Feminismus Evke Rulffes entlarvt die „bürgerliche Mutti“ als Konstrukt. Neu ist diese Erkenntnis nicht, aktuell aber sehr wohl. Denn im Kapitalismus wird Care-Arbeit nicht anerkannt. Ein Gespräch
Für ihr gerade erschienenes Buch Die Erfindung der Hausfrau (Harper-Collins, 22 €) hat sich Evke Rulffes durch einen 4.500 Seiten langen Frauen-Ratgeber aus dem 18. Jahrhundert gequält – und gelernt: Diese Reduzierung auf den Haushalt, ohne Anerkennung und Bezahlung, ist eine moderne Entwicklung. Obwohl das keine neue Erkenntnis ist, wird Rulffes gerade zum Promi: viele Interviewanfragen, eine ausverkaufte Buchpremiere im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Dort trifft sie sich auch mit dem Freitag zum Gespräch.
der Freitag: Frau Rulffes, ist „Hausfrau“ Ihrer Meinung nach eigentlich eine Beleidigung?
Evke Rulffes: Gesellschaftlich gesehen ist das heute wohl so, ja, weil die Wertschätzung in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Seitdem Haus
e wohl so, ja, weil die Wertschätzung in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen hat. Seitdem Hausarbeit nicht mehr als Arbeit anerkannt wird, steht der Begriff für so was wie „Heimchen am Herd“.Der Grundtenor Ihres Buches ist: Das war mal anders, früher war die „Hausmutter“ noch eine einflussreiche Person.Genau, die bürgerliche Hausfrau hat sich ja erst im 19. Jahrhundert entwickelt, im Zuge der Industriellen Revolution und der Verbürgerlichung der Gesellschaft. Davor stand die „Hausmutter“, wie man damals noch sagte, einem ganzen Stab von Leuten vor: dem Gesinde, den Hausverwalterinnen. Das war eine Machtposition!Das konnten sich aber nur die höheren Schichten erlauben ...Klar, die bürgerliche Mittelschicht zum Beispiel. Aber als sich das Ständesystem auflöste, sank auch deren Einkommen und die Ehefrauen mussten auf einmal die ganzen „haushaltsnahen Dienstleistungen“ übernehmen, wie man heute sagt.Sie nennen das „gendercodierte Arbeitsteilung“ in Ihrem Buch ...Exakt. Das kann man auch perfekt aus der Quelle herauslesen, die ich dafür studiert habe.Sie meinen das fünfbändige Werk „Die Hausmutter in all ihren Geschäfften“ aus dem Jahr 1778. Geschrieben hat es der brandenburgische Geistliche Christian Friedrich Germershausen: Der Name taucht immer wieder bei Ihnen auf.Ja. Ein total dicker Schinken (lacht). Das sind 4.500 Seiten! Es ist der allererste deutschsprachige Haushaltsratgeber, der sich ausschließlich an Frauen richtet. Es gibt darin ein paar einfühlsame Momente. Zum Beispiel, wenn Germershausen sagt: Hey, wieso sollen Frauen in der Kirche eigentlich keine langen Hosen tragen, wenn sie frieren? Aber er hat eben auch die Trennung der Aufgaben nach Geschlecht vorangetrieben: Für die private Sphäre sind die Frauen verantwortlich, und der berufliche Bereich gehört den Männern. Zwanzig Jahre nach ihm ging es dann erst richtig los mit der ganzen Haushaltsliteratur für Frauen.Placeholder infobox-1Darf ich ehrlich sein? Ich habe mich beim Lesen Ihres Buches gefragt, was an Ihrer These so neuartig sein soll. Seit den 1970er Jahren gibt es doch Tonnen an Literatur über das „soziale Konstrukt“ der Hausfrau. Und Simone de Beauvoir hat schon 1949 geschrieben, dass man nicht als Frau geboren,sondern „dazu gemacht“ wird.Ich kann das hinterher noch aus dem Interview streichen, wenn mir meine Antwort nicht gefällt?Ja ...Okay, ganz ehrlich: Ich habe mich auch gefragt, warum mein Buch so einschlägt! (lacht) Ich habe mir das ja nicht ausgedacht, die ganze Sekundärliteratur, das war ja alles schon da. Das ist alles schon mal gesagt worden!Warum haben Sie es dann noch mal aufgeschrieben?Weil das einfach noch nicht im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Während ich angefangen habe, Germershausen zu lesen, haben Frauen in meiner Umgebung Kinder bekommen. Das sind wohlhabende Schichten, die auch versuchen, auf Gleichberechtigung zu achten. Aber wissen Sie was? Die sind ganz schnell in alte Rollenbilder zurückverfallen, sobald das erste Kind da war.Wir sitzen hier im hippen