiter
Ausgabe 43/2019

Einige ziehen immer den Kopf aus der Schlinge. Wenn ein Unternehmen wie die amerikanische Ölfirma Texaco in einem Land wie Ecuador eine ökologische Katastrophe anrichtet und 64 Millionen Liter Rohöl ins Ökosystem fließen lässt: Dann kommt Texaco schulterzuckend damit durch. Wird sich das endlich ändern? Zwischen dem 14. und 18. Oktober beschäftigten sich in Genf und Wien zwei Gremien der Vereinten Nationen genau damit. Zunächst in die Schweiz: Dort fand die fünfte Verhandlungsrunde für das „UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten“ statt.

Sollte es irgendwann ratifiziert werden, müssten die Vertragsstaaten ihren Unternehmen genau auf die Finger schauen: Achten diese entlang ihrer globalen Lieferketten auf die Einhaltung der Menschenrechte? Wer das nicht tut, soll durch die nationale Gesetzgebung der Unterzeichnerstaaten bestraft und zur Wiedergutmachung bei den Betroffenen gezwungen werden.

Deutschland bleibt stumm

Klingt doch nach einer guten Sache, könnte man meinen. Offenbar nicht für die deutsche Bundesregierung. „Deutschland hat sich da gar nicht zu Wort gemeldet“, sagt Lia Polotzek, Referentin für Wirtschaft und Finanzen beim BUND, die als Beobachterin in Genf vor Ort war. Im Gegensatz zu Frankreich, Spanien und Belgien übrigens.

Der „Treaty-Prozess“ der UN, an dessen Ende das „UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten“ stehen soll, geht auf eine von Südafrika initiierte Resolution zurück, die der Menschenrechtsrat der UN im Jahr 2014 angenommen hatte. Auch dort, an der Südspitze Afrikas, treten Unternehmen die Menschenrechte mit Füßen. Ein Beispiel ist der deutsche Chemiekonzern BASF, der jährlich Platin im Wert von 600 Millionen Euro aus der südafrikanischen Marikana-Mine bezieht. Dort kam es 2012 nach einem Streik der Minenarbeiter zu einem Massaker an Arbeitern; am Ende waren 34 von ihnen tot. An den Arbeits- und Lebensumständen der Beschäftigten hat sich indes nicht viel geändert, sie leben immer noch ohne Strom und Wasser in Wellblechhütten.

Ähnlich schadlos hält sich die deutsche Modebranche. Im pakistanischen Karatschi brannte 2013 die Textilfabrik Ali Enterprise ab, 300 Arbeiter starben, weil die Fenster in der Produktionsstätte vergittert waren, die Notausgänge versperrt. Obwohl 70 Prozent der dort produzierten Kleidung an den deutschen Großkunden KiK gingen, hat dieser bis heute keinerlei Verantwortung dafür übernommen.

Das UN-Abkommen würde dem einen Riegel vorschieben. In Genf wurde gerade dessen neuester Entwurf, der „revised draft“, diskutiert. Sollte er eines Tages verabschiedet werden, könnten Firmen wie BASF oder KiK nicht mehr wegschauen, wenn ihre Subunternehmen und Zulieferer im globalen Süden die Menschenrechte missachten. Die Betonung liegt auf „könnten“. Denn die westlichen Industrienationen sind in diesem Prozess vor allem eins: destruktiv. Deutschland stimmte 2014 genauso gegen die Resolution wie Frankreich, Japan, Südkorea und die USA.

Ein Job für die Praktikantin

Laut Informationen von Beobachtern des Prozesses war die Bundesrepublik in der Abschlussabstimmung der letzten Verhandlungsrunde, die 2018 stattfand, nur mit einer Praktikantin vertreten.

Fragt man beim Auswärtigen Amt nach, heißt es hingegen, die Bundesregierung „beobachte“ den Prozess „aufmerksam“; ansonsten verweist das AA auf den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“, den die Bundesregierung 2016 verabschiedet hat. In ihm wird die Privatwirtschaft „dringend“ dazu aufgefordert, „ihrer Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet der Menschenrechte nachzukommen“. Anders formuliert: Er appelliert an die Freiwilligkeit der Unternehmen.

Ähnlich wirtschaftsfreundlich ging es letzte Woche in Wien zu, wo die UN-Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) tagte. Dort wurde eine Reform der „Investor-Staat-Streitbeilegung“ (ISDS) diskutiert. Das meint die stetig zunehmende Rechtspraxis, bei der ausländische Investoren Staaten vor einem privaten Schiedsgericht verklagen können, wenn ihnen deren Politik nicht schmeckt und sie ihre Gewinne in Gefahr wähnen.

