Gefährliche Utopie

Woolwich Das Attentat von London ist unentschuldbar. Trotzdem zeigt es mal wieder, wie einseitig wir debattieren, wenn es um das Thema Islam geht.

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Heutzutage kommt es leider nur noch selten vor, dass uns Bilder wirklich schockieren. Abgestumpft von Film und Fernsehen stempeln wir Mord und Totschlag als Kollateralschäden ab. Vom Leid der Welt wird uns trocken beim Abendbrot berichtet. Manche Ereignisse sind in ihrem Ablauf und ihrer Brutalität jedoch so charakteristisch, dass wir zu Schaulustigen tragischer Ereignisse werden. Man erinnere sich an den 11. September 2001. Die Tat im Londoner Stadtteil Woolwich gehört zu diesen Ereignissen. Zwei Männer stechen ohne ersichtlichen Grund auf einen englischen Soldaten ein, bis er tot ist. Der weitere „course of events“ dürfte nicht nur dem englische Kriminalwesen fremd gewesen sein: Die Verbrecher bleiben am Tatort, unterhalten sich mit Zeugen und posieren für die Kameras. Der Spiegel spricht zu Recht von einer Zäsur.

Erklärt wird die Tat mit dem Einsatz der NATO in Afghanistan. Was folgte, war bezeichnend für den Umgang mit islamistischen Terroristen. Man gibt der Glaubensrichtung - und wenn man schon dabei ist auch ihren Anhängern - die Schuld für solche Vergehen. Das ist der falsche Weg. Es bedarf mehr.

Infantile Einseitigkeit

Tatsächlich ist nicht die Religion der Ursprung des Problems. Sie wird von einzelnen Verrückten lediglich instrumentalisiert und falsch interpretiert, um das eigene Unrecht zu leugnen. In der Kriminologie spricht man hier von „Neutralisierung“. Die eigenen Hemmungen werden durch verschiedene Strategien überwunden, um die Straftat zu rechtfertigen, die man aus irgendwelchen Gründen für richtig und notwendig hält. Doch sollte man deswegen einer ganzen Weltreligion diese Frevelhaftigkeit unterstellen? Natürlich nicht. Das hat auch Londons Bürgermeister Boris Johnson erkannt: „Es ist absolut falsch, diese Taten mit der Religion in Verbindung zu bringen.“ Wie recht er hat. Wenn sich nach einem Fußballspiel aggressionsbereite Hooligans Schlägereien mit Polizeibeamten oder anderen Fans liefern, gibt man ja auch nicht der Sportart die Verantwortung dafür. Man verurteilt diejenigen, die strafrechtliche Grenzen überschritten haben.

„Krieg ohne Risiko“

Nun scheint uns die Auseinandersetzung am eigentlich so weit entfernten Hindukusch auf einmal wieder näher denn je. Es sollte uns verdeutlichen, wie sinnlos das Gefecht dort ist. Das ist kein Einsatz aus akuter Bedrohung, das ist ein politischer Rachefeldzug. Wir alle sollten ignorant an einen „Krieg ohne Risiko“ (TAZ am 20.04.2013) glauben, der durch den Kauf und Einsatz von Kampfdrohnen nur noch unbedenklicher für uns werden würde. Das Gegenteil ist der Fall. Utopien bleiben halt surreal.

Statt uns jedoch mit all dem zu beschäftigen, führen wir wieder einmal eine einseitige Debatte über islamistischen Terrorismus. Egal ob europäische Austeritätspolitik oder der Umgang mit andersgläubigen Attentätern. Man entkräftet bestimmte Argumente nicht, weil sie falsch, sondern weil sie lästig sind. Dass wir ganz vorne in einem nicht siegreichen, nicht enden wollenden Konflikt mitmischen, wird bewusst beiseite gelassen. Doch gibt es halt kein Recht im Unrecht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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