Prenzlauer Berg, da ist das auch nicht anders als im Rest von Deutschland.Deswegen ja! Und ich habe mich gefragt: Woher kommt das eigentlich, dass es so eine Struktur gibt, in der Frauen viel mehr übernehmen als Männer? Klar, wenn Kinder ins Spiel kommen, dann explodiert der Haushalt, das verstehe ich schon. Aber das geht noch tiefer, das ist doch ein systemisches Problem.Lassen Sie mich raten: Der Kapitalismus ist schuld?Schon. Ich habe mal im SZ-Magazin ein Interview mit einer Wiener Scheidungsanwältin gelesen. Die hat gesagt: Der häufigste Scheidungsgrund ist das zweite Kind in Verbindung mit der 40-Stunden-Woche. Und dann wurde sie gefragt, wie sie das denn selbst hinkriegen würde mit ihren zwei Kindern und einem Ehemann. Ihre Antwort: Weil sie beide der Meinung sind, dass „an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist.“Das nennt man dann Reduktionismus ...Na ja, aber es ist doch gut zu sagen: Wir leiden unter den Strukturen und versuchen uns das wenigstens nicht gegenseitig vorzuwerfen. Generell ist es nie verkehrt, die Perspektive zuwechseln. In diesem Zusammenhang zitiere ich immer gerne Jacinta Nandi. Die hat in ihrem Buch Die schlechteste Hausfrau der Welt geschrieben: „Ich wäre so ein guter Vater!“ Denn der gesellschaftliche Anspruch an Mütter ist auch ein Problem: Man kann sein Kind auch dann lieben, wenn man ihm keine vier Kuchen zum Geburtstag backt.Wer ist denn so bekloppt und macht das?Wie gesagt, wir sind hier in Prenzlauer Berg, da ist das keine Seltenheit: einen für morgens, zwei für die Kita und dann noch mindestens einen für die Party – das läppert sich.Ihr Buch endet mit dem Essay „Das bisschen Haushalt?“. Da schreiben Sie davon, dass es mehr Anerkennung für Care-Arbeit bräuchte und der gesellschaftliche Druck, eine „perfekte Mutter“ zu sein, nachlassen muss.Wäre ja schon mal gut, wenn Care-Arbeit überhaupt wieder als Arbeit betrachtet würde.Klar, aber darauf will ich nicht hinaus. Gerade ging durch die Medien, dass laut Statistischem Bundesamt knapp 30 Prozent der „Alleinerziehenden“ in Deutschland in zu beengten Wohnverhältnissen leben. Aber in den Meldungen stand nie was vom Geschlecht, dabei sind neun von zehn Alleinerziehenden weiblich. Da kommt man mit Ihren wolkigen Plädoyers von „mehr Anerkennung“ und „weniger gesellschaftlichem Druck“ doch nicht weit. Solche Probleme erfordern harte poltischen Maßnahmen.Klar, aber ich bin als Kulturwissenschaftlerin immer etwas überfordert mit der Frage nach „harten politischen Maßnahmen“. Ich konzentriere mich eher auf das Historische. Aber es gibt ja gute Vorschläge: In Belgien verteilt die Regierung Gutscheine für Leute, die nicht so viel verdienen. Die können sich damit Haushaltshilfen leisten. Und der Vorteil ist, dass diese dann auch „legal“ arbeiten und sozial abgesichert sind. In Deutschland arbeiten 90 Prozent der Haushaltshilfen schwarz, weil da sonst unglaublich wenig Geld übrig bleiben würde am Ende.Okay, also Gutscheine verteilen.Ja, und wir müssen an die Arbeitsstrukturen ran. Ich zitiere in meinem Buch ja auch Mareice Kaiser ...... die Chefredakteurin des feministischen Magazins „Edition F“ ...... und die sagt, unsere Arbeitsstrukturen orientieren sich immer noch an kinderlosen Männern. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sie sich stattdessen an alleinerziehenden Müttern und Vätern orientieren würden: So leben ja immer mehr Menschen.Sie haben viel Germershausen gelesen, einen reaktionäreren Theologen aus dem 18. Jahrhundert. Was lernt man da noch?Was ich so interessant fand, waren die vielen Parallelen zwischen damals und heute. Gerade mit dem Bild der „guten Mutter“: In den ersten vier Bänden spricht Germershausen die Hausmutter als Betriebsleiterin an, auf Augenhöhe, aber als er sich im fünften Band dem Thema Schwangerschaft zuwendet, kippt der Ton: Plötzlich wird es moralisch. Er hat dann später noch ein Werk namens Hausvater geschrieben – darin ging es aber nur noch um Landwirtschaft.
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