Anstatt den Klagerechten von Investoren einen Riegel vorzuschieben, wollte man in Wien diese Modalität noch ausbauen. „Momentan liegen lediglich Vorschläge auf dem Tisch, um das Verfahren von Investorschiedsklagen zu ändern“, sagt Angela Pfister. Die politische Referentin beim Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) war in Wien dabei und berichtet, Deutschland habe den Vorschlag der Europäischen Kommission unterstützt, einen „Multilateralen Investitionsgerichtshof“ (MIC) einzurichten. Der Unterschied zum vorherigen ISDS-Regime liegt vor allem darin, dass es sich beim MIC nicht um ein Ad-hoc-Gericht handeln würde, das nur im Konfliktfall auf den Plan träte, sondern um eine permanente internationale Institution.

Kritik an dem Vorschlag kommt vor allem aus Südafrika. In einem Positionspapier, das dem Freitag vorliegt, heißt es, die Regierung sei „im Prinzip“ für eine Reform des ISDS-Regimes, doch macht sich das Land für eine generelle Abschaffung von Investor-Staat-Schiedsgerichten stark. „Investoren sollen, so wie alle anderen, vorerst nur die nationalen Gerichte vor Ort anrufen können“, erklärt Pfister die Position Südafrikas. Auffällig ist, dass das Land in beiden Verhandlungsrunden ein sehr aktiver Akteur ist.

Ganz im Gegensatz zu Deutschland und der EU. In Genf, wo es darum ging, Unternehmen für die Folgen ihrer Geschäftspraktiken in Haftung zu nehmen, hielt sich nicht nur Deutschland zurück. Auch die Europäische Union verwies auf den anstehenden Wechsel in der EU-Kommission, und sie habe gar kein „Verhandlungsmandat“. Deshalb müsse sie sich mit einer Positionierung zu den rechtsverbindlichen Instrumenten des UN-Abkommens „zurückhalten“, wie es in einem Kommuniqué heißt. Aus Teilnehmerkreisen ist zu hören, die EU habe ihre Mitgliedsstaaten unter Druck gesetzt, sich nicht aktiv in den Prozess einzubringen und nicht einmal „Verständnisfragen“ zu stellen; einige jedoch hätten sich an Letzteres nicht gehalten.

Dabei werden in Artikel 6 des „revised draft“ des Binding Treaty nur die krassesten Vergehen als strafrechtlich sanktionsbedürftig definiert, etwa Kriegsverbrechen, Genozid, Folter, Vertreibung, Hinrichtung oder Zwangsarbeit; die zivilrechtliche Haftung allerdings ist im Vertragsentwurf weiter gefasst.

Trotzdem ist fraglich, ob man eine Firma wie Texaco damit drankriegen könnte. Zwischen 1964 und 1992 hatte das US-amerikanische Unternehmen unsachgemäß Öl im Amazonastiefland gefördert und die Umwelt ruiniert. Unter der indigenen Bevölkerung nahmen daraufhin Krebserkrankungen und Todesfälle zu. Doch statt Schadensersatz von dem Konzern zu erhalten, wurde Ecuador selbst zur Zahlung von 112 Millionen US-Dollar an Chevron, den Rechtsnachfolger von Texaco, verurteilt (der Freitag 47/2017).

Ein Schiedsgericht entschied 2016, dass das südamerikanische Land gegen ein Investitionsschutzabkommen mit den USA verstoßen habe. Ecuador zahlte. „Angedrohte Klagen, die niemals in ein Schiedsverfahren gehen, werden oft verwendet, um die Dinge still und leise im Interesse von Konzernen zu erledigen“, sagt Gewerkschafterin Pfister und ergänzt: „Geplante Gesetze zum Klimaschutz oder zum Schutz der Arbeitnehmer erblicken oftmals nie das Licht der Welt.“ Auch der MIC würde dieses Problem nicht lösen. Was zeigt: Konzerne können zwar gegen Staaten vor Gericht ziehen, andersrum geht das nicht.

Noch einmal zurück nach Genf. Dort hatte Lia Polotzek das Gefühl, der EU gingen „langsam die Argumente aus“, wieso sie sich nicht an einer verbindlichen Regelung für Menschenrechtsachtung beteiligen würde. Ob die EU am Ende zur selben Einsicht gelangt ist? Jedenfalls gab es am Freitag in Genf doch noch eine Überraschung: Die EU hatte sich zwar nicht aktiv beteiligt, unterstützte am Ende aber die Verhandlungsergebnisse der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, berichtet ein Verhandlungsteilnehmer aus einer NGO. Wann das UN-Abkommen ratifiziert wird, ist allerdings genauso ungewiss wie die Verabschiedung der ISDS-Reform.

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Geschrieben von

Dorian Baganz | Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Grünes Wissen“, „Social Media“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlichte er längere Reportagen u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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